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Rezensionen zu
Das babylonische Wörterbuch

Joaquim Maria Machado de Assis

Manesse Bibliothek (9)

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€ 15,99 [D] inkl. MwSt. | € 15,99 [A] | CHF 23,00* (* empf. VK-Preis)

Skurrile Kurzgeschichten verdichten sich in „Das babylonische Wörterbuch“ von Joaquim Maria Machado de Assis. Vielfältige Gefühlswelten verteilen sich auf körperlichen Seelentausch, den Teufel als Schöpfer oder gefühlslose Quälereien und ziehen in fantastische Sphären . Zum immer wieder hineinblättern und wunderschön in der Manesse Bibliothek.

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“Es war einmal...” – so beginnt im Stil eines klassischen Märchens die dem Band titelgebende Erzählung “Das babylonische Wörterbuch”. Es war einmal – so könnte auch die Biografie Joaquim Maria Machado de Assis‘ (1839-1908) beginnen. Als Enkel freigelassener Sklaven, Sohn eines afro-brasilianischen Malers und einer portugiesischen Waescherin, wuchs er in ärmlichen Verhältnissen in Rio de Janeiro auf. Sein Umfeld: ein bildungdfernes Milieu zu einer Zeit in der über 80 Prozent der brasilianischen Bevölkerung Analphabeten waren und klassische Bildung, erst recht Literatur, einen entsprechend niedrigen Stellenwert hatte. Machado de Assis, früh verwaist, brachte es trotz widriger Voraussetzung aus eigenem Antrieb zu großer Belesenheit in mehreren Sprachen, begann schon mit 15 erste Gedichte zu veröffentlichen und wurde zu einem einflussreichen Journalisten. 1879 war er Mitbegründer der Brasilianischen Akademie der Literatur, deren 1. Präsident er wurde – was für eine Karriere für einen “Mulatten” im Brasilien der damaligen Zeit. Sein literarisches Werk umfasst insgesamt 9 Romane und knapp 230 Contos. Dreizehn ausgewählte Erzählungen, finden sich nun in dem im Manesse Verlag erschienen – wie gewohnt optisch formidable umgesetzten- Erzählband “Das babylonische Wörterbuch”.  Formal und inhaltlich sehr unterschiedlich haben alle Erzählungen gemein, dass sie auf teils amüsante, teils surreal-grotesken Weise zum Nachdenken über die großen Sinnfragen anregen. De Assis interessierte sich für die Ideologien und Illusionen, die Menschen verfolgen – seine Figuren verkörpern dabei Idealtypen unterschiedlicher Gesinnungen und werden zu Fallbeispielen des grossen Ganzen. Staunend stellt man fest, wie sprachlich und gedanklich aktuell de Assis auch nach über hundert Jahren noch ist.  “Mit der Feder des Übermuts und der Tinte der Melancholie” so beschrieb der Autor einst sehr treffend in einem Buchvorwort seinen eigenen Schreibstil. De Assis für mich persönlich eine überragende literarische Entdeckung, die ich jedem Literaturinteressierten empfehle. Das Büchlein ist ein literarisches Kleinod, die Geschichten darin so tiefsinnig, dass man sie wieder und wieder lesen kann und stets Neues entdecken wird.

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Buchhandlung Almut Schmidt OHG

