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Rezensionen zu
Anklage: Sterbehilfe

Martina Rosenberg

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Es war ein Fall, der 2012 durch die Medien ging: ein junger Mann wurde angeklagt, seine Mutter, die nach einem Reitunfall seit sieben Jahren im Wachkoma lag, getötet zu haben. Er dagegen wollte sie von ihrem Leiden erlösen und sah sich von Behörden und Ärzten in seinen Wünschen (stellvertretend für seine Mutter) nicht verstanden und behindert. Doch war es nun Mord oder doch längst überflüssige Leidenserlösung? Es war ein Fall, dessen innewohnendes menschliches Leid und dessen Tragik jemand, der damit nie konfrontiert wurde, nicht nachvollziehen kann. Martina Rosenberg, Journalistin, dagegen kann aus eigener Erfahrung sprechen; sie selbst war pflegende Angehörige und ihre Erlebnisse und Erfahrungen aus der Pflege und mit der Pflegesituation in Deutschland stellte sie in ihrem vor drei Jahren veröffentlichten Buch »Mutter, wann stirbst du endlich?« (Blanvalet) vor. Nun erschien vor einigen Wochen ihr zweites Buch zum Thema: »Anklage: Sterbehilfe. Machen unsere Gesetze Angehörige zu Straftätern?« (Blanvalet) heißt es und es dreht sich um den 26-jährigen Jan und seine Mutter Katharina. Dabei will Rosenberg auch den Versuch unternehmen, die Rechtslage zu beleuchten, ethische und soziale Standpunkte zu finden, dabei auch die wissenschaftlich-medizinische Seite nicht zu kurz kommen zu lassen, um eine Positionierung zum Thema Sterbehilfe zu etablieren. Ernsthafte Wissenschaftlichkeit und nüchterne, objektive Darstellungen eines so heiklen Themas sucht man allerdings vergebens. Zwar bemüht Rosenberg, wie sie immer wieder gern betont, für Studien und Informationen die Internetsuche und listet dann ihre Fundergebnisse zu Sterbebegleitorganisationen wie EXIT oder den verschiedenen Formen von Komata auf, aber das ist in aller Konsequenz immer subjektiv gefärbt. Es menschelt doch sehr im Buch. Mag man bei einem so tragischen Problem vielleicht noch verstehen, aber dann doch bitte trotz allem objektiv. Und diese Objektivität kann Rosenberg nicht immer durchsetzen. Sie läßt sich zu stark von ihren eigenen Emotionen lenken und läßt das den Leser auch zu deutlich wissen. Ein Absatz aus dem Buch ist prädestiniert, das zu illustrieren: während fast das gesamte Umfeld Jans (selbst eine recht positive Figur) durchweg als liebenswert, aber vom Schicksal gebeutelt, dargestellt werden, wird die Mutter Katharinas auf etwa anderthalb Seiten abgehandelt. »Wir unterhalten uns fast zwei Stunden. Am Ende bin ich sehr betroffen.« (S. 56) Was der Leser von den zwei Stunden Gespräch als runtergedampfte Quintessenz erfährt, sind marginale Buchteile, kurz angerissene Probleme. Die knappe Darstellung einer prinzipientreuen und offensichtlich distanzierten Frau. Was dann am Ende dieses Absatzes aber folgt, ist stellvertretend für den Duktus im gesamten Buch: »Ich mache mich mit meinem Wagen auf den Weg ins Hotel. Nach einigen Minuten halte ich es nicht mehr aus. Ich fahre rechts ran und steige aus, öffne die Hintertür. Mein Hund […] springt mir aufgeregt entgegen. […] [I]ch springe zu ihm auf den Rücksitz, stecke meine Nase tief in sein Fell und drücke ihn fest an mich. Er gibt mir das, was ich im Haus von Jans Großmutter vermisst habe – Wärme und Geborgenheit.« (S. 57) Nackenschlag für Katharinas Mutter und unnütze Passage für den Leser. Der ein oder andere mag’s wohl menschlich, emotional, zu Tränen rührend finden, aber das ist es nicht. Es ist der Hang zur Selbstdarstellung. Immer wieder wechselt Rosenberg Schilderungen aus Jans Werdegang mit ihren eigenen Gedanken ab. Mit jedem neuen Kapitel darf man erst einmal ihrer Gedankenwelt zum vorherigen Abschnitt, ihren Gefühlen und den Schilderungen ihres immer wiederkehrenden Ganges zur JVA beiwohnen. Ihr gelingt die Abgrenzung zwischen reiner biographischer Schilderung und des eigenen Lebens nicht. Es wird