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Rezensionen zu
Walkaway

Cory Doctorow

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Mittelmäßig gut

Von: Lulu

29.12.2020

Das Buch hat einen guten Aufbau und ich konnte mich gut in die Lage der einzelnen Protagonisten hineinversetzen. Jedoch ist der Roman langatmig, sodass es an manchen Stellen etwas schwer ist, diese zuende zulesen.

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"Dis." Zu ihrem Entsetzen stellte sie fest, dass ihr die Kehle eng wurde. Tränen rollten ihr über die Wangen. "Dis, es ist..." "Ich weiß", antwortete die Simulation. "Jetzt ist alles anders." Mein erster Gedanke, als ich das Buch beendet hatte: Uff. Nicht etwa weil ich es schlecht gefunden hätte, im Gegenteil, sondern einfach weil ich mich nicht erinnern kann, in den letzten Jahren so lange für ein einziges Buch gebraucht zu haben. Über sechs Wochen habe ich mich mit Cory Doctorows Utopie herumgeschlagen, etliche Leseflauten niedergekämpft und mich von den vielen spannenden Gedanken darin immer wieder anspornen gelassen, es mit den scheinbar nie endenden 736 Seiten voller Gehirnverrenkungen neu aufzunehmen. Mein zweiter Gedanke: Hat sich der Aufwand und das Durchhalten gelohnt? Ich würde sagen definitiv! Warum - das kommt jetzt! Das Cover springt den Betrachter zuerst mit seiner furchtbar schrillen, orangenen Farbe an, die weder auf meinem Coverbild noch auf dem offiziellen Coverbild gut zur Geltung kommt. Diese Farbe täuscht ganz gut darüber hinweg, dass die sonstige Gestaltung eher minimalistisch ist. Mit dem gespiegelten, schwarz-weißen Hausmotiv wurde die Thematik definitiv wunderbar auf den Kopf getroffen. Das schwarze Haus mit den Gitterfenstern und dem Feuerausstoß soll wohl den Default repräsentieren während der weiße Pfeil, auf dem die Frau läuft, den Walkaway, also die Alternative, den Ausweg darstellt. Auch die aufdringliche Größe des Titels und des Autorennamens und die vielen Zitate überall passen gut ins Bild. Nur mit dem Klapptext bin ich nicht ganz zufrieden. Angesichts der sehr umfangreichen Handlung, der vielen Charaktere und der langen Erzählzeit, hätte ich mir doch ein wenig konkretere Einblicke in das erwartet, das auf den 736 Seiten auf mich wartet. Außerdem habe ich mich bis zum Ende gefragt, wer denn der vierte Held sein soll, der mit auf den Weg geht (wohl einfach ein Fehler in der Übersetzung) Erster Satz: "Hubert Vernon Rudolph Clayton Irving Wilson Alva Anton Jeff Harley Timothy Curtis Cleveland Cecil Ollie Edmund Eli Wiley Marvin Ellis Espinoza war zu alt, um auf einer kommunistischen Party zu sein." Ziemlich schonungslos wirft uns Cory Doctorow gleich zu Beginn des Buches in eine vollkommen abstruse Situation mit total verrückten Protagonisten mit echt schwierigen Namen. Da Hubert 20 Vornamen hat, wird er von seinem Freund Seth nur Etcetera genannt. Letzterer hat ihn auf eine heimliche, kommunistische Party geschleppt, auf der Bier aus sich reproduzierenden Kulturen getrunken wird, in alten Fabrikhallen Möbel unter Urheberrechtsverletzungen produziert werden und sich die rebellische Jugend versammelt. Als die Party gewaltsam aufgelöst wird hilft ihnen die junge Nathalie bei der Flucht. Auch wenn sie als Tochter eines Zottas (eines pervers reichen Menschen) eigentlich keine Sorgen haben müsste, würde sie nichts lieber tun, als aus dem Einflussbereich ihres Vaters zu fliehen. Auch Etcetera und Seth hält nichts mehr im korrupten System nahe am Zusammenbruch und so beschließen die drei ungleichen Gefährten zusammen in den Walkaway zu gehen. "Niemand beschließt, eine Rekordzahl von Armen einzusperren. Es passiert einfach infolge schärferer Gesetze, geringerer Mittel für juristische Hilfe und zusätzlicher Kosten für Berufungsverfahren … es gibt keine Person, keine Entscheidung und keinen politischen Prozess, denen man die Schuld geben könnte. Es ist systemisch bedingt." "Was ist die systemische Folge, wenn man ein Walkaway wird?" "Ich glaube, das weiß noch niemand. Es wird aber sicher spannend, es herauszufinden." An diesem Punkt wird die Dystopie zur Utopie. Denn wo moderne Technologien wie 3D-Drucker Kleidung, Unterschlupft und Nahrung ohne großen Aufwand gewährleisten ist es möglich geworden, einfach aus dem System, dem Default, auszubrechen und wegzugehen. In einem Gasthof, in dem die wichtigsten Anforderungen nicht Leistung und Funktion sondern Solidarität und Toleranz sind, finden die drei ein neues Zuhause und einen Weg in ein freies, selbstbestimmtes Leben. Doch neben neuen wissenschaftlichen Entdeckungen, Bedrohungen durch den Default und eine immer näher rückende Konfrontation zwischen den verschiedenen Parteien müssen die Protagonisten auch an sich selbst arbeiten um im neuen Gesellschaftsentwurf glücklich werden zu können. Es beginnt der größte Befreiungskampf der Menschheit: der