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Rezensionen zu
Mittagsstunde

Dörte Hansen

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Mittagsstunde

Von: Mike Paulsen aus Stuttgart

05.01.2024

Mike Paulsen Liebe Doris Rehse, Kröger ist hier kein Name, sondern die Berufsbezeichnung für Gastwirt oder Schankwirt. Wenn man im Norden sagt, man geht zum Kröger, geht man also in die Gastwirtschaft. Und Marret ist die Tochter von Ella und dem Lehrer Christian Steensen, also ein Kuckuckskind, das von Sönke mit aufgezogen wird. Ich liebe dieses Buch, weil es auch in meinem Heimatdorf Holzbunge spielen könnte und mir vieles bekannt vorkam. Außerdem ist es humorvoll und typisch norddeutsch halt. Im Film werden leider viele Details weggelassen, gut ist er aber dennoch.

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Ingwer Feddersen, der an der Uni in Kiel als Ärchologe arbeitet, kehrt in seinem Sabbatjahr in sein Heimatdorf Brinkebüll in Nordfriesland zurück. Dort wuchs er bei seinen Großeltern und seiner wahnsinnigen Mutter Marret auf, die, aufgrund ihrer ständigen Prophezeiungen des Untergangs, von den anderen Dorfbewohnern nur Marret Ünnergang genannt wurde. Seine Mutter ist mittlerweile tot und seine beiden Großeltern pflegebedürftig. Der prophezeite Ünnergang ist tatsächlich für das Dorf Brinkebüll ein wenig eingetreten. Die einst so romantische Dorfidylle musste der Flurbereinigung weichen, die zahlreiche Modernisierungsmaßnahmen mit sich zog. Ingwer schwelgt in Erinnerungen, arbeitet seine Vergangenheit auf, reflektiert seine ins Nichts führende Beziehung zu seiner Mitbewohnerin und kümmert sich liebevoll um seine Großeltern. Während seines Aufenthaltes macht er sich auf die Spuren seiner Vergangenheit und stößt dabei auf einige Überraschungen. Die Story klingt auf dem ersten Blick banal, aber der Dorf- und Familienroman zeichnet detaillierte Porträts der verschiedenen Figuren, die den Typus „Nordfriese“ in seiner Schnoddrigkeit und herzlichen aber immer leicht unterkühlten Art, so wunderbar widergibt. Als Nordfriesin kann ich nur sagen, dass das Lokalkolorit dieses einsamen und rauen Landkreises, der gleichzeitig aber mit seiner atemberaubend schönen Weite beeindruckt, nicht besser hätte in Worte gefasst werden können.

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Im ersten Moment war ich überrascht, als beim Starten dieses Hörbuchs die tiefe und eindringliche Stimme der bekannten Schauspielerin Hannelore Hoger erklang. Ich stellte mich innerlich schon auf anstrengende Hörstunden ein. Umso verwunderter war ich schließlich, als ich gar nicht genug kriegen konnte davon … vom platten Schnack, der mich über elf Stunden lang unterhielt … Auf Basis des Buches der Schriftstellerin Dörte Hansen, die ich schon aus ihrem ersten Roman „Altes Land“ kannte, erzählt Frau Hoger die Geschichte eines kleinen Dorfs im hohen Norden nahe Husum, wie es seinesgleichen in den 50er, 60er, 70er Jahren in ganz Deutschland zu finden gab. Die Dorfstraße war holperig, große Bäume spendeten im Sommer Schatten, es gab einen kleinen Laden, in dem man einkaufte und die Welt schien in Ordnung, denn alles ging seinen Gang und jeder wusste um seinen Platz im Leben. Es gab wenig Aufregendes zu erleben. Die Highlights im Jahr waren runde Geburtstage und Jubiläen, die im alten Dorfkrug bei Familie Feddersen gefeiert wurden. Ella und Sönke Feddersen, inzwischen beide in den Neunzigern, leben noch immer dort, unterstützt von ihrem Enkel Ingwer, der sie an den Wochenenden besuchen kommt. Um sie und das Dorf dreht sich der Roman. Und um das Erreichen der Gnadenhochzeit. Ach ja, und ein wenig auch um Ingwer, der sich mit seinen fast fünfzig Jahren fragt, ob er alles richtig gemacht hat im Leben … Der oft nüchterne und dennoch fast ein wenig magisch anmutende Rückblick auf ein dörfliches Leben, das immer mehr zu verschwinden droht, hat mich fasziniert. Es ist ein ruhiges Buch aber nie langweilig. Der starke Dialekt aus dem Norden weckte in mir so manche Erinnerung an Sommerurlaube an der Ostsee bei Oma und Opa in Friedrichsort an der Ostsee, wo für uns Kinder die Welt auch noch in Ordnung war. Ich sortiere dieses Hörbuch gedanklich in die Kategorie „Lieblingsbuch“ und vergebe hierfür die verdiente volle Punktzahl. Bin schon gespannt, was sich Dörte Hansen als nächstes ausdenken wird. Ich werde auf jeden Fall wieder dabei sein!

