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Rezensionen zu
Der Stift und das Papier

Hanns-Josef Ortheil

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€ 21,99 [D] inkl. MwSt. | € 22,70 [A] | CHF 30,50* (* empf. VK-Preis)

Dieses Buch ist eine autobiographische Reise in die Kindheit des Autors. Er hat eine sehr eigene und tragische Geschichte zu tragen. Er ist der jüngste von 5 Söhnen und der einzige der noch lebt. All seine Brüder sind verstorben und dieses Trauma hat dazu geführt, dass seine Mutter nach dem Krieg für Jahre verstummt war. Das gleiche wiederfuhr ihm. Er schwieg über Jahre und das führte dazu, dass er in der Schule so gut wie keine Chance hatte. Dieses Buch ist nicht nur ein Rückblick auf diese Geschichte, sondern wird oft aus der Sicht des Kindes erzählt, so dass man wie hineingezogen wird in dieses seltsame Leben. In dem Begriffe keine Bedeutung haben, einfachste Wörter nicht zugeordnet werden können und die Welt dadurch zu einem Ort wird, der einem ständig das Gefühl gibt nicht richtig zu sein. Seinem Vater ist es zu verdanken, dass Hanns Ortheil doch noch einen Zugang in die Welt der Wörter fand und später zu einem preisgekrönten Schriftsteller wurde. Dieser Weg dorthin führte über eine besondere Art der Schreibschule, die sein Vater mit ihm begann. Im Westerwald in einer Jagdhütte, die zu einer Schreibhütte wurde, wenn man so will. Es waren kleinste Übungen am Anfang um überhaupt das Gefühl eines Stiftes auf Papier zu entdecken. Anfangs noch vollkommen ohne Worte, nur im Spüren der Materialien. Danach folgten einfache Wörter und kleine Beobachtungen. Alles wurde auf extra Zettel geschrieben und akribisch sortiert und in einem Archiv aufbewahrt. Dieses Archiv wuchs weiter durch den Beginn von Tageschroniken, die Beobachtungen aus dem laufenden Tag beinhalteten. Diese Schreibreise bewegt sich immer weiter bis hin zu Erfolgen in der Schule und darüber hinaus. Die Mutter fand in einem späteren Verlauf ebenfalls eine eigene Art ihrem Sohn Schreibaufgaben zu geben. Welche große Bedeutung Wörter und das Schreiben für Hanns Ortheil für sein gesamtes Leben haben, spricht aus jeder Zeile dieses wunderbaren Buches. Mich hat es sehr berührt diesen Weg zu verfolgen aus der Sprachlosigkeit hin zu einer Schreib- und Sprachfülle zu gelangen. Wer sich für ungewöhnliche Lebenswege interessiert und vielleicht selbst dem Schreiben etwas abgewinnen kann, wird hier eine faszinierede Lektüre finden.