dem Leser auch nicht immer klar, was Rosenberg mit ihrem Buch nun wirklich erreichen will. Ist es eine biographische Schilderung des Lebens eines jungen Mannes, der an der Situation zerbricht; ist es die romanhafte Erzählung einer wirklich geschehen menschlichen Tragödie oder ist es ein Sachbuch über die Lage der Sterbehilfe und die Beantwortung rechtlicher Fragen? Es will zu vieles auf einmal sein und beißt sich in Bereichen fest, die für das eigentliche Thema irrelevant sind. Seitenlang darf man über die Kindheit und Jugend Jans lesen, man erfährt, wie er auf die schiefe Bahn geraten konnte und von seinem Verhältnis zu seinem Umfeld. Wenngleich man sagen könnte, daß es der menschlichen Note in diesem Fall gut tut, trotzdem vollkommen überdehnt und nicht wichtig. Nach geschlagenen neunzig Seiten – das heißt, knapp bei der Hälfte der Erzählung – kommt man dann endlich zum eigentlichen Geschehen, das Ursache für das Drama war: Katharinas Reitunfall. Und damit zur Problematik, der sich Rosenberg, wie im Titel angekündigt, annehmen wollte. Hier folgen nun auch endlich Kapitel, die das Dilemma von Angehörigen der Komapatienten illustrieren und den Leser ernsthaft auch zum Abwägen der Argumente anregen, wenn die Möglichkeiten der Sterbehilfe vorgestellt werden oder über das Selbstbestimmungsrecht eines Menschen, der nicht mehr in der Lage ist, selbst zu bestimmen, gesprochen wird. Wenige Seiten vor dem Ende des Buches kommt auch endlich die Sprache auf denkbare Hilfsmöglichkeiten für Betroffene und auf die Rechtslage, die an zwei Fallbeispielen kurz umrissen wird. Besser wäre es gewesen, man hätte dem Teil mehr Platz eingeräumt. Leider hebt in meinen Augen auch der Schreibstil das Buch nicht heraus. Er ist zu romantisch, um ein Sachbuch zu sein. Auch wenn Rosenberg Jan interviewte, sind – davon ist auszugehen – viele Sätze und Zitate so nie gefallen sein und werden sinngemäß von ihr wiedergegeben worden sein. Aber in Romanform verpackt. Wäre nicht klar, daß es ein wirkliches Ereignis war, es könnte auch ein schlichter, etwas trauriger Jugendroman sein. Zum Ende finden sich gern vermehrt Wiederholungen, die unangenehm ins Auge fallen. So weiß Rosenberg zum Gefängnisleben folgendes zu sagen: »Ein Luxus, den es nicht überall gibt. Wer das Buch von Jo Bausch Knast gelesen hat, erfährt, dass es durchaus noch Zellen mit drei oder vier Insassen gibt.« (S. 223) Zwei Seiten weiter erfährt man selbiges, mit etwas anderen Worten und dem Zusatz, daß sich das wohl nach Alter des Gebäudes richte, nochmal. Der Eindruck entsteht, daß das Buch mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln künstlich optisch verdickt werden sollte, damit es auf die Durchschnittsstärke von zweihundert Seiten kommt. Genau genommen zweihundertneununddreißig und die erreichte man über eine etwas größere Schrift, einem vergrößerten Zeilenabstand, der einen oder anderen leeren Seite vor dem nächsten Kapitel und einem Viertel freien Platzes auf der Seite des neuen Abschnitts. Dieses Buch ist ein kleiner Fingerzeig auf eine Tragödie, die stellvertretend für die vielen anderen stehen mag. Jan und seine Familie waren nicht die ersten und werden nicht die letzten sein, denen das Schicksal einen solchen herben Schlag versetzt und die sich dann in einer seelischen und bürokratischen Sackgasse sehen. Und wenn Rosenberg in ihrer Widmung wünscht, daß Angehörige von todkranken Menschen wieder Mut fassen sollen, so ist das schön zu lesen und ein Anliegen, daß man so nur unterschreiben kann. Aber das Buch bietet weit weniger Zündstoff als ihr vorheriges. Es verspricht vieles, und sei es nur mit der Frage im Untertitel »Machen unsere Gesetze Angehörige zu Straftätern?«, kann aber nur einige Versprechen erfüllen. Für mich leider kein lohnenswertes, Eindruck hinterlassendes Buch. Ich danke Blanvalet (Randomhouse) für das Rezensionsexemplar. Live. Love. Be. Believe. Eure Shaakai.

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