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Rezensionen zu
Die Eismacher

Ernest van der Kwast

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Heute möchte ich Euch von einem Buch erzählen, das mich in der letzten Woche so richtig begeistert hat. In "Die Eismacher" erzählt Ernest van der Kwast über mehrere Generationen die Geschichte einer italienischen Eismacherdynastie. Die Familie verbringt nur den Winter in den Dolomiten, den Rest es Jahres betreibt sie ein Eiscafé in den Niederlanden.  Weil es ein poetisches Buch ist. Und zwar nicht nur, weil der Ich-Erzähler Organisator eines Poetry Festivals ist und seine berufliche Tätigkeit vornehmlich aus dem Jetten rund um die Welt und dem Besuch aller nur erdenklicher Poetry Festivals zu bestehen scheint. Sondern auch, weil aus dem Leben von großen (und kleinen) Dichtern erzählt und aus deren Gedichten zitiert wird. Damit nicht genug, auch der Schreibstil von „Die Eismacher“ hebt sich von anderen Romanen ab. Ich würde ihn durchaus als poetisch bezeichnen. Weil man als Leser einen tiefen Blick in die Seele dieser italienischen Eismacher aus dem einen Tal in den Dolomiten erhaschen kann. Wie es in ihrem Leben keinen Sommer zu geben scheint, denn in dieser Jahreszeit schuften sie sich in der Fremde kaputt. Wie sie in jedem Winter in ihre italienischen Dörfer zurückkehren, um sich zu erholen. Und doch die ganze Zeit zutiefst unglücklich wirken. Mich würde interessieren, ob das wirklich so ist. Ob alle Eismacher diesen Beruf nur aus einer familiären Verpflichtung heraus nachgehen (weil man das in der Familie eben schon immer so gemacht hat). Oder ob es doch den einen oder anderen gibt, der seinen Beruf liebt. Weil es um einen der ältesten Konflikte der Menschheitsgeschichte geht: den zwischen Geschwistern. Der eine opfert sich für die Familie auf, bleibt der Tradition verhaftet und wird nicht glücklich. Der andere bricht aus, entscheidet sich für seine Leidenschaft – die Poesie – aber auch in seinem Leben scheint etwas zu fehlen. Manchmal wirkte es auf mich, als wäre er aufgrund seiner ständigen Reisen vor etwas auf der Flucht. Vielleicht vor der Schuld, die an ihm nagt. Diesem ständigen Gefühl, seinen Bruder und das Eiscafé im Stich gelassen zu haben. Dem kann ich nicht zustimmen. Ich finde, jeder ist seines Glückes Schmid. Meine Mutter hat mir einmal erzählt, dass die Schwester meiner Oma sehr unglücklich in ihrer Ehe war. Denn sie wollte eigentlich einen anderen Mann heiraten. Doch da der evangelisch war, hat ihre Mutter (meine Uroma) gedroht, sie zu verstoßen. Deshalb macht die Schwester meiner Oma noch heute (mit knapp 90) ihre Mutter für ihr Unglück verantwortlich. Dazu meinte meine Mutter, dass sich meine Uroma damals sicher nicht richtig verhalten hat, dass man aber irgendwann für sein Leben selbst verantwortlich ist und nicht mehr alles auf die berühmte „schwere Kindheit“ schieben kann. Da hat sie recht, denke ich. (Kleine Anekdote am Rande: mein Vater ist evangelisch, entsprechend aufgeregt war meine Mutter, als sie ihn meiner Uroma vorgestellt hat. Die hat meinen Vater aber von Anfang an sehr gemocht. Entweder Altersweisheit oder damals steckte doch etwas anderes dahinter). Weil zwischen den beiden Brüdern ganz klassisch auch eine Frau steht. Diese Liebesgeschichte wird wunderschön erzählt und fügt sich großartig in das Gesamtkonzept ein. Also kein Fall von „jetzt müssen wir da auch noch – egal wie – etwas fürs Herz unterbringen“. Weil die „Drei Zinnen“ eine Rolle spielen. Und diese besonderen Gipfel mich als Südtirolliebhaber schon immer begeistert haben. Weil das Buch nicht chronologisch erzählt wird. Einen Erzählstil, den ich erst mit den Jahren lieben gelernt habe. Hier wird er in Perfektion zelebriert und baut einen besonderen Spannungsbogen auf. Für mich eines der besten Bücher, das ich in diesem Jahr gelesen habe.