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Es gibt viele Gründe, etwas Verschriftlichtes für die „Nachwelt“ festzuhalten. Vielleicht wollen wir uns später an wichtige Momente unseres Lebens erinnern und schreiben deshalb Tagebuch. Vielleicht wollen wir den Überblick über gesellschaft-politisches oder kulturelles Geschehen behalten? Dann bietet sich eine Chronik oder ein Archiv an, wo wir Relevantes nach Kategorien geordnet sammeln können. All diese Scheibformen sind jedoch nicht nur reflexiv – wir reflektieren uns und unsere Umgebung, sondern auch nach innen gerichtet – introspektiv. Der eigene Blick auf die Welt bzw. wir selbst stehen im Vordergrund des Geschriebenen, das zunächst einmal nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist. Wir fertigen Notizen und Erinnerungen an, die nur wir oder höchstens ein ausgewählter Leserkreis lesen dürfen. Die Ausnahme bilden posthum veröffentlichte Tagebücher, sei es von Autoren oder anderen berühmten Persönlichkeiten. Ich denke hier zum Beispiel an „Das Tagebuch der Anne Frank“ oder „A Writer’s Diary“von Fjodor Dostojewski. Tatsächlich beginnen viele Schreibtalente mit solchen Aufzeichnungen über die Realität und derartigen Reflexionen des Erlebtem ihre Schreibkarriere. Sie beginnen (Reise-)Tagebücher und Essayistisches aufzuschreiben, bevor sie sich größeren Schreibprojekten und dem Fiktivem zuwenden. So ähnlich und doch ganz anders war das bei Hanns-Josef Ortheil. Dieser zeitgenössische, deutsche Autor beschreibt in „Der Stift und das Papier: Roman einer Passion“seinen Weg zum Schriftsteller – oder Autor. Zweiteres gefällt mir besser. Das dem Griechischen entlehnte Wort Autor von αὐτός = selbst klingt selbstständiger und weniger nach Schreiberling für irgendein Käseblatt, das Schriften, also Auftragsarbeiten, erstellt. Vom Griechischen ist das Wort ins Lateinische übergegangen, wo passend zum Adjektiv αὐτός das Substantiv auctor = Urheber, Schöpfer entsteht, also jemand, der aus sich selbst heraus etwas (er)schafft. Es liegt also irgendwie bereits im Worte, dass wir stets aus uns selbst heraus schreiben, bevor wir für jemanden schreiben. Schreiben als Passion, Sucht und zur Selbsthilfe Manchmal wird das Schreiben und damit auch das Autordasein aus der Not geboren. So ist es bei Hanns-Josef Ortheil im Extremen gewesen und so ist es bei den meisten in wenngleich abgeschwächter Form. Auch für mich ist Schreiben stets ein sicherer Rahmen, ein Rückzugsort gewesen, wo ich aus der großen, weiten Welt Sinn für mich im kleinen Stil machen konnte. Hanns-Josef Ortheil ist „das Kind, das schreibt“. Während er die ersten Jahre seines Lebens stumm gewesen ist. Genau wie seine Mutter, der es nach dem Verlust dreier Kinder die Sprache für lange Jahre verschlagen hatte, spricht Hanns-Josef als junges Kind nicht. Kurz bevor er eingeschult werden soll, beginnt zunächst sein Vater ein Projekt, das später auch die Mutter, die zu dem Zeitpunkt bereits wieder spricht, wenn auch nur wenig, auf ihre Weise unterstützen wird: Eine Schreibschule der besonderen Art: Ohne universitäre Anleitung oder Vorbildung nach gewissen Normen oder sonstwas lehrt der Vater dem Jungen die Welt der Worte. Wohlgemerkt der Worte und nicht der Buchstaben! Denn das Erlernen einzelner Buchstaben macht für den Jungen einfach keinen Sinn, aber Worte, die haben Sinn und Bedeutung. Tja und genau darum geht es in „Der Stift und das Papier“. Um die Geschichte, wie der Junge, der einst nicht gesprochen hat, nun über das geschriebene Wort auch das gesprochene entdeckt. „Roman einer Passion“ lautet der Untertitel, doch ist das hier ein Roman? Und wenn ja, was für einer? Ist es nicht eine Autobiografie bis zum jungen Erwachsenenalter? Ein autobiografischer Roman? Ein Künstlerroman über den späteren Autor? Ein Entwicklungs- oder Bildungsroman, der uns die Entwicklung vom „Kind, das schreibt“ zum Autor nachvollziehen lässt? Irgendwie alles ein bisschen. Anleitung zum Schreiben Daneben ist das Buch aber noch mehr und geht über die Geschichte von einem