Kampf gegen die soziale Ungerechtigkeit, die Zerstörung der Umwelt und den Klimawandel, aber auch der Kampf gegen den Materialismus, gegenabsurden Hierarchien, gegen die Lust am „Wichtig sein“, gegen Neid und Eifersucht und all die anderen Dinge, mit denen sich Menschen selbst oft im Weg stehen. "Dieses Glücksgefühl und die Intensität, die du spürst... hast du dich schon mal gefragt, ob das etwas ist, das wir mehr als nur flüchtig wahrnehmen können? Nimm mal einen Orgasmus. Wenn du einen Orgasmus hast, der nicht aufhört, wäre das brutal. In einer Hinsicht wäre das erstaunlich, aber das Erlebnis wäre schrecklich. Nimm das Glücksgefühl, dieses Gefühl, angekommen zu sein und einen Moment lang die Welt vollkommen gemacht zu haben. Kannst du dir vorstellen, wie es ist wenn es andauert? Warum solltest du dann jemals wieder deinen Arsch hochhieven? Ich glaube, wir sind so gemacht, dass wir das Glück immer nur für einen Moment wahrnehmen können, weil sich alle unsere Vorfahren, die es länger erleben konnten, an der Glückseligkeit verloren haben, bis sie verhungert sind oder bis sie ein Tiger gefressen hat." Schon auf den ersten Seiten, bevor man überhaupt eine richtige Chance hatte, die Ausgangssituation zu verstehen, beginnen die ersten Grundsatzdiskussionen über Kapitalismus und Kommunismus und all ihren Phänomenen. Es wird also sehr bald klar, wie Cory Doctorow hier seine Prioritäten im Zusammenspiel von Science Fiction und Philosophie gesteckt hat. Immer wieder über das ganze Buch verteilt tritt die Handlung zurück und macht Platz für Fragestellungen, die mir zum Teil sehr relevant erschienen während sich mir der Sinn anderer nicht ganz erschloss. Während sich Kapitel voll drohender Gefahr bewaffneter Überfälle, listiger Tricks der Mächtigen, Entführung und Gehirnwäsche mit Verwirrungen und inneren Verwicklungen technologischer Probleme und in sich gekehrte Monologe oder Dialoge abwechseln wird es für den Leser sehr schwer, einen einheitlichen Spannungsbogen zu sehen und den roten Faden nicht aus den Augen zu verlieren. Da drängte sich sehr bald die Schlussfolgerung auf, dass diese Geschichte einfach viel zu lang ist. Interessante Passagen werden so immer wieder durch seitenweise Diskussionen über Computerprobleme abgelöst und der Überhang an Dialogen oder sogar Monologen machte es nicht unbedingt immer einfacher, den Unterhaltungen ernsthaft zu folgen. "Wenn du Dinge tust, weil du willst, dass dir jemand anders den Kopf tätschelt, dann wirst du nicht so gut wie jemand, der es für die innere Befriedigung tut. Wir wollen das beste Gebäude errichten, das überhaupt möglich ist. Wenn wir ein System einführen, bei dem die Leute um Anerkennung buhlen, laden wir sie ein, Spielchen zu spielen und die Statistiken zu manipulieren, oder sogar ungesund viel zu arbeiten, um alle anderen zu schlagen. Eine Crew mit unglücklichen Leuten leistet minderwertige Arbeit. Wenn du ein System einrichtest, in dem sich die Leute auf Kunstfertigkeit, Kooperation und gutes Handwerk konzentrieren, bekommst du einen schönen Gasthof voller glücklicher Menschen, die gut zusammenarbeiten". Und ernsthaft und aufmerksam zu lesen ist hier unbedingt notwendig. Mit seinem sehr einfallsreichen, intelligenten aber leider auch etwas schwergängigen Schreibstil stellt der Autor definitiv sicher, dass niemand diese Geschichte versteht, der sich nicht wirklich anstrengt. Zwar hilft ein Glossar beim Verstehen von teils abgefahrenen Neologismen oder existierenden Begrifflichkeiten aus der Computerwelt, trotzdem wird sich nicht lange mit Erklärungen aufgehalten (sonst hätte ich wohl noch mit 200 Seiten mehr zu kämpfen gehabt) sondern viele Dinge einfach als Vorwissen vorausgesetzt. Das alles hat zur Folge, dass man wirklich nur zu dem Buch greifen kann, wenn man gerade in der Verfassung und der Stimmung ist, sich auch wirklich hineindenken zu wollen und zu können - das erklär vielleicht auch, weshalb ich so lange gebraucht habe. Die teilweise sehr brutalen Schwankungen zwischen actionreichen Kapiteln und in sich gekehrten Abschnitten werden auch durch große Zeitsprünge begleitet. Gerade im letzten Drittel des Romans lebt die Geschichte davon, was in den Erzähllücken passiert. Dadurch hatte ich aber wiederum große Probleme, die Entwicklung der Protagonisten wirklich gut verfolgen zu können. Aus diesem Grund konnte ich die Protagonisten auch nicht besonders nahe an mich heranlassen. Auch wenn wir mit einem komplexen, diversen Satz an Protagonisten beginnen hatte ich das Gefühl, dass sie sich im Laufe der Zeit alle immer ähnlicher werden - vor allem auch weil sie sehr ähnliche Konflikte und Sichtweisen haben. Denn ganz besonders ist an der Geschichte nicht Doctorows Blick auf die gesellschaftlichen Zusammenhänge sondern vielmehr seine sensible aber solide Darstellung der inneren Veränderungen, die für die Walkaway