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Ingwer Feddersen, 47 Jahre alt, eigentlich Dozent an der Uni aber zwischendurch auch Altenpfleger, Reinigungskraft, Koch oder Taxi-Fahrer. Je nachdem, was gerade gebraucht wird. Das Dorf, darüber schreibt Dörte Hansen. Nicht um Ella geht es, die ganz langsam immer weiter in ihrer eigenen Welt versinkt. Nicht um Sönke, ihren Mann, der aus dem Krieg zurück gekommen ist, plötzlich nur noch eine halbe Frau hatte und wohl für immer in seiner Kneipe hinter dem Tresen stehen wird. Es geht um das Dorf, wie es langsam stirbt. Und mit ihm auch die Menschen. Der Supermarkt hat schon lange geschlossen, in den 1970ern war die Flurbereinigung da und hat alle Traditionen aus der Landschaft entfernt, die Bäume an der Hauptstraße wurden gefällt und eine neue Straße verlegt. Das Dorf wird langsam immer kleiner, genau wie auch Ella und Sönke. Und Ingwer muss ihnen dabei zugucken, allen dreien. Als junger Mann hat er sein Erbe ausgeschlagen, wollte lieber in Kiel studieren als in der Kneipe hinter dem Tresen zu stehen. Er hat etwas gut zu machen, deshalb begleitet er Ella, Sönke und auch das Dorf, er kann sie alle drei nicht verlassen. Unsere Heimat, wieviel ist sie wert? Brauchen wir sie wirklich? Sind es die Menschen, oder sind es die Häuser, die wichtig sind? Wie lange kann man seine Heimat, und damit auch seine Bestimmung verleugnen? Die Bestseller Autorin stellt wichtige Fragen in ihrem Buch, sie ist auch diejenige, weswegen mir das Buch aufgefallen ist. Nicht das Cover, obwohl der scheinbar so sture Ochse wunderbar zum Inhalt passt. Mit "Altes Land" hat Dörte Hansen einen Bestseller geschrieben, die Verfilmung hat mich nicht überzeugt. Das Buch habe ich nie gelesen, weshalb ich ihr jetzt eine Chance geben wollte. Und es hat sich absolut gelohnt. Jede der Figuren ist perfekt ausgestaltet, fast durchgängig wird Plattdeutsch gesprochen, die Texte außerhalb der Dialoge sind auf Hochdeutsch geschrieben. Die Autorin erinnert uns an die Generationen vor uns, an Kinder, die wenige Monate nach der eiligen Hochzeit geboren werden, an Dörfer, die jahrelang vom Wind gequält wurden und jetzt langsam sterben. An Heimatlose, die nicht zurück kehren wollen. Daran, wie kurz das Leben sein kann. Aber auch wie reich, wie es ist, in einer Dorfgemeinschaft aufzuwachsen. Mit Freunden, die schon seit Generationen Freunde der Familie sind. Da, wo jeder jeden kennt. Und auch da, wo eben doch nicht jeder alles weiß. Der Roman von Dörte Hansen hat seine guten Kritiken in jedem Fall verdient. Leicht melancholisch, wunderbar auf den Punkt.