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Wer hinter „Die Eismacher“ eine romantisch leichte Sommergeschichte vermutet, mit viel Liebe und Freude, der irrt sich. Die Eismacher erzählt auf einzigartige Weise die Geschichte der Familie Talamini. Giovanni nimmt den Leser mit hinein in sein Leben. Der Sohn der italienischen Eismacherfamilie, der sich als Jugendlicher der Poesie verschreibt, mit der Tradition bricht und als Dichter, Lektor und Festival- Leiter einen völlig anderen Lebensweg beschreitet als seine Familie. Obwohl man Episoden aus Giovannis Leben liest, die auf den ersten Blick nichts mit dem Eiscafé und seiner Familie zutun haben, spürt man trotzdem in jeder Zeile die Verbundenheit, die Giovanni noch immer zu dieser Tradition spürt, vor allem aber zu Luca. Luca seinem jüngeren Bruder. Man spürt den Schmerz über das Zerwürfnis, jedes Mal, wenn Giovanni eine Szene zwischen sich und seinem Bruder beschreibt, sei es vor oder nach dem Bruch zwischen ihnen. Genauso merkt man, wie sehr Giovanni trotzdem noch immer das Eis liebt. Fast kann man beim Lesen die Sorten schmecken, die Luca, sein Vater oder sein Urgroßvater mit den Eismaschinen kreieren. Bezaubernd und wunderbar berührend. Das Buch ist mir an vielen Stellen sehr nahe gegangen. Giovanni, der Exot und Außenseiter einer Familie, die seit Jahrzehnten eine Tradition lebt ist eine wunderbare Hauptfigur, so gefühlvoll und so echt. Man liest die Geschichte einer Familie, die untrennbar mit einer Tradition verwachsen ist und nur schwer mit den Veränderungen und dem Zahn der Zeit umgehen kann, man liest die Geschichte einer Familie, die nicht loslassen kann und durfte, die ihre Träume immer für das Eis machen hintenan gestellt hat und man liest vor allem die Geschichte zweiter Brüder, die so viel verbindet, obwohl sie augenscheinlich zu Beginn des Buches alles trennt. Zwei Brüder, deren Wege einfach nicht zu trennen sind, obwohl beide es mehrmals versucht haben. Die Geschichte liest sich unglaublich schön. Teilweise wird man mitgenommen in die Gründerzeit des Eismachergeschäfts der Talaminis, teilweise liest man von der Kindheit von Giovanni und Luca und erlebt ihr Erwachsen werden, die Zeit vor dem Zerwürfnis, die der Annäherung und die danach. Ein wunderbar bittersüßes Buch, das von verlorenen Sommern erzählt, von Familientradition, von Liebe, von dem Gefühl, nicht dazuzugehören und von dem, dazuzugehören zu müssen, von verlorenen Träumen, zerbrochenen Beziehungen und vom Geschmack von Eiscreme. Wunderschön zu lesen und definitiv 5 von 5 Sterne!

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Es gibt verschiedene Kategorien von Büchern (hier eine Auswahl): die Anspruchsvollen: schwer zu lesen, inhaltlich erbaulich die Schmöker: sprachlich grenzwertig bis zum gerade noch Erträglichen, unterhaltsam und spannend die Schmonzetten: sprachlich ud inhaltlich seicht und nur als Notration in langen Nächten aushaltbar die Literarischen: sprachkunstvoll, oft nahrhaft bis zur Überforderung die Verkopften: in denen alles stimmt aber wenig berührt Und die einfach Guten: sprachlich einwandfrei, nährend bis erbaulich, von leichter Hand erzählt, von echten Menschen oder auch ganz groß phantastisch - im Fluss erzählt, mit undenkbaren Überraschungen, Grautönen, hell und dunkel, mit Liebe drin und Hass und echtem Leben - und doch nie ganz in Schwarz. Eins aus der letzten Kategorie, ist für mich "Die Eismacher" von Ernest van der Kwast...ein Inder schreibt über Italiener, über ureigene italienische Eismacherkunst, über Fremdsein, Familiendramen, Leidenschaften, über Poesie und die Liebe und die Liebe und das Leben und das alles im Fluss und doch poetisch, überraschend sowieso.