Von: Harder aus Kiel

20.11.2018

Ein Autor, der Werke geschaffen hat, die in den Kanon der Weltliteratur gehören. Joaquim Maria Machado de Assis wurde 1839 in Rio de Janeiro geboren. Er war ein Enkel von freigelassenen Sklaven und seine Familie stammt aus einfachsten Verhältnissen. Er arbeitete als Journalist und im Staatsdienst. Sein vielseitiges literarisches Werk umfasst Lyrik, Theaterstücke, über zweihundert Erzählungen und neun Romane. Er verstarb 1908. Er gilt als einer der originellsten Schriftsteller Brasiliens und wird als literarisches Fundament für Garcia Márquez und Borges bezeichnet. „Das Babylonische Wörterbuch“ versammelt dreizehn Erzählungen, die sehr neugierig auf sein Werk machen. Die Geschichten sind voller Tiefgang und Fantasie und wissen nicht selten zu überraschen. Der Stil der Texte ist von zwei Polen bestimmt: Das Ernste trifft auf das Lustige. Sehr pointiert und mit knappen, aber wortgewaltigen Bildern gerät man ins Straucheln und beginnt das Gelesene zu reflektieren. Die Erzählungen sind märchenhaft, mystisch, politisch und blicken in unsere menschliche Seele. Viele Themen haben heute noch ihre Gültigkeit und lassen den Leser somit niemals ungerührt. Die Himmelfahrt der Gedanken beginnt wortwörtlich als solche. Denn die Gedanken werden zu Sternen, die den Weltraum als Milchstraße in den Besitz genommen haben. Auslöser dieser erleuchtenden Himmelfahrt war die Frage: warum gibt es Männer, die weiblich, und Frauen, die männlich sind? Zwei Seelen, die sich jeweils als im falschen Körper empfinden, machen dann auch einen erfahrungsreichen Tausch. Aber die Gelehrtesten der Gelehrtesten können die anfängliche Frage nicht sinnvoll behandeln. „Der wahre Grund“ als weiteres Beispiel, warum ein zweifelhafter Arzt seinen Beruf ausübt, ist ein sehr sadistischer. Er schneidet an lebenden Mäusen und quält damit nicht nur die armen Tiere. In „Evolution“ geht es um die gesellschaftliche und industrielle Entwicklung. Die Hoffnung eines armen Landes, aus den Kinderschuhen zu entwachsen und durch die neuen Errungenschaften erfahrbar zu werden. Das Moderne als Grundlage menschlicher Errungenschaften aber auch Konflikte. In einer anderen Erzählung wird die Welt mit einem Fass Marmelade verglichen und so vermischen sich Fabeln und Mythen mit brisanten Wahrheiten und Andeutungen. Denn alle Geschichten eint die Tiefe und das Anliegen, Wissen zu vermitteln und von Bedeutung zu sein. Politik und Religion werden ernst und teilweise unglaublich schelmisch und mit viel Witz beleuchtet. Der Teufel, der Adam und Eva im Paradies zur Frucht vom Baum der Erkenntnis verhelfen möchte und in einer weiteren Erzählung anstelle von Jesus die Bergpredigt hält. Hierbei werden die christlichen Werte mit den korrupten Eigenschaften der Ellenbogengesellschaft vertauscht. Die titelgebende Geschichte basiert auf der babylonischen Sprachverwirrung und liest sich anfänglich märchengleich, um dann aber auch nicht nur den Leser ins politische Bockshorn zu jagen. Diese feine, kleine Ausgabe ist ein Leseerlebnis. Das Buch besticht durch die typische Handlichkeit dieser Klassiker-Reihe und die aufwendige und edle Gestaltung. Inhaltlich sind die Erzählungen jeweils kleine Herausforderungen, die aber lohnenswert und erkenntnisreich sind.

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13 Kurzgeschichten werden in diesem außergewöhnlichen Buch versammelt. Ich muss zugeben, dass ich von dem Autor zuvor noch nie etwas gehört habe und der Titel hat mich etwas verwirrt. Alle Geschichten spielen mit extremen Gegensätzen, gut und böse, Geschlechterrollen und Seelen die getauscht werden. Allein die erste Frage des Klappentexts hat sofort meine Neugierde geweckt: Was wäre passiert, wenn nicht Jesus die Bergpredigt gehalten hätte, sondern der Teufel? Es wird mit Schein und Sein gespielt. Ich bin großer Fan von solchen Gedankenexperimenten. Meine Meinung: Auch hier muss ich wieder einmal die hübsche Manesse-Ausgabe loben! Durch die handliche Größe passt das Buch wunderbar auch in meine kleine Handtasche und ist unterwegs immer mit dabei. Die Fußnoten und Anmerkungen sind wie immer interessant und sehr hilfreich bei der Lektüre gewesen. Auch das Cover gefällt mir unglaublich gut! Ich liebe diese leuchtenden Farben. Ich bin schlichtweg begeistert von Assis' Kurzgeschichten! Jede einzelne von ihnen hat mich mitgerissen mit einer wunderschönen Sprache, wie man sie nur selten erlebt. Dabei wurde oft von Grausamkeiten geschrieben, dass es mir kalt den Rücken runter lief. Der Autor spielt mit allen möglichen Konventionen, dem menschlichen Verhalten und wirft mit seinen Geschichten kritische Fragen in den Raum. Jede Geschichte ist abwechslungsreich mit interessanten Ansichten, die oftmals engstirnig sind und die Religion betreffen. Dabei fällt auf, dass, obwohl sich die Geschichten von der Intensität ähneln, sie alle andere Schwerpunkte haben. Einige sind düsterer, andere sind ernst, aber vermischt mit einer Portion Ironie und Witz und andere sind sehr märchenhaft. Die Erzählungen sind vielschichtig, abwechslungsreich, unterhaltend, verstörend, grausam und regen definitiv zum Nachdenken an. In dem Kapitel Der wahre Grund eröffnen sich Abgründe der menschlichen Seele. Dadurch entsteht eine besondere Anziehungskraft, die mich wirklich gefesselt hat, auch wenn mich oft die Figuren abgestoßen haben und ich ihre Handlungen teilweise gar nicht nachvollziehen konnte. Alle Erzählungen, ob witzige oder grausame, haben mich auf ihre Weise gepackt und ich hab das Buch in einem Rutsch verschlungen. Fazit: Ich hatte ja schon einmal angemerkt, dass ich eigentlich kein großer Fan von Kurzgeschichten bin. Doch von diesem Buch kann ich einfach nur begeistert sein! Die Erzählungen haben mich in ihren Bann gezogen, sei es auch durch ihre groteske und düstere Art. Sie regen sehr zum Nachdenken an und sind keine leichte Kost. Ich kann es wirklich nur weiterempfehlen!