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„Altes Land“ war das erste Buch in unserem Lesekreis, bei dem wir uns alle einig waren, dass es einfach großartig ist. Ein wenig fürchteten wir uns vor Dörte Hansens neuem Roman „Mittagsstunde“. Konnte dieses Buch wieder genauso gut werden? Oder gar noch besser sein? Auch dieses Mal waren wir uns wieder einig: „Mittagsstunde“ war fantastisch, vielseitig und unbedingt lesenswert! Dörte Hansen schreibt intensiv und wortgewandt über die Menschen in Brinkebüll und es gelingt ihr auf nur 320 Seiten ein umfassendes, lebendiges Bild über die Jahrzehnte zu zeichnen. Man lebt, liebt und leidet mit den Menschen, die so liebevoll, authentisch und einprägsam gezeichnet sind, dass man sie persönlich zu kennen glaubt. Dabei wird so gekonnt mit wenigen Worten vieles nur angedeutet, was man sich selbst zwischen den Zeilen erschließen kann. Dadurch ist dieses Buch ein Buch für Jedermann und Jederfrau – man erkennt sich selbst, seine Nächsten, seine Nachbarn, sein Dorf. Selbst die Städter unter uns. Für die eine ist es die Geschichte von Ingwer Feddersen, dem unehelichen Sohn der verrückten Marret. Ein Mann, der zurückblickt, sich in der Mitte des Lebens selbst und seinen Platz in der Familie findet. Für die andere ist es die Geschichte von Sönke Feddersen, der aus dem Krieg in ein verändertes Leben zurückkam. Für mich war es die Geschichte von Brinkebüll, der sich unter dem rasanten Fortschritt verändernden Gemeinde. Das Aufkommen und Verschwinden der Mähdrescher, begleitet von der alten Musikbox im Dorfkrug, mit deren Musik Dörte Hansen durch die Kapitel ihres Romans trägt. „Mittagsstunde“ ist eine Geschichte vom Niedergang des alten Dorflebens, der alten Strukturen in den Gemeinden, aber es geht auch um Aufbruch und Chancen. Chancen für die, die auf dem Dorf „verkümmern“ würden, Chancen für junge Frauen ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Natürlich ist auch Trauer um das Vergangene ein Thema. Die Sehnsucht nach dem Alten und Bewährten auf dem Lande. Städter, die aufs Land ziehen, um etwas zu suchen, das aus ihrem Leben verschwunden ist. So entstehen neue Gemeinden mit neuen Schwerpunkten und einem anderen Lebensgefühl. Es bleiben die Heimatvereine, Bewahrervereine und Hinweisschilder, die die Landschaft einem Museum gleich machen, und an das erinnern, was war. Für mich, und ich denke auch für unseren Lesekreis, ist Dörte Hansens „Mittagsstunde“ schon jetzt ein absolutes Lesehighlight in diesem Jahr und ich kann das Buch unbedingt allen empfehlen, die es noch nicht kennen. © Tintenhain

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In den letzten Tagen habe ich ein kleines Resümee meines Lesejahres gezogen und bin dabei an einem Roman hängen geblieben, den ich (Premiere) ausnahmsweise nicht gelesen, sondern gehört habe: "Mittagsstunde" von Dörte Hansen. In diesem Buch behandelt die Autorin ein Thema, welches mich selbst wohl etwas zu sehr beschäftigt, als es mich meines Alters entsprechend beschäftigen sollte. Das Aussterben alter Dorfstrukturen, die viel zu schnelle Urbanisierung und der damit verbundene rasende Gesellschaftswandel. Der Roman ist eine Bilanz, die unter dem letzten Jahrhundert gezogen wird und gleichermaßen das Portrait zweier Generationen, die einander fremd geworden sind: Die "Alten", die von der modernen, immer digitaleren Gesellschaft nicht mehr mitgenommen wurden und die "Jungen", die euphorisch und unverbraucht den Wandel begrüßt haben und nun nicht mehr zurück zu ihren Wurzeln finden. Mit Hannelore Hoger als Vorleserin gewinnt die Erzählung an Ruhe, die dem hektischen Leser eventuell entgangen wäre. Ich habe mich ein bisschen so gefühlt, als würde ich zur Mittagszeit in der stillen Küche bei meiner Oma sitzen und ihren Kindheitserinnerungen lauschen. Selbst wenn ich "in Wirklichkeit" am Bahnhof in der Stadt stand und auf meinen (überfüllten) Zug wartete. Die Worte haben mich auf eine seltsam vertraute Art und Weise berührt mich nachdenklich zurückgelassen. Schaffe ich es, meine Wurzeln zu pflegen und gleichzeitig nicht den Anschluss in dieser sich rasend schnell verändernden Welt zu verpassen?