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Ein Leben, das sich um Eis dreht, bis eines Tages eine neue Leidenschaft dazu kommt- Die Lyrik. Eigentlich ist der Weg des jungen Mannes, der Erzählers in dieser Geschichte seit Generationen vorgezeichnet. Er wird Eismacher, wie sein Vater, sein Bruder und auch sein Großvater. Aber er lernt eine neue Leidenschaft kennen, die Poesie. Es ist eine Geschichte dieser Familie, zweier Brüder, Den Eltern, einer jungen Frau, in deren Mittelpunkt das Eis steht und in deren Leben für andere Leidenschaften wenig Zeit bleibt. Mich bei diesem Buch wirklich der Titel und das wunderschöne Cover angezogen, obwohl ich kein Eisliebhaber bin. Es ist eine Verbindung in diesem Buch zweier Welten, die eigentlich unterschiedlicher nicht sein könnten. Eis und Poesie. Aber wenn ich darüber nachdenke, ist in beiden etwas das zum Genießen einlädt, zum Entdecken neuer Geschmäcker und eine Verwirklichung vieler Idee und Kreativität. Es war ein Buch, das ich angefangen habe zu lesen und in dem ich mich förmlich festgelesen habe. Eine wunderschöne und leicht zu lesende Geschichte, die zum immer wieder Innehalten und einige der Sätze notieren eingeladen hat. Es ist die Verbindung der Geschichte des Eismachens, das dem Erzähler schon von Kindheit an prägt, das er auch nie ganz aufzugeben scheint. Dennoch entwickelt sich bei ihm eine andere Leidenschaft- die Lyrik. Diese Ausführungen, besonders über das Berufsleben, die Lyrik, die Poesie, die Autoren, das war mir ein wenig zu viel. Ich habe am liebsten die Erzählungen, Erinnerungen an die Eisherstellung und deren Traditionen gelesen. Es war ein Buch, in dem der Sohn den Schritt geht und sich seiner Leidenschaft nicht nur im Winter widmet, sondern sich einer anderen Berufung im Leben stellt. Sein Vater, mit dem Sammelsurium im Keller, der Leidenschaft für Erfindungen und Schrauben, aber der dennoch Eismacher wird, er hat mir als Figur auch sehr gut gefallen. Für mich zeigt er auch ein wenig den Schritt nach vorn, den Mut mit Traditionen zu brechen, den Mut, den aber erst sein Sohn gefunden hat. Es ist ein Buch, das ist mit einem Eis genossen werden sollte- Ein Buch voller Eiskreativitäten, voller Geschichten um die Eisherstellung- eine Art Passion- Aber auch ein Buch für Lyrikfans, für Geschichtenliebhaber und einfach ein Buch, das ich vollends empfehlen kann.

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Man sollte sich keineswegs vom appetitanregenden Cover täuschen lassen: Was durch die Farbgebung und die Eistüte wie ein leichter Sommerroman wirkt, entpuppt sich beim Lesen als durchaus tiefgründiger, literarischer Titel. Erzählt wird die Geschichte der Familie Talamini aus dem Cadore-Tal in den Dolomiten über fünf Generationen. Der Urgroßvater des Ich-Erzählers erlebt als Junge eine Erweckung, als er zum ersten Mal vom Speiseeis hört, und wird zum Eismacher aus Leidenschaft. Für seine Kreationen holt er noch das Eis aus den Bergen. Seine Nachfahren betreiben das Eiscafé Venezia in Rotterdam. Vom Frühling bis zum Oktober schuften sie ohne Pause, um dann den Winter zu Hause in den Dolomiten zu verbringen, vier ruhige Monate in Vorbereitung auf die neue Eissaison. Der Lebensweg des Ich-Erzählers Giovanni scheint also vorgezeichnet, doch wie sein Urgroßvater vor ihm hat auch er ein Erweckungserlebnis: Anstatt die Eismachertradition fortzusetzen, verfällt er der Welt der Poesie, studiert Literatur, wird Direktor des World Poetry Festival mit einem Büro schräg gegenüber des Eiscafés in Rotterdam, besucht Poetik-Veranstaltungen auf der ganzen Welt und jagt neuen Dichtern und Gedichten hinterher wie sein Bruder den neuen Eissorten. Er lässt den alten, verbitterten Vater mit den schmerzenden Gelenken, der lieber Erfinder als Eismacher geworden wäre, und seinen jüngeren Bruder Luca mit der Familientradition im Stich. Als kleine Wiedergutmachung verzichtet er auf Sophia, die Jugendliebe beider Brüder, die Lucas Frau wird. Fortan gilt er dem Vater und dem Bruder als Verräter, Luca spricht zwölf Jahre lang kaum ein Wort mit ihm, bis er ihn doch noch um einen unerhörten Gefallen bittet... Ich habe diesen Roman um Familientraditionen, Generationenkonflikte, die Geschichte der Speiseeisherstellung, die Passion für immer neue Geschmacksrichtungen und die Welt der Gedichte ausgesprochen gerne gelesen. Mein Blick auf italienische Eiscafés und die Familien, die jeden Sommer für unseren Eisgenuss sorgen, und über die ich mir bisher kaum Gedanken gemacht hatte, ist ein anderer geworden. Nur die detaillierte Beschreibung der weiblichen Anatomie, in der sich der Autor mit Wonne ergeht, hat mich bisweilen genervt, konnte meinen Lesegenuss jedoch insgesamt nicht trüben. Ein wirklich empfehlenswerter Roman des in Rotterdam und Südtirol lebenden indisch-niederländischen Autors Ernest van der Kwast, der dem diesjährigen Gastland der Buchmesse alle Ehre macht!