Jungen, Hanns-Josef Ortheil (den man wirklich mit Doppel-N schreibt), hinaus und lässt auch uns Leser an der zunächst nur väterlichen Schreibschule, später elterlichen Schreibschule, teilhaben. Somit ist „Der Stift und das Papier: Roman einer Passion“ auch ein Handbuch, ein Leitfaden und ein Wegweiser für Schreibinteressierte und Schreibwütige. Wer das Buch überall mit hinnimmt, weil es eins der Lieblingsbücher geworden ist (ja!), mag es auch als Vademecum bezeichnen. Der Vater im Buch (großer Hemingway-Fan, Geodät, Logiker mit genauen Vorstellungen von allem und der Welt, striktem moralischen Kompass sowie einer gehörigen Prise Begeisterungsfähigkeit) erinnert mich gleich zu Beginn, als ich all das in Klammern Geschrieben (bis auf Geodät) noch nicht weiß, ein bisschen an meinen eigenen Vater. Der ist Ingenieur gewesen (jetzt im wohl verdienten Ruhestand), wollte aber eigentlich mal Karikaturist oder Pilot werden. Ein kreativer Logiker vielleicht? Oder ein logisch veranlagter Kreativer? Wie auch immer. Entzündet wurde die Erinnerung oder Vergleich mit dieser fabelhaften Textstelle: Papa streicht mit der Hand über das milchige, dünne Papier. Er prüft, ob es auch wirklich fest und straff sitzt. Ich sitze neben ihm und streiche jetzt auch über das merkwürdige, fremde Papier. Es bedeckt den Tisch wie eine Haut. […] Jedenfalls fühlt sich dieses Papier sehr gut an, und es sieht auch nicht so abweisend und streng aus wie normales weißes Papier. Gemeint ist Pauspapier, das der Vater für die Arbeit benötigt. Ich habe seit jeher eine besondere Vorliebe für kariertes Papier zum Schreiben und Millimeterpapier, weil das bei uns immer vorhanden war. Daneben hat mein Vater manchmal großflächiges Papier, das als Schreibtischunterlage diente, mit nach Hause gebracht. Da konnte man sich ganz anders entfalten als auf liniertem Papier (das hasse ich) oder „normalem weißen Papier“. Es dauert eine Weile, bis ich alle Stifte gut gespitzt habe. Sie liegen jetzt dicht nebeneinander, wie eine Mannschaft, die zu einem Spiel antreten soll. Papa nimmt einen Stift nach dem andern in die rechte Hand und zieht mit jedem eine gerade Linie. Die Linien verlaufen genau untereinander sind etwa gleich lang. Dann legt er die Stifte wieder hin und lässt mich ebenfalls lauter Linien untereinanderziehen. Plötzlich bemerke ich, dass die Stifte nicht gleich, sondern sehr verschieden sind. Einige sind hart und kratzen über das Papier, andere sind aber zu weich und dick, so dass keine dünnen, feinen, sondern breite und verschmierte Linien entstehen. Papa zeigt mir, dass auf jedem Stift einige Buchstaben und Zahlen stehen: HB, 2B, 3B … Dann zieht er noch einmal mit jedem Stift eine Linie und schreibt die Buchstaben und Zahlen, die zu dem Stift gehören, neben die Linie. Er sagt, ich solle so wie er noch einmal alle Stifte benutzen und Linien ziehen, aber ganz vorsichtig, „hauchdünn“. Als er „hauchdünn“ sagt, zieht er die Schultern etwas hoch. Und ja, Ihr habt es erraten. Ich liebe es mit Bleistift zu schreiben. Bis vor der Lektüre hätte ich auch nicht den Finger darauf legen können, warum. Aber es ist genau die besondere Haptik vom Bleistift auf Papier. Das Geräusch, das leichte Absplittern von Graphit, wenn man etwas stärker aufdrückt, das Durchdrücken/die Spuren, die dabei auf der Rückseite des Papiers entstehen und der ganz eigentümliche Geruch von Bleistift. Und ja, zugegeben, auch der Geschmack … Ich bin ein Bleistiftkauer, wenn ich nachdenke. So sieht man mich nicht nur beim Schreiben, sondern auch beim Korrigieren (hier Bachelorarbeit) stets mit Bleistift. Daneben mag ich Füllfederhalter. Die altmodischen. Die ohne Patronen. Also die, welche aus dem Fass direkt mit Tinte befüllt werden. Die auf Englisch so liebevoll „fountain pen“ genannt werden – wörtlich: Springbrunnenstift. Hat doch was? (Die einem beim Schreiben so schön die Hände einsauen.) Meine Mutter ging das Schreiben, Zeichnen und andere verwandte Gestaltungsformen stets etwas chaotischer an als mein Vater. Sie hat mich, daran erinnere ich