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Rezensionen zu
Leben dürfen – Leben müssen

Heinrich Bedford-Strohm

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Ein Buch, zu nett für wirklich gut

Von: Marcus-B. Hübner

24.07.2015

Mit der Polemik ist es natürlich so eine Sache. Wenn wir hören, dass Luther den Papst einen harfe-spielenden Arsch genannt, oder den Philosophen Aristoteles mit der Bemerkung vom Tisch gewischt haben soll, dassArschistoteles nur ein toter Heide sei, dann finden wir das in der komfortablen Distanz von fünf Jahrhunderten durchaus amüsant. Aber Polemik hat die inne-liegende Qualität, einer Debatte ihre Sachlichkeit und Nüchternheit zu nehmen, und gleichzeitig solche Menschen zu verletzen, für die gerade diese Debatte nicht nur ein interessanter Gedankenzug ist. Wer betroffen ist, wird nicht gerne Polemik hören. Bei ethischen Debatten ist das besonders deutlich. Unsere Gesellschaft scheint es sich manchmal mit einer Bequemlichkeit gemütlich zu machen, die ich allerdings für ungesund halte. Die verschiedenen drängenden Fragestellungen unserer Zeit – die Flüchtlingsunterbringung, gerechter Friede, oder auch die Ausgestaltung vom grundgesetzlich verbürgten Lebensschutz – sind keine Themen, die eine so einfache Antwort brauchen, wie wir sie im Web 2.0 gerne geben. Bei ethischen Fragen gehört ein Ringen und ein "Aufeinander hören" ebenso zur Antwort wie die Feststellung am Ende selbst. Auf Grund dieser Bequemlichkeit, den einfachen Antworten, haben wir die hohe Kunst des politischen Gesprächs verlernt. Es ist die Kunst, Standpunkte und Menschlichkeit zu verbinden. Standpunkte wollen wir nur noch dort erbittert haben, wo wir das absolute Gesetz der Toleranz verletzt sehen. Die Grenzen dafür ziehen wir, manchmal willkürlich, manchmal aus dem Gefühl heraus. Ich karikiere, natürlich. Und dennoch: Das politische, besonders ethisch-politische Gespräch ist ein zentraler Bestandteil einer Demokratie. Wer gemeinsam leben will, muss gemeinsame Beschlüsse treffen. Und dazu gehört auch die Grundhaltung, dem Gegenüber nicht die schlechtesten Motive zu unterstellen. --- Trotz der sich leerenden Kirchen in Deutschland stellen ihre ranghöchsten oder namhaftesten Vertreter meistens immer noch eine gewisse moralische Instanz dar, die zu bedenken nicht unwichtig ist. Römischerseits macht uns Papst Franziskus gerade auf großer Bühne vor, wie man einem Amt wieder Würde verleihen kann, indem man ihm Macht nimmt. Heinrich Bedford-Strohm ist evangelischer Landesbischof von Bayern und seit Ende 2014 auch Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland. Seine wissenschaftliche Arbeit fokussiert sich über einen großen Teil auf Sozialethik. Mit Leben dürfen Leben müssen legt er nun ein Buch vor, in dem er sich dem sensiblen Thema der Sterbebegleitung oder -hilfe widmet. Die Problematik des Themas beginnt schon bei der korrekten Bezeichnung. Von aktiver und passiver Sterbehilfe zu sprechen ist nämlich den gegenwärtigen Standards nach zumindest sehr unpräzise, wenn nicht gerade heraus falsch. Bedford-Strohm ist sich des Minenfeldes bewusst, in das er sich mit seinem Buch begibt. Während die alten Begriffe (aktiv, passiv) in der breiten Gesellschaft noch sehr gängig sind, kennt er auch die aktuelle Lage ethischer Debatten und weiß es in seinem Buch tatsächlich, diese beiden Pole auf beeindruckende Weise zusammenzubringen. Das Buch teilt sich in acht größere Teile auf, die man grob in vier größere Teile gliedern kann. In den ersten beiden Kapiteln („Wir alle werden sterben“ & „Was zu Debatte steht“) gibt der Autor eine hervorragende Einführung in die Debatte. In den folgenden Kapiteln steigt er tiefer in die Debatte ein, indem er auf der einen Seite die gesetzliche Lage in Deutschland und umliegenden europäischen Ländern beschreibt („Was das Gesetz zum Thema sagt“) und zeigt die verschiedenen ethischen Positionen auf, die gesellschaftsweit vertreten werden („Was ethisch auf dem Spiel steht.