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Die reine Poesie, wenn über den Geschmack von Eis philosophiert wird. Dazu die Kombination von Lyrik und Eismacherkunst, wie ich es aus meinem eigenen Leben kenne (ich bin Leser und Übersetzer und Literaturliebhaber, meine Frau hat ein Eiscafé - natürlich macht sie das Eis selbst! - mit Bücherecke). Das pure Vergnügen, in dem die zwei schönsten Dinge des Lebens miteinander verbunden werden. Obendrein erfährt man noch Vieles über die italienische Eismachertradition, wunderbare Anekdoten und Geschichten rings um das Metier. Da ist es egal, dass die italienische Familie in dem Buch das Eiscafé in Rotterdam eröffnet, denn die Unterschiede zu den italienischen Eisdielen (so hießen sie) in meiner Heimatstadt im Ruhrgebiet, die im Herbst schließen und im Frühjahr wieder öffneten, sind minimal oder überhaupt nicht vorhanden.. Ein tolles Buch, genau richtig für die Sommerlektüre (und anschließend zum nächsten Italiener!)

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Genuss, Erotik, Tragik, Komik - Lesevergnügen pur!

Von: Christoph Wirth aus Brachbach

14.07.2016

Um es gleich vorweg zu sagen: Die folgenden Zeilen werden eine Liebeserklärung an Ernest van der Kwasts Roman „Die Eismacher“. Er zergeht wie Eis auf der Zunge, ist ein sprachlicher, literarischer, erotischer, sinnenfroher, tragikomischer Genuss. Im Mittelpunkt steht die Familie Talamini, die in der fünften Generation die Kunst des Eismachens beherrscht, und eine Kunst ist es in der Tat. Während der Urgroßvater noch das Eis mühsam vom Gletscher der Berge holte, experimentiert die junge Generation mit allen nur denkbaren Zutaten (Wobei das Eis mit Blauschimmelkäse, Apfel und Birne noch zu probieren wäre!). Im Sommer betreibt man die Gelateria in Rotterdam, im Winter geht es in die heimatlichen Dolomiten. Luca, der jüngste Familienspross, übernimmt die Eisdiele von seinem Vater, während der zwei Jahre ältere Giovanni mit der Familientradition bricht und seine Passion für die Poesie lebt. Seine Welt ist nicht das Eismachen, ist nicht der chinesische Gast, der behauptet, ein Landsmann habe das Eis erfunden. Seine Welt ist die Literatur, sind die Kneipen seines Studienortes Amsterdam mit ihren Dichtern. Beide Brüder haben ein inniges Geschwisterverhältnis, gehen bis zur ersten Verliebtheit meist Hand in Hand durch die Straßen. Sie verlieben sich beide in Sophia, und van der Kwast erzählt diese erwachende Leidenschaft mit unglaublicher Behutsamkeit, Feingefühl und Empathie. Der Leser wird getragen zwischen kreativen Eisideen, traditionellen und modernen Familienbanden, zwischen leidenschaftlichen Momenten und inniger Liebe zur Poesie. Die Hinweise auf die zitierten Gedichte finden sich im Anhang, sodass man sich auf die Suche nach den lyrischen Texten begeben und sie parallel zum Roman genießen kann. Skurriles, Anekdotisches, feinste Beobachtungen und eine beneidenswerte Sprache machen „Die Eismacher“ zu einem besonderen Roman. Ich kann nur jedem empfehlen, sich in seiner Gelateria seinen Lieblingseisbecher zu bestellen, dazu das Buch zu lesen – das ist purer Genuss im eher trostlosen Sommer 2016. Für mich ist es bisher der Roman des Jahres!

