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Rezension zu
Wie Demokratien sterben

Wie Demokratien sterben. Von Steven Levitsky und Daniel Ziblatt (Rezension)

Von: Karl Adam
31.07.2018

Dass sich die beiden Harvard-Professoren Steven Levitsky und Daniel Ziblatt, die ausgiebig zum Versagen von Demokratien im Europa der 1930er Jahre oder im Lateinamerika der 1970er Jahre geforscht haben, einmal mit ihrer US-amerikanischen Heimat beschäftigen würden, hätten sie „nie gedacht“. Hinterher ist man ja immer schlauer, aber verschiedene Statistiken sprechen bereits seit Jahren eine deutliche Sprache: Yascha Mounk zeigt in seinem Buch „Der Zerfall der Demokratie“ eine zunehmende Affinität zu autoritären Denkweisen in westlichen Gesellschaften. Madeleine Albright zitiert in ihrem Bestseller „Faschismus“ den Demokratie-Index der Zeitschrift The Economist, die 2017 eine Herabstufung der USA vorgenommen hat. Demnach sind die USA keine „vollständige“, sondern nur noch eine „unvollständige“ Demokratie; und zwar nicht (nur) wegen Trump, sondern aufgrund langfristiger Entwicklungen: „Die Zahl der Amerikaner, die von sich sagen, sie hätten ‚fast immer‘ oder ‚meistens‘ Vertrauen in ihre Regierung, ist von ungefähr 70 Prozent Anfang der Sechzigerjahre auf unter 20 Prozent im Jahr 2016 gefallen.“ Was Levitsky und Ziblatt in ihrem Buch betreiben, könnte als angewandte Politikwissenschaft beschrieben werden. Fernab vom Theoriedünkel geht es ihnen um praktische Lehren aus der Geschichte, um Handwerkszeug, mit denen Autokraten oder solche, die es werden wollen, identifiziert und wie sie wirksam bekämpft werden können. Beschrieben wird zunächst der Irrglaube der Eliten in Geschichte und Gegenwart, sich mit dem „Außenseiter“ – denn als solche treten künftige Autokraten zunächst stets auf – arrangieren zu können, um die eigene Machtstellung irgendwie zu erhalten. Berühmt ist das Diktum des ehemaligen Reichskanzlers von Papen: „In zwei Monaten haben wir Hitler in die Ecke gedrückt, dass es quietscht.“ Es handelt sich um eines der fatalsten Fehlurteile der Weltgeschichte. Doch was tun gegen Autokraten? Gibt es Beispiele erfolgreicher Abwehr? Die Autoren nennen Belgien und Finnland vor dem Zweiten Weltkrieg, wo die autoritäre Revolte durch ein konsequentes Zusammenstehen der etablierten Kräfte verhindert werden konnte. Der zeitgenössische deutsche Rezensent denkt jedoch sofort: Unterstricht ein Zusammengehen der „Etablierten“ nicht das Selbstverständnis der heutigen Rechtspopulisten, die einzig wahre Alternative zu sein? Doch solche Zweifel sind wohl symptomatisch für den unsicheren Umgang mit den heutigen Rechten, den Autoren sind sie jedenfalls keine Erwähnung wert. Die „Wächterfunktion der Institutionen“, die „Leitplanken der Demokratie“, die „ungeschriebenen Gesetze der amerikanischen Politik“, die „Parteien als Bollwerk gegen Extremisten“ – dies sind die Schwerpunkte dieser produktiven Analyse. Lange konnten extremistische Außenseiter, die es in der amerikanischen Geschichte immer wieder gegeben hat, von einer Präsidentschaftskandidatur ausgeschlossen werden, nämlich in der guten alten Zeit der rauchgeschwängerten Hinterzimmer. Das Parteiestablishment nahm eine Art Vorauswahl vor, durch die Gestalten wie der Unternehmer und Antisemit Henry Ford oder der Pilot, Schriftsteller und Nazi-Sympathisant Charles Lindbergh niemals gekommen wären. Paradoxerweise führten demokratische Reformen des amerikanischen Parteienwesens Ende der 1960er Jahre dazu, dass diese „Schutzfunktion“ zunehmend wegfiel. Zwar stellte sich bald heraus, dass Kandidaten noch immer auf