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Rezension zu
Shylock

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Shakespeares Shylock

Von: Niamh O'Connor
01.10.2017

Es gibt Bücher, mit denen man ein wenig Geduld haben muss, Shylock von Howard Jacobson war für mich eines davon. Über das erste Drittel des Romans geben sich die beiden Hauptcharaktere, der wohlhabende Kunstsammler Simon Strulovitch und der Witwer Shylock, die einander auf dem jüdischen Friedhof von Manchester begegnet sind, geschliffenen Dialogen hin, sonst passiert allerdings nicht viel. Kurz nach der Begegnung zieht Shylock in Strulovitchs Haus ein und zwischen den beiden Männern entspinnen sich Streitgespräche, deren Hauptthemen die jüdische Identität und der Antisemitismus sind. Was bedeutet es, Jude zu sein? Wer trägt Schuld an Judenverfolgung und Diskriminierung? Wie darauf reagieren? Haben etwa die Juden selbst Anteil daran? Wir erfahren, dass Strulovitch in erster Ehe mit Ophelia-Jane, einer Christin, verheiratet war und daraufhin von seinen Eltern für tot erklärt wurde. Erst die zweite Ehe mit der Jüdin Kay hatte die Eltern wieder versöhnt. Nun dämmert Kay nach einem Schlaganfall in ihrem Bett dahin, und die gemeinsame Tochter Beatrice, kaum 16 geworden, ist mit einem unkultivierten Fußballer durchgebrannt, der eine Vorliebe für jüdische Mädchen hat, für den Frauen im Allgemeinen aber austauschbar sind. Auch Shylock hat eine Tochter verloren, Jessica, und er verbringt viel Zeit im Zwiegespräch mit seiner verstorbenen Frau Leah. Nach 100 Seiten ist genug herumgeredet. Strulovich beschließt zu handeln, die Geschichte nimmt Fahrt auf und bleibt bis zuletzt unterhaltsam und spannend. Der Autor schießt giftige Satirepfeile auf Vieles, unter anderem auf Koch- und Realityshows mit reichen Erbinnen, auf den modernen Kunstbetrieb sowie auf Paolo Coelho und seine Leser, und das Thema Antisemitismus und wie die Juden selbst damit umgehen wird ebenso satirisch und ins Absurde verzerrt abgehandelt. Die Frage, ob dies zulässig sei, lässt sich möglicherweise mit einem Zitat aus dem ersten Kapitel beantworten: „Juden scherzen, Ophelia-Jane, weil ihnen nicht zum Lachen zumute ist“, sagt Strulovitch darin zu seiner Frau. My Name is Shylock, so der englische Titel des Romans, ist Teil des Hogarth Shakespeare Projects, und mit Der Kaufmann von Venedig hat er eine Vorlage, die aufgrund der Darstellung des jüdischen Geldverleihers Shylock häufig als Shakespeares kontroversiellstes Stück bezeichnet wird und laut Klappentext auch für Howard Jacobson „das verstörendste Schauspiel aus der Feder des Dramatikers“ ist. Das Stück als Beleg dafür zu betrachten, dass Shakespeare ein überzeugter Antisemit war, wäre jedoch eine grobe Vereinfachung. In seiner detaillierten Shakespeare-Biographie meint Peter Ackroyd, Shylock sei eine Figur jenseits von Gut und Böse, die sich der Interpretation entziehe, und die Art, wie Jacobson diese Figur in seinem Roman verwendet, lässt sich mit Ackroyds Einschätzung in Einklang bringen: Jacobson verpflanzt Shakespeares Shylock ohne viel Federlesen in die moderne Handlung und geht dabei so weit, ihm, wie auch anderen Figuren, gelegentlich Originalzitate aus dem Theaterstück in den Mund zu legen. Gleichzeitig ist Shylock derjenige, der Strulovitch immer wieder zur Mäßigung seiner Rachegelüste auffordert. Strulovitch ist in gewisser Weise ebenfalls Shylock, nur eben die moderne Ausgabe. Diese doppelte Darstellung hat beim Lesen die Frage auftauchen lassen, ob Shylock überhaupt real existiert oder ob es ihn nur in Strulovitchs Fantasie gibt. Die Suche nach einer Antwort und das einfallsreiche Spiel mit anderen Motiven Shakespeares, etwa dem nur angedeuteten homoerotischen Interesse von D’Anton, der die Liaison zwischen Beatrice und ihrem Fußballspieler eingefädelt hat und sich mit pathetischer Hingabe aufopfert, machen das Vergnügen beim Lesen aus.

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