notwendig sind: der Kampf gegen den Drang eine "ganz besondere Schneeflocke" zu sein und das Auflehnen gegen die menschlichen Unzulänglichkeiten. "Die Menschen versuchen seit Jahrhunderten, alle anderen dazu zu bewegen, die Erde nicht zu sehr zu belasten, konnten aber nicht mehr sagen als: "Halt still und atme möglichst wenig". (…) Wenn du zu lange darüber nachdenkst, gelangst du irgendwann zu dem Schluss, dass nichts, was du tust, überhaupt noch eine Rolle spielt. Entweder du bringst dich auf der Stelle um, oder du bringst deine Nachkommen um, indem du einfach nur atmest. Jest erkennen wir für die Menschheit einen Weg, der besser ist, als alles, was es früher gab. Wir geben den Körper auf. Wir geben von allem weg. Wir werden unsterbliche Wesen aus reinen Gefühlen und Gedanken, wir können mit Lichtgeschwindigkeit durch das Universum reisen, nichts kann uns töten, wir entscheiden bewusst, wie wir das Leben gestalten wollen, und bleiben dabei, solange wir wollen, während wir die Parameter genau abstimmen, bis wir die Version von uns selbst sind, die genau das Richtige tut und sich selbst kennt und achtet." Die kleine Utopie inmitten einer zerstörten Welt kurz vor dem Super Gau des Kapitalismus regt mit ihren Ausflügen in die Philosophie definitiv zum Nachdenken an. Während viele Fragen nebenbei und ganz plakativ zu sozialökonomischen, ethischen, politischen, technologischen unökologischen Themen gestellt werden und die Protagonisten händeringend nach Antworten suchen prangert Doctorow im Vorbeigehen Probleme unserer Gesellschaft auf sehr originelle und einfallsreiche Art und Weise an. Er liefert dabei vielleicht keine unbedingt neue Erkenntnis oder ein Modell, das uns klar zeigt, wo es für uns in der Zukunft lang geht. Aber er sensibilisiert ohne mit dem Zeigefinger zu wedeln und gibt uns eine grobe Richtung vor, in die wir uns bewegen müssen: Weg von Materialismus und Ich-Bezogenheit hin zu einer pluralistischen, freien Gesellschaft die ohne Leistungsdruck und Hierarchien auskommt. Und das wichtigste: er zeigt uns, dass es in seiner Vision nicht über Kriege und Aufstände geht sondern über langsame, schrittweise Verändern des eigenen Ichs und das Streben nach Verbesserung - der Rest erledigt sich dann von selbst. "Ich misstraue jedem Plan, der Ungerechtigkeit beheben will und dessen erster Schritt lautet: Wir zerschlagen das ganze System un ersetzen es durch ein besseres. Besonders wenn du nichts anderes tun kannst, solange nicht der erste Schritt getan ist. Unter allen Möglichkeiten, sich selbst zu verarschen und rein gar nichts zu tun, ist dies die selbstsüchtigste." Fazit: "Walkaway" ist eine schonungslose Analyse der gesellschaftlichen Probleme der Gegenwart und gleichzeitig ein hoffnungsloser Ausblick der Humanismus und Digitalisierung zu einer spannenden Utopie verbindet. Viele interessante Gedanken und Visionen können jedoch leider nicht über eine riesige Überlänge und etliche Leseflauten hinwegtäuschen. Deshalb leider nur etwas für Interessierte, die sich die Zeit und die Anstrengung gerne in Kauf nehmen!

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Utopien werden oft auf ihre spätere Gültigkeit abgeklopft. Was ist von den formulierten Zukunftsideen und -bildern wirklich eingetreten, was wurde vom Menschen technisch realisiert oder ist ohne sein Zutun entstanden. Das macht sie so spannend. Meist warnen sie, meist erzählen sie uns, wie wir auf Katastrophen reagieren. Für das Schreiben und Lesen von Utopien braucht es viel Fantasie, aber vor allem auch ein Verständnis für aktuelle Entwicklungen. Der kanadische Schriftsteller, Blogger und Journalist Cory Doctorow beschreibt in seinem Roman „Walkaway“ eine düstere Vision, allerdings nicht ohne uns Hoffnung auf eine bessere Welt zu geben. Die kommt daher mit einer Gegenbewegung, die der Welt, wie sie ist, eine gründliche Absage erteilt. Die sogenannten Walkaways gehen ihren eigenen Weg – fernab einer Gesellschaft, die vom tiefen Spalt zwischen Arm und Reich, Macht und Ausbeutung, Digitalisierung und Überwachung, Klimawandel und Umweltzerstörung gezeichnet ist und von den Superreichen regiert wird. Auch Seth, Hubert Etcetera, der im Übrigen noch 18 weitere Namen trägt, und Natalie lernen sich auf einer Party in einer der vielen leerstehenden Fabriken kennen. Natalie ist die Tochter eines Superreichen. Als während der Party einer ihrer Freunde stirbt, muss das Trio Hals über Kopf fliehen. Gemeinsam hegen sie den Plan, ein anderes Leben zu führen. Aus einer fixen Idee, sich den Walkaways anzuschließen, entstanden aus Frust und Unzufriedenheit, wird purer Ernst. Sie kehren dem Default, ihrer bekannten Welt, den Rücken und treffen in dem abgelegenen Gasthof „Belt & Braces“ auf Limpopo, einer Frau, die für die Jugendlichen zu einer Mentorin in Sachen Walkaway wird. Denn sie müssen von Gewohnheiten Abschied