“) Die darauf folgenden Kapitel befassen sich mit kirchlichen Positionen zur Sterbehilfe, wobei erst herausragende evangelische Ethiker zu Wort kommen („Positionen in der evangelischen Ethik“) und darauf folgend Grundsatzpapiere der großen Kirchen vorgestellt werden („Was die Kirchen sagen.“). Er jetzt beginnt der Autor seine eigenen Gedanken zum Thema zu entfalten, wofür er sich nicht einmal 30 Seiten Platz lässt, und dabei sowohl „Fünf ethische Leitlinien“ entfalten möchten, wie auch die „Konsequenzen für die politische Debatte“ aufzeigen. --- Meiner Einschätzung nach lag hier auch die Problematik des Buches: Es möchte einfach zu nett sein. Die Darstellung der Positionen sind extrem fair, und es ist dem Autor besonders hoch anzurechnen, dass er nicht nur diese komplexen Thematiken treffend auf den Punkt bringt, sondern auch, dass er versucht, seelsorgerliche Empathie mit ethischen Grundsätzen in Übereinstimmung zu bringen. Zum Einen könne man nämlich „im Lichte solcher Erfahrungen [dem qualvollen, langsamen Tod nahestehender Personen – MBH] zu einem ethisch begründeten Plädoyer für die gesetzliche Freigabe aktiver Sterbehilfe kommen.“ Gleichzeitig sollte gelten: „Der Hinweis auf die Betroffenheit durch das Leiden eines anderen reicht zur ethischen Legitimation für einen Öffnung hin zur aktiven Sterbehilfe nicht aus.“ (S.53f) Es mag dieser Spannung geschuldet sein, dass das Buch eher zu schleichen scheint, als eine Weg in der Debatte aufzuzeigen. Denn das Problem des Buches ist es dann, dass ihm eine Schärfe fehlt, die die Debatte wirklich weiterbringen könnte. Dabei ist der Untertitel schon recht scharf gewählt – Argumente gegen die Sterbehilfe – kann gleichzeitig seinen Soll aber nicht erfüllen. Das Buch beinhaltet eher Argumente für und gegen die Sterbehilfe und eine grobe Orientierung, die eine moderne westliche Gesellschaft über das Mysterium Leben reden sollte. --- Das macht es nicht zu einem schlechten Buch. Eher das Gegenteil ist der Fall. Gerade die Fairness des Buches vermag zu beeindrucken. Wahrscheinlich hätten aber mehr Seiten dem Buch nicht geschadet, und mehr Mut des Autors, auch einmal seinem Gegenüber auf den Fuß zu treten. Denn seine Brillanz zeigt Bedford-Strohm an den Stellen, wo er von der Rolle der Religion im öffentlichen Raum zu sprechen beginnt. Und gerade hier ist er gewillt, eine deutliche Linie zu fahren, die einem grassierenden Laizismus (oder eine Pervertierung desselben) in unserer Politik nicht Hof halten will. Vom Habermas denkend resümiert der Autor nämlich, dass „[d]ie säkulare Sprache […] nicht als die einzige, dem weltanschaulich neutralen Staat angemessene Diskurssprache angesehen werden [darf]“ (S.95) Die Begründung dafür liegt gerade in der weltanschaulichen Neutralität des Staates, sagt Bedford-Strohm ganz richtig. Und auch bei steigenden Austrittszahlen finden immer noch viele hunderttausend Menschen in der christlichen Religion ihr geistliches Zuhause. Sie vom politischen Diskurs auszuschließen wäre für eine funktionswillige Demokratie tödlich. „Das Orientierungspotenzial der christlichen Tradition ist heute – auch in pluralistischen Umgebungen – ungebrochen.“ (S.96) Ich denke, dass er recht hat. Mit diesem Buch, für diese spezielle Debatte, scheint mir diese Orientierung aber nicht gegeben worden zu sein. Mehr Mut zu einer respektvollen Schärfe wäre dabei hilfreicher gewesen. Wobei auch klar ist: ich merke ja, dass ich damit selbst kämpfe. Gnade und Frieden und alles, Marcus-B.

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