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Das Cover mag ich nicht

Von: Andreas Schütz

30.08.2018

Eine Leserstimme lobt ausdrücklich das Cover. Vor allem im Hinblick auf die sehr hochwertige Ausstattung des Büchleins möchte ich gerade das Cover aber kritisieren, weil es mittels sogenannter Stock-Fotos gestaltet wurde. Ausdrücklich heben Sie hervor, was für gutes, dauerhaftes Papier, welch exquisite Schrift Sie verwendet haben, und es gibt sogar ein Lesebändchen! Warum verwenden Sie dann ein lizenzfreies Motiv fürs Cover? Ich finde, das geht nicht! Mein Lesevergnügen wird dadurch geschmälert. Schade.

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Wenn Körper für ein Jahr getauscht werden, der Teufel eine Bergpredigt hält oder Spinnisch zu einer Republik führt, dann kann man vielleicht bereits ein Stück weit erahnen, weshalb Joaquim Maria Machado de Assis als ein Vorreiter des Magischen Realismus gilt. In dem Erzählband Das babylonische Wörterbuch versammelt der Manesse Verlag dreizehn Geschichten des brasilianischen Autoren, welche entweder erstmalig in deutscher Übersetzung oder als Neuübersetzung vorliegen und vor allem eins machen: Lust auf mehr! Machado de Assis ist einer der Klassiker und großen Autoren Brasiliens, welcher sowohl Romane, Kurzgeschichten als auch Gedichte publizierte. Bevor ich diesen Erzählband in der Verlagsvorschau sah, hatte ich von ihm allerdings noch nichts gehört – mit der Literatur aus Mittel- und Südamerika habe ich mich bisher leider kaum auseinandergesetzt. Der Klappentext zum babylonischen Wörterbuch klingt allerdings direkt skurril-fantastisch, und man möchte wissen, was dahintersteckt. Auf den knapp 250 Seiten tummeln sich dreizehn Erzählungen, welche zwischen 1882 und 1906 veröffentlicht wurden und einen guten Eindruck zu Machado de Assis‘ Werk bieten. Jede Erzählungen steht dabei für sich, wobei vermehrt religiöse Themen aufgegriffen bzw. auf den Kopf gestellt werden. Die Erzählungen sind voller Widersprüche, mal komisch, mal schaurig, ernst oder versponnen, dabei aber immer auf den Punkt und von der Länge her genau richtig. Die Erzählungen mit religiösen Themen wie Adam und Eva oder Die Predigt des Teufels haben mir tendenziell etwas weniger gefallen, wobei sich trotzdem in ihnen interessante Ansätze finden. Wäre eine „Kirche des Teufels“ praktikabel? Welche Diskussionen hätte es auf der Arche geben können? Das sind tolle Gedankenspiele, bei denen man auch ohne eigenen christlichen Bezug Zugang findet. Allgemein lesen sich alle Erzählungen sehr gut und zeitgemäß – wüsste ich nicht um ihr Alter, hätte ich nie vermutet, dass gut hundert Jahre seit ihrer Erstveröffentlichung vergangen sind. „Das war ein guter Handel. Und überdies eine wichtige Lektion: Hast du mir doch bewiesen, dass das beste Drama nicht auf der Bühne stattfindet, sondern im Zuschauer selbst.“ | aus Der türkische Pantoffel, S. 195 Meine Favoriten in diesem Band waren die Erzählungen mit überraschenden Wendungen, die mich teils an Edgar Allan Poe haben denken lassen. Der türkische Pantoffel hat mir Gänsehaut und einen beschleunigten Puls beschert, Die Wahrsagerin war herrlich gemein und die Alexandrinische Geschichte hat Karma eine ganz neue Bedeutung gegeben. Zu Beginn jeder neuen Erzählungen war ich gespannt, was mich nun erwarten wird: Wird es unheimlich? Lustig? Regt mich der Autor zum Nachdenken an? Das babylonische Wörterbuch war wirklich eine überraschende Wundertüte! Dieser Erzählband ist der mittlerweile neunte Titel in der neuen Manesse Bibliothek, und wie gewohnt ist die Aufmachung mit viel Liebe gemacht. Das kleine gebundene Buch hat eine handliche Größe, wobei die Schriftgröße nicht unter dem Format leidet. Schutzumschlag, Lesebändchen, Fadenheftung und Endpapier sind wunderschön, vor allem die Farbigkeit ist dabei ein Traum! Am Ende des Bandes finden sich Anmerkungen, durch die Anspielungen oder Bezüge in Machado de Assis‘ Werk dem Leser erläutert werden. Wie bereits in Wein und Haschisch fand ich diese gut ausgewählt und informativ. Man muss sich bei Das babylonische Wörterbuch dank ihnen definitiv keine Sorgen machen, dass man keinen Zugang zu den Erzählungen findet. Ich bin gespannt, welche Werke noch in dieser Bibliothek erscheinen und werde von Machado de Assis im speziellen auf jeden Fall noch mehr lesen.