nehmen und sich mit den Grundsätzen der Bewegung vertraut machen. Es gibt keinen Privatbesitz. Alles was man braucht, wird mittels 3D-Drucker hergestellt. Es gibt kein Belohnungssystem, mit dem man gesellschaftlich wie wirtschaftlich aufsteigt, befördert wird oder einen Rang erhält. Jeder ist gleich in dieser Gemeinschaft, in dieser großen Familie, jeder hat seine Aufgabe. Alle Informationen sind frei zugänglich. Je umfassender die Bewegung wird, sich auf dem Globus weiter ausbreitet und mehr und mehr Anhänger zählt, desto zerstörender sind die Angriffe des Defaults mit Hilfe von Drohnen und Söldnern, die nicht vor fürchtlicher Gewalt und Mord zurückschrecken und die neu geschaffenen Siedlungen in verlassenen Landstrichen und Städten nahezu dem Erdboden gleichmachen. Zugegeben: Es braucht seine Zeit, bis der Leser mit den Protagonisten „warm“ geworden ist und sich in dieser sehr technisierten Welt zurecht gefunden hat. Doctorow, der mit seinem Roman „Little Brother“ bekannt wurde, verwendet eine Reihe Fachbegriffe, die in einem Register am Ende des Bandes erklärt werden. Hat man diesen Punkt erreicht, fasziniert die Story, in einer lebendigen und frischen Sprache erzählt, dank ihrer vielen klugen Ideen und ihrer Spannung ungemein. Gerade als Natalie, die wie so viele Walkaways ihren alten Namen abgelegt hat und sich nunmehr Iceweasel nennt, von ihrem Vater aus der Walkaway-Siedlung bei einem verheerenden Angriff gekidnappt wird und Doctorow damit die Handlung auf mehrere Orte verlagert, entfaltet der bekannte Pageturner-Effekt seine Wirkung, obwohl es innerhalb des Geschehens mehrere, allerdings recht holpriger Zeitsprünge gibt und mir oftmals die bildhaften Beschreibungen von Figuren und Schauplätzen gefehlt haben. Dabei zeichnet sich der Roman – eine ganz eigene Mischung aus Utopie und dystopischen Elementen – durch eine interessante Tiefgründigkeit aus. Wirft das Buch doch neben dem Gedanken zur Rolle des Einzelnen in der Gemeinschaft und die Nützlichkeit jedes Individuums die Frage auf, was nötig wäre, die Welt vom Unheil der Umweltzerstörung und damit auch von der Menschheit per se zu retten. Die Lösung, zu der Doctorow immer wieder zurückkehrt, ist ein Leben ohne Körper, eine Art Unsterblichkeit, um die sich die bahnbrechenden wissenschaftlichen Forschungen der Walkaways drehen. Wie das geschieht, soll an dieser Stelle nicht verraten werden. Nur vielleicht soviel: Es geht um die Trennung von Körper und Bewusstsein. Die Figuren werden schließlich plastischer und für den Leser zugänglicher, wenn ihre Beziehungen und Emotionen dargestellt werden: die enge Freundschaft zwischen Etcetera, Seth und Iceweasel über einen langen Zeitraum, die intensive Liebe zwischen Iceweasel und der älteren Wissenschaftlerin Gretyl. Auch das Tochter-Vater-Verhältnis zwischen Natalie/Iceweasel und Jacob wird mehrmals reflektiert. Dass sich Doctorow, Jahrgang 1971 und weder verwandt und verschwägert mit dem bekannten amerikanischen Autor E.L. Doctorow, eine Welt als Gegenentwurf zum Kapitalismus erschafft, wundert nicht, wenn man einen Blick in dessen Biografie wirft: Seine Eltern waren Anhänger der Lehre Leo Trotzkis. Zudem besuchte er die als anarchistisch geltende SEED School, eine „freie Schule“ in Toronto. Der Kanadier, der mittlerweile mit seiner Familie in Los Angeles lebt, setzt sich ein für eine Liberalisierung des Urheberrechts und Datenschutz. Die Hoffnung von „Walkaway“ gründet sich in der Idee, dass eine bessere Welt durchaus entstehen kann und dass es Menschen gibt, die sich für sie einsetzen. Allerdings benötigt es dafür eine große Gemeinschaft, die dieses gemeinsame Ziel verfolgt. Aber womöglich muss dafür die Zeit reif und aber die Entwicklung der Bewegung wiederum nicht zu spät sein, heißt es doch in einer Passage: „Nichts ist so schwer zu eliminieren wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist.“

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Bevor ich mir dieses Buch kaufen wollte, habe ich mir einige Rezensionen durchgelesen und bin sehr froh darüber, dass ich mich davon nicht abschrecken lassen habe und doch die über 700 Seiten gelesen habe! Vielen Dank an das Bloggerportal für dieses Rezensionexemplar! ,,In a world wrecked by climate change, in a society owned by the ultra-rich, in a city hollowed out by industrial flight, Hubert, Etc, Seth and Natalie have nowhere else to be and nothing better to do.'' In diesem Roman hat es der Autor sehr gut geschafft, aktuelle Themen wie den 3D Drucker und die Angst vor dem sterben in eine Geschichte einzubinden, die hier nicht nur dunkel ist. Das finde ich zum Vergleich von vielen anderen Geschichten sehr abwechselnd. Der Inhalt der Geschichte ist sehr komplex und regte mich viel zum Nachdenken an. Wie wollen wir in Zukunft leben? Welche Möglichkeiten geben uns all die Dinge, die sich immer weiter in