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Rezension zu
Leere Herzen

Juli Zeh, Leere Herzen

Von: Susanne Becker
01.07.2018

„…, jene notorischen Nörgler, die seit Jahrzehnten mit ihrer Missgunst und Kleinkariertheit an den Fundamenten der Demokratie graben. Die das Internet in eine Schlammschleuder verwandelt haben, die nur glücklich sind, wenn sie auf andere herabschauen können. Die sich und ihre kindischen Bedürfnisse über alles stellen. Die lieber simplen Verschwörungstheorien glauben, als sich mit der komplizierten Wahrheit auseinanderzusetzen.“ Leere HerzenIn ihrem neuesten Roman Leere Herzen beschreibt Juli Zeh beklemmend realistisch ein Szenario, das nicht so weit von unserer aktuellen Situation entfernt ist, vielmehr eine mögliche logische Konsequenz daraus darstellt. Die meisten Menschen haben sich ins Nicht-wählen zurückgezogen und die Demokratie wird ignoriert zugunsten des bequemen Einnistens in ein möglichst sorgenfreies und sauberes Privatleben. An der Regierung ist die BBB (Bewegung Besorgter Bürger) mit der Kanzlerin Regula Freyer. Angela Merkel wurde durch die zunehmenden Proteste „Merkel muss weg“ gezwungen, ihr Amt niederzulegen, es gab Neuwahlen, aus der die BBB extrem stark hervorging. Ein Szenario, das Dank des Verhaltens von Leuten wie Seehofer, Söder, Weidel (war sie oder Petry das Vorbild für Regula Freyer?) und Gauland etc. tatsächlich immer wahrscheinlicher zu werden scheint. Trump allerdings scheint in Leere Herzen immer noch amerikanischer Präsident zu sein. Ebenfalls ein Szenario, das nicht so unwahrscheinlich ist. Liegt seine Zustimmung unter den Amerikanern doch gerade bei ca. 45%, und das trotz der in Lagern festsitzenden über 2000 Kindern, um nur eine seiner unendlich vielen Grenzüberschreitungen zu nennen. Langsam aber sicher werden die Grundrechte zurück gefahren und die Demokratie abgebaut. Allerdings merken die meisten das gar nicht, weil sie mit ihren eigenen Leben, Konsum, Sport oder der Frage beschäftigt sind, ob sie ihr Kind nach den Ansätzen der Silicon Valley Pädagogik bilden oder doch lieber in einer musisch orientierten Hochleistungsschule anmelden sollen. Beziehungsweise: sie finden es sogar richtig, dass die Grundrechte zurückgefahren werden, weil sie sich in einer offenen Gesellschaft bedroht fühlen. Die Politik zielt nur noch darauf ab, die Ängste der Menschen zu schüren und dann zu beschwichtigen. Dank des Internets wurde die Wählerschaft mit ihren Ängsten zu einer relativ leicht manipulierbaren Masse. Zwangsläufig führt die Strategie in eine immer abgeschottetere Gesellschaft. Die Menschen sind nicht mehr politisch, scheint es. Niemand interessiert sich für die allgemeine Situation oder die Situation anderer, solange es ihm privat gut geht. Britta und Babak haben eine psychotherapeutische Praxis in der Innenstadt von Braunschweig, Die Brücke. Ihre Klientel sind ausschließlich Männer, die suizidgefährdet sind. Britta und Babak lassen diese „Kandidaten“ ein zwölfstufiges Programm durchlaufen, um sie von ihren Selbstmordabsichten zu heilen. Die meisten Kandidaten verlassen das Programm auch auf Stufe 5, 6 oder 8 geheilt, wollen sich das Leben nicht mehr nehmen. Die ausgesuchten wenigen allerdings, die bis zu Stufe 12 kommen und der eigentliche Grund für das Geschäft sind, die auf Stufe 12 also trotzdem noch sterben wollen, das sind jene, mit denen Britta und Babak wirklich Geld machen. Sie vermitteln sie als Selbstmordattentäter an interessierte Organisationen: radikale Tierschützer, IS-ähnliche Armeen, die PKK. Diese zynische Strategie, die beide eher pragmatisch finden, hat sie reich gemacht. Die Situation beginnt sich zuzuspitzen, als ein Anschlag am Leipziger Flughafen geschieht, der zum ersten Mal seit langer Zeit nichts mit Der Brücke zu tun hat und wenige Tage später die junge Julietta in den Räumen Der Brücke auftaucht. Leere Herzen ist, wie alle Bücher von Juli Zeh, handwerklich großartig. Sie versteht es, den Leser vom ersten Satz an an die Hand zu nehmen und bis zum letzten Punkt auch nicht mehr loszulassen. Ein wirklicher Pageturner. Trotzdem habe ich mich während der Lektüre mehrfach an dem Buch gerieben, weil es mir zu glatt und konstruiert erschien. Beides Kritikpunkte, die ich immer noch habe und im Grunde bei allen neueren Büchern von ihr hatte. Leere Herzen ist nicht die Art Buch, die ich wirklich mag und häufig lese. Dennoch bin ich ein Fan von Juli Zeh, vor allen Dingen liebe ich ihre älteren Bücher wie Adler und Engel, Schilf, DieStille ist ein Geräusch (hier meine Rezension) oder Spieltrieb. Und was ich wirklich beeindruckend finde ist, wie schnell Juli Zeh in der Lage ist, aktuellste politische Geschehnisse literarisch auf relativ hohem Niveau zu verarbeiten und umzusetzen. An manchen Stellen fand ich die Geschichte, die Charaktere etwas sehr platt, etwas sehr konstruiert. Aber letztlich schildert sie, was ist und widersteht der naheliegenden Versuchung, eine Lösung mit großem Knall anzubieten. Das, was sie dem Leser bietet, ist im Grunde viel komplizierter. Denn für mich enthält das Buch am Ende eine sehr klare Botschaft: wenn wir die Demokratie, Europa, unsere Werte retten wollen, können wir das nur, wenn wir wirklich fühlen, dass sie gerade zerstört werden, jeden Tag ein bisschen mehr, und wenn wir wirklich spüren, dass wir sie erhalten wollen. Nur dann haben wir vielleicht den Mut, die Ausdauer und Kraft, dafür einzustehen und uns nicht gemütlich in unsere Gärten und Leben zurückzuziehen. Solange es den meisten im Grunde egal ist, wird es weiter bergab gehen. „Du bist nicht leer“, sagte Julietta sanft. „Du trägst alles in dir. Du musst dir nur erlauben, auf dich selbst zu hören.“ Ein Buch, das gerade in diesem Sommer, in dem die "Merkel weg"- Rufe immer lauter werden, in dem die Nation schon in der Vorrunde der WM "gedemütigt" vom Rasen kriecht, eine wichtige Lektüre ist. Denn es beschreibt die Befindlichkeit derer, die dem Ende der Demokratie den Weg bereiten, haargenau. Also trotz meiner persönlichen Zurückhaltung empfehle ich das Buch dennoch, zum Beispiel als wunderbare Urlaubslektüre. Weil ich das Thema so unglaublich wichtig finde und es hier in einer Form verarbeitet wird, die ich als sehr zugänglich empfunden habe. Hier meine anderen Texte vom Blog, die sich mit Juli Zeh und ihren Büchern befassen. Ich danke dem Luchterhand Verlag sehr herzlich für das Rezensionsexemplar. (c) Susanne Becker

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