mich gut, noch vor dem Einschulalter regelmäßig mit Schreib- und Malmaterial aller Art versorgt. Der riesige Wohnzimmertisch, der eigentlich Esstisch war, wurde zum kreativen Refugium. Hier hat sie buntes Tonpapier, Kleber, Wachsmalkreiden und was nicht alles verteilt und dann hieß es: „Nun mach mal“. Ich hatte völlig freie Hand und konnte kritzeln, malen, kleben, zusammenfügen, was ich wollte. Dabei konnte ich die unterschiedlichen Eigenschaften von Papier und Stiften genau erkunden und erproben, so dass ich eigene Lieblinge entwickeln konnte. Filzstifte finde ich zum Beispiel doof, aber Tuschefarben und Buntstifte sind was Feines. Der feste Tonkarton erlaubt auch das Schreiben und Malen mit harten Stiften, ohne dass er reißt. Kombiniert man Komplementärfarben oder mischt Farben entstehen tolle Kontraste oder interessante Farbspiele. In Zeiten wie diesen, in denen immer mehr ABC-Schützen das Handschreiben schon gar nicht mehr beigebracht wird oder eine lapidare handgeschriebene Druckschrift anerzogen wird, sind gutes Schreibwerkzeug und ein Freiraum (meist zuhause) für kreatives Gestalten und vor allem Erkunden sowie Entdecken nach individuellen Vorstellungen besonders wichtig. Also danke, Mutti. Jeder sollte ab und an mal Stifte in die Hand nehmen, nur um festzustellen, wie der Kopf dabei ganz anders „synapsiert“. Genau dieses Tempo der Schrift mit Hilfe der Maschine irritiert mich. Ich nehme mir deshalb vor, niemals mit zehn Fingern, sondern immer nur mit den beiden Zeigefingern zu schreiben. Dann eilt das Tippen meinem Denken nicht davon, sondern begleitet es. (Bis heute habe ich mich an diese Art des Tippens gehalten, selbst an einem Laptop tippe ich mit zwei Fingern, was unter lauter gut erzogenen Zehnfinger-Tippern, zum Beispiel in ICE-Zügen, einen skurrilen, altmodischen Eindruck macht.) Egal! Denn: Versuche ich nämlich, einen eigenen, gerade entstehenden Text zu tippen, so lenkt mich das Tippen jedes Mal ab. […] Ist der Text auf diese Weise getippt, scheinen die Hämmerchen mir zuzurufen: „Na und? Wie geht es weiter? Auf, los, mach doch!“ Tatsächlich haben Schreibmaschinen im Besonderen sowie auch Laptops in abgeschwächter Weise einen eigenen Schreibkopf, wie mir scheint. Das gilt aber auch für andere Medien: Eine Postkarte ist viel besser als ein Telefongespräch. Ein solches Gespräch dauert höchstens ein paar Minuten und geht rasch vorüber. Da man sich während des Gesprächs beeilen muss, gerät man in Panik und redet lauter Unsortiertes. Man stammelt, wiederholt sich und spricht, wenn man steckenbleibt, über das Wetter. Für mich ist das Schreiben (im Gegensatz zum Texten – ich unterscheide da strikt, wie zwischen Schriftsteller und Autor oder Texter und Autor) keine Pflicht, sondern Genuss, meist sogar Sucht. Nein, das Schreiben ist keine „Arbeit“, sondern eine Abwechslung, schließlich kann ich ja nicht laufend gehen, stehen, essen, trinken, weitergehen, stehen, sehen, essen, trinken, laufen, schnaufen … Das wäre furchtbar langweilig und eintönig. Erst das Schreiben bringt in das Leben die nötige Abwechslung, viele Gedanken und auch reichlich Freude. Kein Wunder also, dass für Hanns-Josef Ortheil sowie für mich das Schreiben ein Muss ist und mehr noch: ein Wollen. Jetzt, am Ende dieses langen Textes, weiß ich, warum das Schreiben zu meinem einzigen, wie für mich geschaffenen Metier geworden ist: Es versetzt mich in meine stumme Kindheit zurück, und es macht aus mir „das Kind, das schreibt“. Schreiben ist für mich ein durch und durch kindlicher Akt, der aus dem stummen Dunkel in eine lebendige, helle Gegenwart führt. Höre ich damit auf, erlischt diese Empfindung sofort. So dass ich – möglichst bald und möglichst ohne längere Unterbrechung – wieder mit dem Schreiben beginnen muss. Zusammenfassung „Der Stift und das Papier: Roman einer Passion“ von Hanns-Josef Ortheil Buch über das Schreiben und vom Autorsein und -werden gebundenes Buch mit Schutzumschlag empf. VK-Preis: € 21,99 [D], € 22,70 [A], CHF 29,90 erschienen am 9.11.2015 ISBN: 978-3-630-87478-4

