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Rezension zu
Leere Herzen

Von leeren Herzen und den Bedrohungen der Demokratie.

Von: Starting2Read
23.11.2017

Auf geschickte Weise verknüpft Juli Zeh ihre gesellschaftskritische, dystopische Zukunftsvision von Deutschland mit einem spannenden Polit-Thriller. Sie schreibt gewohnt schnörkel- und schonungslos, beleuchtet all die Makel und Fehler ihrer Figuren detailiert. Die Sprache ist schlicht und direkt, reich an Dialogen und im Vergleich zu beispielsweise Corpus Delicti oder Schilf arm an rhetorischen Mitteln – was jedoch zum hohen Tempo des Romanes beiträgt und die Vereinfachung politischer und gesellschaftlicher Zusammenhänge durch die BBB unterstreicht. Ihre Charaktere erscheinen nahbar und realistisch, ihre Handlungen nachvollziehbar. Und so gelingt es, Personen verletzlich erscheinen zu lassen, ohne sie zu romantisieren. Die Gesellschaft, die Juli Zeh entwickelt, ist unserer so nah und doch so fern. In einigen Teilen erinnert sie an Michel Houellebecqs Unterwerfung, in anderen an Forderungen von AfD und PEGIDA. Es ist illusorisch zu glauben, wir seien vor einer derartigen Entwicklung gefeit. Und das Ende der Sondierungsgespräche sowie die Möglichkeit von Neuwahlen haben zusätzlich dazu beigetragen, dieser düsteren Vision eine erschreckende Glaubhaftigkeit zu verleihen. Es scheint nicht ausgeschlossen, dass sich Deutschland auf genau diesem Weg befindet, den Juli Zeh gezeichnet hat. Und diese Tatsache macht den Reiz und die Schaurigkeit von Leere Herzen aus. Es ist das alte Spiel: Wie wichtig ist die Freiheit? Können wir in einer so übersättigten Zeit wie der unseren Freiheit überhaupt noch wertschätzen? Und wieviel Freiheit ist man bereit, für ein Mehr an Sicherheit aufzugeben? All das sind Fragen, die Politik und Philosophie seit jeher beschäftigen. Sie sind zentral für die Ausgestaltung des Gemeinwesens. Alexis de Tocqueville warnte bereits vor über zweihundert Jahren vor der Anfälligkeit der Demokratie, er misstraute der Masse, befürchtete, sie würde die Freiheit im Tausch für mehr Gleichheit oder mehr Sicherheit zu schnell abgeben. In Leere Herzen spricht Britta von einer Umfrage, „die Leute wurden gefragt, was sie tun würden, wenn sie sich zwischen dem Wahlrecht und ihrer Waschmaschine entscheiden müssten. […] Siebenundsechzig Prozent wählten die Waschmaschine. Fünfzehn Prozent waren unentschieden“ (S. 205). Diese apolitische, desinteressierte, passive Haltung ist charakteristisch für dieses Deutschland 2025. Die Menschen sind leer von Prinzipien und voll von Zynismus. In der Bevölkerung machen sich Politikverdrossenheit und Lethargie breit. Zwar ist es einerseits spannend und faszinierend, von einer Welt zu lesen, in welcher Politikverdrossenheit en vogue ist und politische Teilhabe ihren intrinsischen Wert verloren hat. Andererseits ist aber unglaublich erschreckend, weil sich all diese Gedankenspiele so nah an unserer Realität entlanghangeln. Denn wenn ich beispielsweise an meinen erweiterten Familien- und Freundeskreis denke, bin ich mir auf einmal gar nicht mehr so sicher, wer sich tatsächlich zugunsten des Wahlrechtes gegen eine eigene Waschmaschine entscheiden würde. Juli Zeh gelingt ein leidenschaftlicher Appell für Teilhabe, für demokratische Prinzipien, für Sinnsuche und Lebensfreude. Mittlerweile ist bekannt, wie zerbrechlich die Demokratie ist. Dieser Gedanke dominiert das von Juli Zeh erschaffene Deutschland 2025; der Leser wird Zeuge, wie der demokratische Staat schrittweise unterwandert und ausgehöhlt wird, ohne dass sich größerer Widerstand zu regen scheint. Beinahe wirkt es, als wolle Juli Zeh warnen und wachrütteln, und verpackt dies in die Geschichte von Britta und Babak, die sich im mittelgroßen, mittelmäßigen Braunschweig so durchwurschteln wollen, unter dem Radar fliegen und ja nicht auffallen, sich mit dem System arrangieren und glauben, irgendwie doch etwas Gutes zu tun. Vielleicht ist Leere Herzen ein Roman gewordener Aufruf zum Schutz der Demokratie – das Leseerlebnis stört dies, meines Erachtens nach, allerdings nicht. In vielen Punkten entspricht Leere Herzen genau meinem Geschmack: dystopische Gesellschaftskritik mit aktuellem Bezug wird mit einem fesselnden Polit-Thriller verknüpft. Das Erzähltempo ist hoch, das Buch kurzweilig, durchweg spannend und schnell zu lesen. Freilich entwirft Juli Zeh keine neue Welt und betritt auch keinen neuen Pfad, und dennoch stimmt ihr Thriller Leere Herzen nachdenklich und bietet reichlich Stoff zum Hinterfragen – es ist die Art von Buch, die einem auch nach dem Lesen noch lange durch den Kopf spukt. Ich habe das Buch sehr gerne gelesen und kann es nur wärmstens weiterempfehlen!

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