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Als ich Kind war, gab es in den Sommermonaten rare Sonntagnachmittage, an denen ich mich stolz neben meinen Vater in den lagoblauen (so hieß das damals tatsächlich) Familien-Opel B Kadett setzte. Ziel der kurzen Fahrt war Rosselli – die Eisdiele mit dem besten italienischen Eis, das ich kannte. Zugegeben, viel Auswahl an echt italienischen Eisdielen gab es damals bei uns nicht, aber Rossellis Eis war tatsächlich ein Gedicht. Zwei, allerhöchstens drei Kugeln gab es pro Nase und meine Aufgabe war es, die kostbare, aus vier mit jeweils einer Waffel bedeckten Bechern bestehenden Fracht auf meinen Knien balancierend sicher nach Hause zu bringen. Rosselli gibt es zwar noch, aber heute habe ich in meinem Heimatort, den ich vor über elf Jahren endgültig verlassen habe, noch einen begnadeten Eismacher gefunden. Von Zeit zu Zeit spiele ich mit dem Gedanken daran, ihn zu bitten, mich in seine Kunst einzuweisen. Denn wenn er endgültig wieder in seine Heimat und damit in Rente geht, gibt es niemanden, der sein Handwerk weiterführen wird. Zumindest keines seiner Kinder. Ich weiß nicht, wie Ernest van der Kwast auf die Idee kam, eine Familiengeschichte über italienische Eismacher zu schreiben, aber während der Lektüre seines neuesten Romans Die Eismacher ploppten die beschriebenen kostbaren Erinnerungen an die Oberfläche meines Gedächtnisses. Fast meinte ich die Textur und den Geschmack des nur bei Rosselli so wunderbar weichen Blaubeereises, das schon durch seine unglaubliche Farbe in der Vitrine heraus stach, auf meiner Zunge zu spüren. Aber eigentlich ist der Roman, den van der Kwast geschrieben hat, nicht nur eine Liebeserklärung an die Kunst des Eismachens, sondern mindestens ebenso sehr eine Huldigung der Literatur, genauer gesagt, der Lyrik. Gedichte spielen hier eine wichtige Rolle, wendet sich der Ich – Erzähler Giovanni doch von der familiären Tradition ab, um sein Leben der Lyrik und deren Verbreitung zu widmen. “ Für Lyrik brauche man mehr Geduld, als für Prosa, sie nehme keine Rücksicht auf das Auffassungsvermögen der Leser; so manches Gedicht lege anscheinend gar keinen Wert drauf, gelesen zu werden. … Es gebe keine Regeln, kein Rezept. Poesie könne überwältigen, rühren, trösten, schwer sein oder gewichtslos. Und noch viel mehr. Unverständlich und doch brilliant.“ Nicht ohne schlechtes Gewissen und nicht ohne Turbulenzen in der Familie – hat doch Giuseppe Talamini, der Urgroßvater Giovannis, angeblich das Eismachen erfunden. So erzählt es zumindest Beppi, der Vater von Luca und Giovanni, gerne immer wieder. Beppi, der sein Leben lang eigentlich nichts anderes sein wollte, als ein Erfinder und der nun, achtzigjährig die meiste Zeit in seiner Werkstatt verbringt, fern der Eisdiele, die er jahrelang in Rotterdam betrieb. Van der Kwast gelingt es wunderbar, die unterschiedlichen Zeiten, die die Eismacher durchleben, in eine dichte, authentische Atmosphäre zu packen. Vermutlich liegt das auch an seiner Liebe zu Lyrik, die dem Roman eine weitere Dimension verleiht. Nicht nur inhaltlich, sondern auch sprachlich. Poetische Bilder sind es, die da vor dem inneren Auge aufsteigen. Leidenschaft ist ihr Kern. Denn im Grund geht es darum, was es heißt, auszuscheren aus einer Familientradition, die eigenen Wünsche zwar zu verwirklichen, aber oft dabei von Gewissensbissen geplagt zu werden. Familienbindungen sind schwer zu lösen, meist ist das schmerzhaft. “ Hauchdünne Fäden zogen an mir – alles war mit allem verbunden, mein Magen mit der vibrierenden Eismaschine, mein Herz mit dem Messer in der Küche, dessen Klinge rot vom Erdbeersaft war, mein Kopf mit dem Haus in Venas, meine Füße mit dem Tannenwald, dem Boden voller Wurzeln.