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Was für Eltern!

Von: Tanja Jeschke aus Stuttgart

02.06.2016

Von Tanja Jeschke WAS FÜR ELTERN! Wir kennen ihn bereits aus den vorausgegangenen Romanen von Hanns-Josef Ortheil: Den hochbegabten 12-Jährigen, dessen Eltern den Verlust von vier Söhnen zu betrauern haben, die vor dem Nachzügler geboren worden sind und alle tragisch ums Leben kamen. Wir wissen vom Stummsein, in das der Knabe unwillentlich hineingezogen wurde als kleines Kind, weil die Mutter in Sprachlosigkeit versunken war. Ortheil hat uns daran schon in „Die Erfindung des Lebens“ und seinen Reisebüchern „Moselreise“ und „Berlinreise“ teilhaben lassen. Wie der große Ortheil hier seine eigene Kindheit in Köln und im Westfälischen beschreibt, ist grandios. Wie der kleine Ortheil den großen auf die schriftstellerische Spur bringt, noch grandioser. Was uns jedoch nun in „Der Stift und das Papier“ vorliegt, ist die eigentliche Trumpf-Karte, die er wie eine Überraschung aus dem Ärmel holt, um sich den ganz großen Gewinn zu holen. Verdient hat er ihn, denn dieses Buch ist wunderbar. Verdient haben ihn aber vor allem seine Eltern, vor denen hier ausdrücklich der Chapeau gezogen sei: Dass Ortheil der Literatur diese Eltern schenkt, ist vielleicht sein größter Verdienst. Sie sind so, wie Eltern sein sollten, wie sie es aber doch, normalerweise, nie sind, weder im Leben noch in der Literatur. Ja, es scheint doch vielmehr so, als würden nur schlechte Eltern zu wahrem Stoff taugen, über den sich schreiben lässt. Von ungerechten, abwesenden, kalten Eltern wimmelt es nur so in den Büchern. Aber gute Eltern: Wer kann davon ein Lied singen, das sich hören lässt? Ortheil kann es, und zwar deshalb, weil er sie offensichtlich und tatsächlich gehabt hat. Sie haben alles getan, damit sich ihr Junge in dieser Welt zurecht findet. Die Sprache haben sie ihm nahegebracht, so nahe, dass die Begriffe und Dinge wieder eins wurden für ihn und er seinen eigenen Ausdruck, sein eigenes Schreiben fand, in einer Weise, die ihn zum Schreiber par excellence machte. Sie haben ihn unterrichtet im Wissen um die Wörter, um Sprache als umfassenden Weltgehalt. Eltern der Sprache waren sie und er ein Schüler, der mit Hingabe und Neugier lernte. „Schreiben ist für mich ein durch und durch kindlicher Akt, der aus dem stummen Dunkel in eine lebendige, helle Gegenwart führt“, sagt Ortheil zum Schluss.