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Dörte Hansen liefert mit ihrem zweiten Roman "Mittagsstunde" eines der Lesehighlights 2018. Das Buch ist Familienroman, Heimatroman und Gesellschaftskritik zugleich. Mich hat es vor allem sprachlich überzeugt. "De Welt geiht ünner", sagt Marret Feddersen immer wieder. Marret ist etwas wirr im Kopf, die obligate Dorfverrückte, die überall Zeichen für den Untergang der Welt zu sehen meint. Und ein Stück weit hat sie recht. Zumindest steht das fiktive Dorf Brinkebüll in Nordfriesland vor grossen Veränderungen. Da wären die grosse Flurbereinigung, die moderne Technik, die die Landwirtschaft umstrukturiert, ein neuer Lehrplan - ohne Heimatkunde und Gewalt! -, Neuzuzüger, die keine Ahnung haben vom Landleben - und von der heiligen Mittagsstunde! "Niemand konnte leiser essen und Treppen geräuschloser hinaufschleichen als Kinder, die in Nordfriesland aufgewachsen waren. Wenn es etwas gab, was den Menschen hier oben heilig war, dann war es ihre Mittagsstunde." (S. 22) Drei Generationen Dorfmenschen Marret ist die Tochter von Ella und Sönke Feddersen, den Wirtsleuten von Brinkebüll. Na, zumindest auf dem Papier. Die Flurbereinigung bringt nicht nur dem Dorf eine neue grosse Strasse, eine neue, effizientere Landeinteilung, sondern dank einem der Landvermesser auch ein Kind für Marret. Ingwer wird aber hauptsächlich von seinen Grosseltern aufgezogen. Und dieser Ingwer ist einer der wenigen, der den Absprung aus dem Dorf schafft. Immerhin vorübergehend lebt er in Kiel, in einer Dreier-WG bzw. in einer Dreierbeziehung, ist Professor für Archäologie. Schliesslich zieht es jedoch auch ihn zurück aufs platte Land. Dörte Hansen erzählt die Geschichte eines Dorfes und seiner unausweichlichen Veränderung. Sie tut das in diesem Fall entlang dreier Generationen der Familie Feddersen. Das weitere Personal - der Dorfschullehrer, der Metzger, der Landwirt, die Ladenbesitzerin, der Bäcker, die Stadtmenschen - spielt nur Statistenrollen. Und sie tut es wie bei ihrem Debüt "Altes Land" mit ironischem Blick und viel Sprachgewalt, im positiven Sinne. Den ersten Teil von "Mittagsstunde" habe ich gelesen wie ein Gedicht oder ein Lied. Unglaublich, wie viel Rhythmus Dörte Hansen in einen Text bringen kann und in welch rasantem Takt sie neue Sprachbilder raus haut. Und das Ganze ist immer wieder durchsetzt von plattdeutschen Einschüben, so dass man die windschiefen, verschrobenen, wettergegerbten Menschen direkt vor sich sieht. Und ab und zu darf man auch herzhaft lachen, so skurril und doch so realistisch gebärden sich die Dorfbewohner. "Er hing an diesem rohen, abgewetzten Land, wie man an einem abgeliebten Stofftier hing, dem schon ein Auge fehlte, das am Bauch kein Fell mehr hatte. Auch das ein Fall fürs Handschuhfach, Klappe zu und keine Kommentare, besten Dank." (S. 18) Zuhause daheim? Dörte Hansen reiht sich mit ihrem Roman in andere moderne Heimatromane wie Juli Zehs "Unterleuten" oder Kathrin Gerlofs "Nenn mich November" ein. Sie erfindet nichts Neues, erzählt von gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umwälzungen, die wir Landmenschen auch aus eigener Erfahrung kennen. Sie fokussiert auf zwischenmenschliche Beziehungen, auf Schicksale, wie es sie tatsächlich zu tausenden gibt. Im Literaturclub des Schweizer Fernsehens war man sich denn auch ziemlich uneinig darüber, ob das nun lesenswert oder blutleer und oberflächlich, ja teils sogar kitschig sei. Für Iris Radisch (Der Sog der Heimat, Die Zeit, 21.11.2018) ist "Mittagsstunde" ein Dorfroman, der verlorenes Terrain in der deutschen Provinz neu vermisst. Der Reiz von "Mittagsstunde" liegt für mich neben der Sprache in den fein gearbeiteten Verflechtungen zwischen den Generationen, zwischen den verschiedenen Dorfbewohnern und wie sich uns so mehr und mehr die wahre Geschichte hinter dem Schein des wohlgeordneten, wohlanständigen, über Jahrhunderte eingeübten Dorflebens offenbart. Fazit Mit "Mittagsstunde" liefert uns Dörte Hansen erneut ein Panorama des Dorflebens, geschickt verflochten mit der Geschichte einer Familie, ihren Sorgen und Nöten und ihrem Umgang mit den äusseren Einflüssen - seien dies nun Krieg, Landvermesser oder egozentrische Städter. Sprachlich ist der Roman eine Wucht. Man kann sich so richtig in Hansens Sprachbildern verlieren, die Ironie geniessen und tief in die Gefühlswelt ihrer Protagonisten eintauchen. Ein literarisches Highlight von 2018, das ich nicht nur Landeiern empfehlen kann, sondern auch Stadtmenschen mit Interesse an Dorfgeschichten.