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Ein Erzählband in dem alles auf den Kopf gestellt wird und sogar die Bergpredigt vom Teufel gehalten wird, muss einen dem katharischen Glaube nahe stehenden Menschen gefallen. Darum griff ich zu. De Assis erzählt in einem schmalen Büchlein sonderbare Geschichten. Er erzählt sie in langen Sätzen, die komisch konstruiert sind. Ich kann oft den Sätzen nicht folgen. Trotzdem scheinen die Geschichten spannend zu sein sogar lehrreich. Anders kann ich mir die Kritiken nicht vorstellen. »Ein klug ausgewählter Strauß von Erzählungen des ›Vaters der brasilianischen Literatur‹: phantastische, parabelhafte, dialektische, philosophierende aber auch sozialkritische Geschichten von bestechender stilistischer Vielfalt und Leichtigkeit.«, so applaudiert die SWR Bestenliste aktuell und Eberhard Flacke von Bayern2Radio weiß zu berichten, dass »Mit glänzendem Einfallsreichtum, der diese Erzählungen durchweg auszeichnet, wird hier um das Geschlechterthema ein köstliches Gedankentheater in fernöstlicher Kulisse inszeniert. Eine Susan Sonntag bezeichnet de Assis sogar als den «großartigste(n) lateinamerikanische(n) Autor aller Zeiten.» Ihr merkt schon, ich habe diesmal gar keine eigene Meinung. Darum lasse ich diese hier für sich sprechen: » … Nicht zuletzt der Übersetzerin Marianne Gareis ist zu verdanken, dass wir wenigen Eingeweihten uns damit vergnügen können.« (Süddeutsche Zeitung, Tobias Lehmkuhl). Mein Fazit: Ich bin kein Eingeweihter und erstrecht Kenner von Literatur. Ich lese, weil es mir Spaß macht, weil ich mich in Geschichten versenken will. Vermutlich sind deshalb Kurzgeschichten nicht mein Ding. P.S. Warum habe ich die Katharer erwähnt? Sie hingen einem dualistischem Glauben an und glaubten, alles auf der Welt stammt vom Teufel. Ob das für Autoren und für Literaturkritiker auch gilt?