“ Zudem zieht eine Entscheidung gegen den vermeintlich vorgezeichneten Weg doch meist Groll bei den davon betroffenen Familienmitglieder nach sich.So auch bei den Talaminis: Giovanni fühlt sich vor allem in der Welt der Literatur wohl und kehrt dem Eismachen den Rücken. Er spürt in den folgenden Jahren die Enttäuschung der Familie, vor allem die seines Bruders Luca, der lange kein Wort mehr mit ihm sprechen wird. Doch letztendlich ist Blut dicker als Wasser und eine weitere Generation von Eismachern taucht am Horizont auf. “ Das jahrelange Schweigen war bedeutungslos. Es war leer, man konnte es leicht zusammendrücken, bis es gar nichts mehr war. Zwölf Jahre, jedes Jahr eine Schneeflocke, die sich schon aufgelöst hatte, noch bevor sie den Boden berührte.“ Nicht nur meine Kindheitserinnerungen hat van der Kwast mit seinem poetischen, tiefgreifenden Roman hervor gekitzelt. Auch das Wiedererkennen der familiären Fallen, in die man so leicht tappen kann. Erwartungen, die nicht erfüllt werden, Enttäuschungen, die nicht ausgesprochen werden. Doch ist es wirklich wahr, dass man durch eigene Entscheidungen, die der anderen einschränkt? Ich meine nein. Entscheidungen muss jeder für sich selbst treffen, ihre Konsequenzen aushalten können. Und die Erwartungen der Familie entgegen eigener Wünsche zu erfüllen, ist ebenso eine Entscheidung, die nicht andere für einen treffen. Ernest van der Kwast ist mit seinen Eismachern ein Roman gelungen, der aus vielen Schichten einen schillernden Stoff ergibt. Er verwebt sehr gelungen verschiedenste Geschichten miteinander, schafft eine schöne, ruhige Atmosphäre, die wahre Leben repräsentiert. Leben in einer Zeit der Entbehrungen, als der Urgroßvater Talamini im Jahr 1891 mit bloßen Händen Eis erntete und damit später verführerisches Speiseeis machte, später dann ein Leben der Talaminis zwischen der Heimat im Tal der Eismacher mitten in den Dolomiten, in der sie den Winter verbringen und den arbeitsreichen Monaten in den Niederlanden, wo sie ihr Eiscafé betreiben. Im übrigen verbringen die noch schulpflichtigen Kinder der Eismacher – Familien nur die Zeit der Winterpause und die Sommerferien mit ihren Eltern. Was das für die Familienbande heißt, kann man sich durchaus vorstellen. Wer sich von Cover und Klappentext verleiten lässt, ein durchweg komisches Buch zu erwarten – auch das ist der Roman durchaus – der wird allerdings enttäuscht sein. Wie so häufig ist auch hier die Devise: Never judge a book by its cover! Lässt man sich darauf ein, liest man ein sprachlich wunderbar verfasstes, vielschichtiges Werk, das alle Gefühlslagen auslotet und Lust auf mehr macht. Und damit meine ich nicht nur Eis, sondern auch weitere Bücher eines für mich neu entdeckten Lieblingsautors, der mir nebenbei durch seine profunde Kenntnis die Welt der Lyrik wieder näher brachte. „Es ist unmöglich, alles zu erzählen, die vollständige Geschichte. Wir kennen sie nicht. Wir waren nicht bei allem dabei. Wir erzählen einander, was wir wissen. Wir versuchen, Rätsel zu lösen.“

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