unseren Alltag drängen? Und wie gehen wir mit ihnen um? In dem Buch werden auch weitere Themen benannt, wie Korruption und Polizeibrutalität. Außerdem wird die Welt in dieser Geschichte von ,,Zottas'' regiert, weshalb die ,,Walkaways'' ihren Traum nur wo anders Leben können. Was ich persönlich sehr schade fand, war, dass ich mit dem Protagonisten nicht richtig warm geworden bin, da sie mir nicht detailliert genug ausgearbeitet waren. Die Protagonisten des Buches rauchen immer mal wieder Meth und ich bin ein wenig schockiert beim Lesen und hoffe auf irgendeine Erläutern oder Erklärung, nur leider kam die nie... Aber bei Büchern von Cory Doctorow konnte mich sein Schreibstil und sein Interesse für besondere Themen bei der Sache behalten. Er schreibt einfach und spaßig, sodass man sehr schnell durch die 700 Seiten kommt. Auch die Veränderungen bei den Figuren ist ziemlich hoch. In diesem Buch kann man sich viele Gedanken machen, aber auch gleichzeitig sich unterhalten lassen, hierbei tragen die Figuren einen großen Teil bei. :-) Selbst die außergewöhnliche Umgebung hat mich wiederum sehr begeistert. Die Geschichte spielt in den USA und Kanada und schenkt dem Leser viele bunte Eindrücke, wie z.B. von der Party bei der es lumineszierendes Bier gibt. Der Autor hat die Welt in der Geschichte clever beschrieben, weil viele Lücken von Fantasie gestaltet werden muss durch den Leser und dabei bestimmt das ein oder andere außergewöhnliche Bild vor Augen hat. Walkaway ist ein unglaublicher toller Roman in einer Zukunftsvision, die zwar leicht zu lesen ist, aber nicht leicht zu verdauen.

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Zwischen Verwirrung und Struktur Schon allein die ersten Seiten zeigen auf, dass es kein Buch ist, das sich nebenbei wegliest. Der erste Eindruck war für mich ein wenig skurril und überdreht, schon allein die Bekanntschaft von Etcetera. Ja, Etcetera. Das ist nämlich die Kurzform von „Meine Eltern konnten sich zwischen den 20 beliebtesten Namen der zur Volkszählung 1890 nicht entscheiden“. Etcetera scheint selbst neu in der Welt, bzw. hat noch einiges zu entdecken. Was im ersten Moment wie eine Kommunistenparty wirkt, verbirgt um einiges mehr und ist der Einstieg in einen Wandel, der gerade erst eingeläutet wird. Die Gestaltung der Charaktere hat leider nicht ganz so meinen Geschmack getroffen, da sie mir teils doch zu distanziert waren. Ich hatte nie das Gefühl, die Situationen nachempfinden zu können. Das Ganze spielt sich im 21. Jahrhundert ab, der Planet ist vom Klimawandel gezeichnet und die Machtverhältnisse scheinen immer mehr zu verdeutlichen, dass du nur etwas zu sagen hast, wenn du das entsprechende Geld zur Verfügung hast. Ressourcen werden mittels 3D Drucker erzeugt, doch was im ersten Moment wie ein Fortschritt wirkt ist ein Rückschritt für die Menschheit selbst und die hart erkämpfte Freiheit. Da kommen die Walkaways ins Spiel – mit dem Ziel sich dem jetzigen System entgegenzusetzen wird ein Weg eingeschlagen, der wesentlich mehr offenbart und alles zu verändern scheint. Teilweise war ich wirklich hin und her gerissen, zwischen Faszination und Langatmigkeit. Es ist gar nicht so, dass sich hier viele unnötige Szenen wiederfinden, doch durch den Spielraum, den Cory Doctorow seinen Lesern lässt, um sich selbst ein Bild zu machen, war ich immer wieder dazu verleitet ein wenig meine Gedanken schweifen zu lassen und teils den Faden zu verlieren. Kurz darauf hat mich dann wieder eine Dringlichkeit erfasst, die mir die Wichtigkeit dieser Geschichte verdeutlicht hat. „Cory Doctorows Walkaway erinnert uns daran, dass die Zukunft, für die wir uns entscheiden, auch die ist, in der wir leben werden“ Edward Snowden Science Fiction oder doch nahe Zukunft? Ist es nicht immer so, dass man denkt, dass die ganzen Schreckensszenarien viel zu weit von einem entfernt sind? Selbst große Veränderungen liegen im Sprachgebrauch und vor allem in Gedanken immer in weiter Ferne. So erscheint es einem auch in dieser Geschichte, allerdings mehr am Anfang. Denn auch, wenn es teils ein wenig abgedreht wirkt, so sickert doch immer mehr die Erkenntnis durch, welche Parallelen sich zu der eigenen kleinen Welt erschließen. In welcher Welt möchten wir leben und was wären wir bereit dafür zu tun? Die Armen werden ärmer und die reichen werden reicher. Es scheint das stetige Gefühl zu existieren, das die Welt, bzw. die Gesellschaft immer und überall die gleichen Fehler macht – fressen oder gefressen werden. Doch was ist das für eine Philosophie, mit der wir leben? Und genau das haben sich die Walkaways auf die Fahne geschrieben, ihr Schicksal endlich selbst in die Hand zu nehmen und der Welt ihren nötigen Anstoß zu versetzen, um es endlich besser zu machen. Aber natürlich ist auch hier nicht alles Gold was glänzt – ein ziemlich lustiges Worstpiel, wenn man den Hintergedanken