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Der Wind bleibt der gleiche.

Von: Manfred Fuerst aus Kirchbichl

06.08.2019

Nordfriesland, wie das Land, so die Leut. Hansen richtet unerbittlich ihr Brennglas ein halbes Jahrhundert auf Dorf, Stadt und Land und Leut. Dass sich das Landleben geändert hat und ändert: Landflucht, technischer Fortschritt, vermeintlich Moderne und „back tot he roots“ ist allen Lesern geläufig, aber das WIE, wie es von Hansen in Wortform gegossen wird ist herausragend. Hansen seziert das Dorf, die Gesellschaft, die Menschen im Stile einer peniblen Gerichtsmedizinerin unbarmherzig und schonungslos, während andere Augen, Nase und Mund verschließen. Keine Spur von Sentimentalität oder nostalgisch romantische Verklärung, fast schmerzt die unfassbare Direktheit. Man hätte vielleicht einen verklärten Rückblick erwartet, aber nichts von dem. In jede Wunde wird nicht einen Finger gesteckt, sondern zwei. Fossilien fürs nächste JT. Ich liebe Ingwer, getrocknet als Tee, nicht pur, sondern mit grünem Darjeeling. Ingwer hat etwas von mir - ich bin auch ein Fensterputzerfan. Wenn man Hansen heißt, dann muss man solche Bücher schreiben. Wie Thomas Bernhard. Meinen nächsten Urlaub mache ich in Nordfriesland. „The Times They Are A-Changin' „, der neue Header. Elegie und Melancholie bis zum geht nicht mehr. Hansen schildert den Pflegealltag von Ingwer bei Ella und Sönke. Der Leser erschrickt wie treffend und pointiert die Realität beschrieben wird. Jeder Richter müsste Verständnis für einen Pfleger haben, wenn dieser „durchdreht“ – er muss ja nicht gleich zum Killer werden. Ingwer (48 Jahre) sinniert während der Ganzkörperpflege von Sönke über sein Leben: Zweieinhalb Jahre in einer Dreier-WG mit Claudius und Ragnhild (50, rat gebende Kämpferin oder herrschende Göttin - sucht’s euch aus). Drei verlorene Seelen - fossilisiert. Ein Fressen für Psychologiestudenten, eine nichtteilnehmende Beobachtung mit „open end.“ Das „Platt“ hat die zweite Lautverschiebung nicht mitgemacht, die Gesellschaft hat sich verändert, der Wind ist immer noch der gleich, ein literarisches Meisterwerk.

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