Verbündete in Form von Spendern, Zeitungsherausgebern, Interessen- und Aktivistengruppen sowie Politikern auf bundestaatlicher Ebene angewiesen waren, es also immer noch so etwas wie eine „unsichtbare Vorauswahl“ gab, bei Trump, so die Autoren, haben die Institutionen, namentlich die Republikanische Partei, jedoch gleich dreimal versagt: Bei den „unsichtbaren Vorwahlen“, bei den eigentlichen Vorwahlen und bei der allgemeinen Wahl. Als „große republikanische Abdankung“ bezeichnen Levitsky und Ziblatt, dass sich schließlich so viele Mitglieder des Parteiestablishments hinter Trump stellten und sich niemand aus der ersten Reihe aus Gründen der Staatsräson für Hilary Clinton aussprach. Als positive Gegenbeispiele werden Österreich und Frankreich genannt. In der Alpenrepublik hatten sich die etablierten Kräfte gemeinsam gegen den FPÖ-Präsidentschaftskandidaten Hofer und für seinen Kontrahenten Van der Bellen ausgesprochen. In der französischen Stichwahl rief der unterlegene Kandidat der konservativen Republikaner Fillon zur Wahl von Macron auf, um Le Pen zu verhindern. Nichts dergleichen geschah, von einigen Hinterbänklern und Ehemaligen abgesehen, in den USA, womit wir wieder beim Ausgangspunkt der Überlegungen wären: Die unheilvollen Bündnisse der Eliten mit dem Außenseiter. Der von Levitsky und Ziblatt entwickelte Lackmustest für autoritäre Politiker ist, angewandt auf Trump, eine schockierende Lektüre. Selbst wenn sich nach zwei Jahren Dauererregung unweigerlich eine gewisse Abstumpfung eingestellt haben mag, so sind die von den Autoren zusammengetragenen Aussagen des amtierenden US-amerikanischen Präsidenten mehr als harter Tobak. Es handelt sich jeweils um Aussagen zur 1.) Ablehnung demokratischer Spielregeln, 2.) Leugnung der Legitimität politischer Gegner, 3.) Tolerierung von oder Ermutigung zu Gewalt, und 4.) die Bereitschaft, die bürgerlichen Freiheiten von Opponenten, einschließlich der Medien, zu beschneiden. Es muss nicht eigens betont werden, dass Trump zu allen vier Kriterien reichlich Material angehäuft hat. „When they go low, we go high”, wie es Michelle Obama 2016 gesagt hat, raten auch die Autoren. „Schmutzig kämpfen“, es den Republikanern gleichtun, wie mancher namhafte Demokrat jetzt fordert, würde noch mehr „Leitplanken“ zerstören und wäre letztlich kontraproduktiv: „Wo institutionelle Wege vorhanden sind, sollten Oppositionsgruppen sie nutzen.“ Breite Bündnisse aus Progressiven, Unternehmern oder Geschäftsleuten, die sich sonst als Gegner gegenüberstehen, aber an einem demokratischen Miteinander interessiert sind, könnten das gesellschaftliche Klima zum Guten werden. Eine Neugründung der Republikaner, mittlerweile von Lobbygruppen und rechten Großspendern derart ausgehöhlt, dass sie anfällig geworden sind für Extremisten, wäre wünschenswert und historisch nicht ohne Präzedenz. Die Demokratische Partei sollte dabei davon ablassen, die Agenda des Gegners zu übernehmen, und mehr „Politik für Weiße“ zu machen, wie es ebenfalls mancherorts gefordert wird. Eine programmatische Konzentration auf die Überwindung der sozialen Spaltung würde die tieferen und langfristigen Ursachen für den Sieg Trumps angehen. Falls all dies unterbleibt, rechnen die Autoren mit folgendem Szenario, das sie den Lesenden warnend mit auf den Weg geben: „Wenn aus rivalisierenden Parteien Feinde werden, verkommt der politische Wettstreit zu Kriegführung und verwandeln sich unsere politischen Institutionen in Waffen. Das Ergebnis ist ein politisches System, das ständig am Rand der Krise entlangtaumelt.“

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