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Rezensionen zu
Das Kind, das nicht fragte

Hanns-Josef Ortheil

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Eine schöne Behauptung

Von: Tanja Jeschke aus Stuttgart

02.06.2016

Von Tanja Jeschke Hans Castorp aus Thomas Manns „Zauberberg“ und Benjamin Merz aus Hanns-Josef Ortheils neuem Roman „Das Kind, das nicht fragte“ haben eines gemeinsam: sie erleben im alkoholisierten Sinnesrausch eine Vision menschlicher Gemeinschaft, in der das Böse überwunden scheint. Der entscheidende Unterschied liegt gravierend auf der Ebene der Wirklichkeit: Hans C. liegt dabei im Schnee und halluziniert, während bei Benjamin M. alles tatsächlich genau so geschieht. Er ist in den sonnigen Gefilden der griechischen Antike gelandet, auch wenn Sizilien der Schauplatz ist und Rosamunde Pilcher die Szenerie ausstaffiert zu haben scheint. Es ist alles zum Seufzen schön – schon wieder, könnte man hinzufügen, denn dass Ortheils Romane das Gute und Wahre geradezu hymnisch beschwören, ist längst bekannt. Dem Vorwurf, dass er sich nie die Finger schmutzig macht mit fiesen Figuren, traurigen Verstrickungen und kranken Gedanken, versetzt Ortheil gleich zu Beginn einen fast albernen Kinnhaken: Benjamin bekommt von der Stewardess bei der Landung auf Sizilien eine Orange geschenkt, und was ihm dann buchstäblich an den Fingern klebt, ist kein Dreck, sondern Marzipan. Das trifft es ziemlich genau. Was den Ich-Erzähler mit den Menschen und ihren Geschicken verbindet, sind gut formulierte, genau geplante Frage- und Antwort-Gespräche, die von ihm protokolliert werden, um zu einem bedeutenden wissenschaftlichen Werk zu werden. Denn Benjamin Merz ist Ethnologe. Er kann sich in andere Menschen so gut hineinversetzen, dass er schon ahnt, was sie sagen möchten, noch ehe sie selbst es aussprechen. Dadurch fliegen ihm vor allem die Frauen zu, die schönen Seelen, der Buchhändler und der Gastwirt. Sein Fragen und ihr Antworten verschmelzen zu einem großen Gespräch, in dem Mandlica, die sizilianische Stadt, den eigenen Kopf zu heben beginnt. Und mit ihr mausert sich der Fragensteller selbst, streift seine spröde Haut ab, in der er sich von Kindheit an zurückgehalten hat. Denn Benjamin M. hat durchaus „Schlimmes“ erlebt. Seine vier älteren Brüder waren niederträchtige Unholde, die rohe Eier an seinem Kopf aufschlugen, bis das Eigelb ihm über den Oberkörper auf die Schuhe tropfte. Noch jetzt ist er die Kasperlepuppe in ihrer Hand, wird von ihnen kontrolliert, finanziell unterstützt und bevormundet. Und hier wird es eigentlich interessant. Doch leider spielt das „leise Grauen“ seiner Kindheit nur eine Rolle als weit zurückgelassenes Material, untergeordnet unter die Gegenwart, in der alles gelingt. Nicht nur die Adoleszenz holt er nach in aufmüpfigen Telefonaten mit den Brüdern; er zieht auch endlich aus dem Haus der „lieben Eltern“ aus, als er sich in Marias Pension einmietet. Alles ganz konfliktfrei, nichts stört den Triumph des Lebens. Das einzig Dramatische sind die Wespen, die sich in den Honig stürzen. Und damit wird nicht nur die Antike in einen bukolischen Fonduetopf getunkt. Die Frage, warum bei Ortheil alle immer Zeit haben und Geld sowieso, stellt sich auch bei diesem Roman. Warum müssen seine Figuren immer so gutsituiert leben? Sein Roman schmeichelt den Sinnen und wird auch nicht ungern zu Ende gelesen. Aber hinterher hat man mindestens einen Kater und wünscht, Benjamin Merz wäre doch wie Hans Castorp im Kriegsgetümmel untergegangen.

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