dieser Bewegung bedenkt. Schwarze Schafe gibt es überall und auch Denkweisen, die nicht so simpel umzusetzen sind, wie man es sich erhofft. Oder vielleicht auch einfach falsch angegangen werden, denn zu einer „besseren“ Gesellschaft gehört wesentlich mehr als nur festzustellen, dass die derzeitige verbesserungswürdig ist. Man muss es tatsächlich selbst besser machen. Walkaway war für mich persönlich eine neue Leseerfahrung. Bisher habe ich mich weniger mit den Aspekten von Utopien befasst und dem Konzept, das dahinter steht. Ich kann schlecht beurteilen, ob sich diese Geschichte für Einsteiger empfiehlt, denn neben interessanten und wirklich gut durchdachten Anregungen stößt man hier auch auf verwirrende Verstrickungen und muss ein wenig Durchhaltevermögen mitbringen. Trotz der Kritikpunkte bin ich aber dennoch beeindruckt und werde die Geschichte im Gedächtnis behalten. FAZIT Cory Doctorow hat mich mit Walkaway definitiv überrascht! Ein utopischer Sci-Fi Roman, der unglaublich ausgereift ist und zeitgleich viel Platz für eigene Interpretationen und Gedanken lässt. Ich habe selten etwas gelesen, was gleichzeitig anspruchsvoll und doch so pragmatisch geschrieben war – ein Buch, das in meinen Augen nichts für zwischendurch ist, weil man sich doch auch Zeit lassen muss, damit die Geschichte sich ganz entfalten kann. Und auch, wenn ich ein paar Kritikpunkte hatte, hat mich die Geschichte auch ebenso beeindruckt – denn ein Gedanke geht einem nach dem Lesen nicht mehr aus dem Kopf: Wie weit würde man für eine bessere Welt gehen?

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An manchen Stellen, gerade im ersten Drittel, ist es ein wenig grenzwertig, was den Überhang an Dialogen in Bezug auf den Fluss der Geschichte angeht. Doch, das versteht Doctorow gut umzusetzen, der Tonfall wird dabei nicht belehrend oder besserwisserisch und ist auch nicht mit einem zu hoch erhobenen moralischen Zeigefinger versehen. Wobei dennoch klar wird, dass das aktuelle „Lebenssystem“ der westlichen Moderne mit „denen da oben“, die ganz fest der Überzeugung sind, dass sie nicht aus Zufall sondern aufgrund eigener Leistung „ganz oben“ angekommen sind und mit „denen da untern“, die mit ein wenig Konsum in ihren prekären Verhältnissen „bei Laune“ gehalten werden, so nicht mehr auf Dauer funktionieren wird. Im Roman, der in naher Zukunft angesiedelt ist, ist dies bereits akut „ausgebrochen“. Denn immer mehr „Bürger“ verlassen die „sicheren Zonen“ (große Teile der zivilisierten Welt sind verwüstet, teils vergiftet, immer aber „Outland“ aufgrund der harschen Klimaveränderungen) und siedeln sich im „übriggelassenen“ Rest an. „Walkaways“, „Weg-Gänger“ verschiedenster Natur versuchen ihren Weg eines freien Lebens. Mal miteinander, mal eher für sich. Was den „Zotas“, jenen Reichen, die inzwischen ganz offen die Regierungen stellen, nur solange egal ist, wie es ihren Status nicht gefährdet. Wollen zu viele „Walkaway“ gestalten, fehlen dienstbare Geister in den Metropolen, da wird auch schon mal das ein oder andere „Nest der Neuansiedelung“ umfassend dem Erdboden gleichgemacht. Und nun ist das Undenkbare geschehen. Natalie, Tochter eines Hyperreichen, geht. Heimlich. Mit ihren beiden neuen Bekannten. Und stößt auf einen Gasthof der besonderen Art, in dem andere, solidarischere, nicht auf Leistung abgestimmte Lebensformen erprobt werden. Intensiv und mit Blick in die Tiefe erzählt Doctorow von dieser Utopie und dem, was es an innerer Veränderung dazu braucht. Und hat immer auch den klaren Blick für die menschlich-allzu menschlichen Unzulänglichkeiten. Die Lust am „Wichtig sein“, Neid und Eifersucht und all die anderen Dinge, mit denen sich Menschen selbst oft im Weg stehen. Gepaart mit der ständig drohenden Gefahr bewaffneter Überfälle und listiger Tricks der Mächtigen, bis hin zu Entführung und versuchter Gehirnwäsche bleibt die Spannung bei der Lektüre weitestgehend erhalten. Und wenn dann technisch die Frage der Übertragung eines Bewusstseins ins „Net“ beginnt, interessant zu werden, bleibt es für den Leser weiterhin hoch interessant, all die Verwirrungen und inneren Verwicklungen zu verfolgen, die Doctorow von allen Seiten her und in allen Facetten beleuchtet. Ohne zu sehr ins trocken-wissenschaftliche abzugleiten. Am Ende verbleibt eine unaufdringliche und dennoch schonungslose Analyse der gesellschaftlichen Probleme der Gegenwart und eine, ein wenig an die 60er Jahre und die Hippie-Bewegung erinnernde, andere Möglichkeit des Lebens in enger Verbindung mit den vielfachen digitalen Möglichkeiten (samt Kleidungs- und Nahrungsherstellung), die den Leser nachdenklich und erfüllt zurücklässt. „Sie machte sich Sorgen, denn sie wusste, wie das war, wenn man die Person im Spiegel nicht wiedererkannte. Sie kannte das nagende Gefühl, wenn etwas nicht stimmte“. Eine sehr empfehlenswerte Lektüre.