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Hanns-Josef Ortheil hat mit seinem Buch "Der Stift und das Papier" eine bewegende Reise in seine Kindheit unternommen. Er bekam seit seinem achten Lebensjahr Schreib- und Sprachunterricht von seinen Eltern, da er - wie seine Mutter nach dem Krieg auch - nicht gesprochen hat. Beide hatten Angst, dass er nach all den Jahren des Stummseins das Sprechen nicht mehr lernen würde. Dabei folgten sie in ihrem Unterricht keinen Vorlagen oder Lehrbüchern, sondern ließen sich spontan inspirieren von allem, was es in ihrer Umgebung gab wie z. B. Buchlektüren oder Straßen und Plätze. Der junge Hanns-Josef machte - je älter er wurde - immer begeisternder seinen Schreib- und Sprachübungen. Wen wundert es da noch, dass er mit seinem Freilernen (ein Konzept, dass auch heute in Deutschland auch wieder langsam Schule macht) heute ein begnadeter Schriftsteller und Wortjongleur ist. So verwunderte es die Eltern sicher nicht, dass er nach einer Weile selbst kleine Erzählungen erfand, Gedichte schrieb und begann an einem Roman zu arbeiten. Seine ersten Kindertexte erschienen dann auch bald in Zeitungen und Zeitschriften. Hanns-Josef Ortheil blickt teils wehmütig auf seine herrlichen Kindheitserinnerungen in der Jagdhütte seines Vaters im Westerwald zurück. Er taucht in die Textarchive seiner Kindheit ein, die sein Vater wohlweislich aufgehoben hat. Zum Glück! Fazit: Ein wundervolles Buch eines wundervollen Autors, der spät sprechen und schreiben gelernt, dafür aber umso intensiver! Es kann auch für angehende Autoren ein intensiver Kurs im kreativen Schreiben sein! Hanns-Josef Ortheil fasziniert sich mich mit seinem Schreibstil seit Jahren - wie gerne schwelge ich noch heute in seinen Büchern "Die Moselreise" und "Die Berlinreise" ... Ein Meister und Zauberer der lebendigen Sätze - absolut empfehlenswert! Ein Buch das inspiriert und einlädt, sich seinen eigenen Erinnerungen zu stellen und diese zu notieren! Das schreibt der Luchterhand Verlag: Nach dem Erscheinen seines zweiten Kindertagebuchs "Die Berlinreise“ wurde Hanns-Josef Ortheil häufig gefragt, wie er als Zwölfjähriger ein derart beeindruckendes Buch schreiben konnte. Dieser Frage ist er jetzt in dem Band "Der Sift und das Papier" nachgegangen. Schritt für Schritt wird erzählt, wie er, begleitet und angeleitet von Vater und Mutter, sich das Schreiben beibrachte. Er beschreibt, wie er übte und wie diese Übungen langsam übergingen in kleine Schreibprojekte, die er sich selber ausdachte und verfolgte. Es ist die bewegende Geschichte eines Jungen, der lange Zeit nicht sprach und der einen eigenen Weg zum Sprechen und Schreiben suchen musste. Und es ist bei allen Widerständen, die sich in den Weg stellten, die Geschichte eines Wunderkinds, das früh ein Gefühl für das Erzählen besaß und das über eine Gabe verfügte, die alle anderen überstrahlte: beobachten zu können und das Beobachtete traumwandlerisch in die richtigen Worte zu fassen. Über den Autor: Hanns-Josef Ortheil wurde 1951 in Köln geboren. Er ist Schriftsteller, Pianist und Professor für Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus an der Universität Hildesheim. Seit vielen Jahren gehört er zu den bedeutendsten deutschen Autoren der Gegenwart. Sein Werk ist mit vielen Preisen ausgezeichnet worden, darunter dem Thomas-Mann-Preis der Hansestadt Lübeck und zuletzt dem Stefan-Andres-Preis. Seine Romane wurden in über zwanzig Sprachen übersetzt. Buchinformationen: Gebundene Ausgabe: 384 Seiten Verlag: Luchterhand Literaturverlag (9. November 2015) Preis: 21,99 Euro ISBN-13: 978-3630874784

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Absolut lesenswert

Von: Karin M. aus Hilden

24.04.2016

Das wirklich Beste, was ich seit langer Zeit gelesen habe. Verschlinge gerade das 3. Buch von Hanns-Josef Ortheil. Es ist eine Liebeserklärung an seine Eltern und an das Leben.

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