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Was wäre, wenn …? Rund 150 Jahre vor Trumps alternativen Fakten hat der Meister der „alternativen Storylines“ das literarische Parkett betreten. Er liebt das Absurde, das Abgründige, die Varianten im scheinbar Bekannten. Er sprengt den Rahmen antiker Fabeln, entmystifiziert Mythen, macht nicht mal vor der Bibel halt. Joaquim Maria Machado de Assis dreht die Medaille herum und beleuchtet ihre Kehrseite. Was wäre, wenn der Teufel die Welt erschaffen hätte? War Noahs Arche dem Untergang geweiht? Hat die Seele ein Geschlecht? Dreizehn ausgewählte Geschichten liefern Einblick in die schriftstellerische Bandbreite des Autors und sein herausragendes literarisches Wissen. Dazu gehören pseudohistorische Anekdoten, orientalische Märchen, Bibeltexte, Reiseberichte, politische Reden sowie Kurzgeschichten aus seiner Heimat Brasilien. Allein gemeinsam ist, dass Joaquim Maria Machado de Assis mit den Erwartungen der Leser spielt und uns eine zweite Ebene vor Augen führt, einen alternativen Verlauf der Handlung. Dabei steigt er sprachlich so gekonnt in das jeweilige Geschehen ein, dass die Grenzen zwischen Original und origineller Variation verschwimmen. Ein Vergnügen ist es allemal zu lesen. De Assis hat keinerlei Berührungsängste an historischen oder heiligen Schriften Hand anzulegen. Ein intertextueller, mutiger Quantensprung vom kritischen zum modernen Realismus. Heute gilt de Assis als Wegbereiter von Autoren wie Gabriel Garcia Marquez oder Jorge Luis Borges. Das Paradoxe, Dunkle, Destruktive im Menschen ist ein beliebtes Thema des Autors. Ein scheinbarer Menschenfreund entpuppt sich als Sadist. Eine kameradschaftliche Verbundenheit zerbricht auf brutalste Weise am Ehebruch. Habgier lässt die Arche Noah über den Abgrund schaukeln. Das Geniale wird vom Banalen vereinnahmt, eine Idee zur politischen Floskel umfunktioniert. Spinnenvölker intrigieren, Gelehrte bekriegen sich aus Eitelkeit, ob in der Bibliothek von Alexandria oder in den Akademien von Siam. Ein selbsternannter Herrscher lässt sogar eine neue Sprache erfinden, um den Rivalen seiner Angebeteten, einen Poeten, im Dichterwettstreit zu übertrumpfen. Der Hauptprotagonist des Abgründigen darf hierbei nicht fehlen: Der Teufel ist in den Geschichten reichlich vertreten. Mal verkündet er ein alternatives Evangelium. Mal findet der Machtkampf mit Gott im Paradies ein unerwartetes Ende. Mal will der Teufel eine eigene Kirche bauen, die allen anderen, sich gegenseitig bekriegenden Religionen überlegen ist, denn: „Es gibt viele Arten, etwas zu bejahen, aber nur eine, alles zu verneinen.“ Sprachlich und erzählerisch bringt de Assis nicht nur selbst Großartiges zu Papier. Seine Prosa ist gespickt mit Referenzen anderer großer Meister. Sokrates, Dante, Shakespeare, Schiller, Goethe, Poe und Swift, um nur ein paar Namen zu nennen. Umso erstaunlicher mutet das Geschriebene an, wenn man sich die Biografie des Autors vor Augen führt. Als Mulatte und Enkel eines freigelassenen Sklaven wächst de Assis in einem bildungsfernen Haushalt auf. Sein literarisches Wissen eignet er sich im Selbststudium an. Um 1858 beginnt er als Journalist und Autor. Zu einer Zeit, in der 84 Prozent aller Einwohner des Landes Analphabeten sind und die Sklaverei in Brasilien noch gar nicht abgeschafft worden ist. Darüber gibt ein interessantes Nachwort des Literaturwissenschaftlers Manfred Pfister Aufschluss. Fazit: Ein fantastisches, aberwitziges Kaleidoskop an Geschichten, welche die Grenzen zwischen Schein und Sein, Realismus und Surrealismus, Gut und Böse genussvoll ausloten. Und uns auffordern, die Medaille einfach mal umzudrehen. Es könnte etwas Faszinierendes zum Vorschein kommen.

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