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Ich habe mir vor dieser Lektüre sämtliche Rezensionen durchgelesen, die ich finden konnte. Ich bin sehr froh, dass ich mich dadurch nicht habe abschrecken lassen, diese 736 Seiten zu lesen. Der Autor hat es meiner Meinung nach super geschafft, aktuelle Themen, wie 3D-Drucker und die Angst vorm sterben in eine dystopische Geschichte einzubinden, die nicht nur düster ist. Das fand ich im Vergleich zu vielen anderen Dystopien sehr erfrischend. Weitere Themen sind unter anderem Korruption und Polizeibrutalität, außerdem wird ei Welt von den wenigen ultrareichen Zottas regiert, weshalb die Walkaways ihren Traum nur weit abseits leben können. Was ich sehr schade fand, war jedoch, dass ich den Protagonisten nicht so richtig nahe gekommen bin, weil sie mir nicht detailliert genug augearbeitet waren. Normalerweise wäre das bei mir ein K.O.-Kriterikum gewesen, aber Cory Doctorow konnte mich wiederum mit den sehr interessanten Themen bei der Stange halten. Auch die Fluktuatiosrate bei den Figuren ist ziemlich hoch. Das außergewöhnliche Setting hat mich wiederum sehr begeistert. Die Geschichte spielt in den USA und Kanada und schenkt dem Leser viele bunte Eindrücke, wie z.B. von der Party, bei der es lumineszierendes Bier gibt. Der Autor hat die Welt sehr clever beschrieben, weil viele Lücken von der Fantasie des Lesers gestaltet werden muss und dabei bestimmt das ein oder andere außergewöhnliche Bild entsteht. Außerdem lässt er sich bei der anfänglichen Schilderung der Welt viel Zeit, was mich sehr gefreut hat. Fazit: Für Themeninteressierte eine absolute Empfehlung.

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Cory Doctorow hat mich vor sieben Jahren schon mit „Little Brother“ überrascht und begeistert. Mit Walkaway setzt er noch einen drauf. Wir leben in einer Untergangsstimmung, die Zukunft ist düster, die Umverteilung der vorhandenen Ressourcen ist in vollem Gange, Lobbyismus zugunsten der Konzerne, einige wenige horten das Kapital, Lohn- und Gehaltsempfänger sind Sklaven des Systems, das durch Überwachungstechnik die unzufrieden Massen, die sich abstrampeln und nebenher noch versuchen, ihr kleines persönliches Glück zu finden, in Schach hält. Immer mehr fallen aus diesem System, weil es keine Arbeit oder keinen Platz für sie gibt, Tyrannen, Despoten und Superreiche regieren die Welt. Das klingt eigentlich alles wie die tägliche, mittels kognitiver Dissonanz gut verdrängte Dystopie in der wir leben, doch das ist das „Default“ in der von Doctorow beschriebenen Welt. Ähnlichkeiten zu unserer dürften nicht zufällig sein. In dieses Szenario steigt Doctorow mit Walkaway (Weggehen) ein. Es gibt nicht wenige Menschen, die das System satt haben, Unzufriedene, Utopisten, Anarchos, Hippies, Menschen mit der Tatkraft und dem Drang, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Für das Default und die superreichen Zottas sind sie Terroristen. Zersetzende Elemente, die zwar nicht mit Gewalt agieren, aber allein dadurch, dass sie das System in Frage stellen, sich dem Konsum entziehen und eine bessere Gesellschaft schaffen wollen, als Angreifer, Feinde betrachtet und bekämpft werden. Sobald sie eine critical mass, eine kritische Masse erreicht haben schlägt das Default, in Gestalt der Zottas, der Supperreichen Weltenlenker zu. Zerstört, tötet, massakriert und die Fakten, die in den feeds erscheinen, sind so gehalten, dass das System als die gute Seite erscheint. Die Walkaways eint nur eines, ihr Weggehen. Werden ihre Wohnorte zerstört, mal wieder ein Schlag gegen sie geführt, ein Exempel statuiert, gehen sie, bauen woanders neu auf, sie weichen aus, ziehen weiter. Fablabs oder Fabber, die aus Schrott das benötigte Material zum Neuaufbau herstellen (modifizierte 3D Drucker), sind dabei ebenso hilfreich wie die etwas weiterentwickelte Zukunftstechnologie, die direkt auf heutigen, bereits vorhandenen Möglichkeiten basiert, die der Autor seinen Protagonisten zur Verfügung stellt. Wichtig sind aber die Ideen in ihren Köpfen, der Wille zu einer freien, besseren Gesellschaft. Die Anleihen dafür sind alle schon einmal angedacht worden. Sie probieren aus, leben eine Gesellschaft, die auf Geschenken beruht, keine Tauschgeschäfte, keine Gegenleistung, das Notwendigste ist vorhanden, wer arbeiten und helfen möchte, bringt sich ein. Auch hier gibt es unterschiedliche Denkansätze. Wollen die einen Wettbewerb und Status abschaffen, so glauben die anderen die Gesellschaft mit Bestenlisten zu optimieren und mehr Leistung aus allen rausholen zu können. Ein ideologischer Kampf im Mikrokosmos der Walkaways. Die glauben „der alte Karl (Marx) hätte die richtige Diagnose, aber das falsche Mittel“ gefunden. Die Walkaways versuchen das richtige Mittel zu finden. An vorderster Front dabei, die charismatisch dargestellte Limpopo, die seit Jahren das Walkaway lebt. Dabei ist sie innerlich zwiespältig, gibt sich nach außen aber versiert. Interessant sind ihre inneren Kämpfe, auch wenn das ihr zugeschrieben Charisma bei mir nicht ganz rüberkam. Die soziale Komponente darf beim Aufbau einer neuen Gesellschaft nicht unterschätzt werden. So zum Beispiel mittels der zielorientierten sozialen Ignoranz – Heuchelei, bei der ein Vollpfosten, der es verbockt hat, nicht als solcher bezeichnet wird, sondern man hilft ihm sein Gesicht zu wahren, indem man ein „manierliches Kabuki“ ausführt und in der dritten Person spricht: „Diese Strebe steht nicht lotrecht“ , statt „Du hast die Strebe falsch eingebaut.“ Im Gegensatz zur Gamifizierung dem Spielchen um die besten Ränge auf der Liste, ist die Effektiviät erheblich größer, weil es den Menschen hilft, das Gesicht zu wahren. Man nennt es auch den „Ja wie ist das denn passiert?“ Effekt. Vollpfosten als solche zu bezeichnen führt nicht zum gewünschten Ergebnis, es schafft nur Unzufriedenheit, Streit, Unmut und letztendlich mindere Qualität. Auch das gilt es zu beachten. Doctorow kennt viele dieser soziologischen Studien, Theorien und Forschungsergebnisse, und er streut sie en passant immer wieder ein. „Das Walkaway Dilemma“ ist eines dieser Gedankenspiele zur Erschaffung einer besseren Welt, das in der Praxis aufgrund der menschlichen Natur ein großes ethisch-moralisches Problem darstellt: „Wenn du nimmst ohne zu geben, bist du ein Betrüger. Wenn du überwachst, was die anderen geben und nehmen, bist du ein widerlicher Buchhalter. […] Du musst gut sein wollen, sollst dich aber nicht gut fühlen, weil du so gut bist.“ S. 127 Limpopo ist die Empfangsdame im Belt & Braces einem Walkaway Haus samt Siedlung für die Neuangekommenen potentiellen Walkaways. Hubert Etcetera, Seth und Zotta Tochter Natalie Redwater werden von ihr in die Ideologie und alles übrige eingeführt . Sie nutzen die Gelegenheit, sich zumindest dem Namen nach neu zu erfinden. Etcetera der so heißt, weil seine Eltern bei der Namensgebung quantitativ sehr großzügig waren behält Etcetera, Seth wird zu Gizmo von Puddleducks und Natalie zu Stabile Strategie. Eine nette Sache sich immer wieder neu erfinden zu können. Die sich durch den Roman zieht. Neues lernen und anwenden, und so beginnt dieser Roadtrip in und für eine bessere Welt. Ein Trip, der politische und private Konflikte auslösen wird und sich ab und an ein wenig zieht, besonders wenn man als Vielleser die meisten der vom Autor eingebrachten Theorien und Philosophien bereits kennt. Doch nirgends außer bei den Sexszenen, – sie sind nicht schlecht nur überflüssig, aber SEX SEllS also kauft euch das Buch! 😉 – und selbst die sind so politisch korrekt, dass sie allein deshalb eine Daseinsberechtigung haben, könnte dieser Trip gekürzt werden. Ein wenig Ausdauer ist also vonnöten, um zu erfahren wohin die Reise geht, doch diese wird belohnt mit einem fulminanten Ende. Walkaway hat mich begeistert, weil es von einem gut vernetzten „Silicon Valley“ Autor stammt, der sich bestens auskennt mit dieser Denkfabrik der Zukunft, dabei aber nicht nur die Technologie im Blick hat, sondern die menschliche Natur und die daraus folgenden Eigenheiten immer im Hinterkopf behält. Er weiß darum, dass es nur mit den Menschen und dem was in ihren Köpfen ist, eine Veränderung geben kann. Besonders fasziniert und entzückt hat mich aber die Tatsache, dass endlich einmal wieder eine Utopie zur Zukunft der Menschheit geschrieben wurde. So bizarr und ekelhaft politische Entwicklungen in letzter Zeit waren, sie können das Erreichte und bereits Gedachte: Kultur, Demokratie, Menschenrechte, Umweltschutz, Gleichheit nicht rückgängig machen. Das alles gibt es noch und wir sollten nicht vergessen wie viele Menschen daran festhalten und sich dafür einsetzen. Doctorow zeigt auf, wie immens wichtig es ist, die Zukunft aktiv mitzugestalten. Und er gibt Handreichungen in Form von Ideen und Alternativen, eröffnet Möglichkeiten. Deswegen wünsche ich mir, dass dieses Buch möglichst viele Jugendliche und junge Erwachsene erreicht und alle, die eine wirklich gute Utopie gebrauchen können. Doctorow hat einen großartigen gesellschaftsphilosophischen, modernen, interaktiven (zum Mit – und Selbstdenken) Zukunftsroman geschrieben, den man sich nicht entgehen lassen darf.

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