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Rezension zu
Eine kurze Geschichte von sieben Morden

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Marlon James | EINE KURZE GESCHICHTE VON SIEBEN MORDEN

Von: Bookster HRO
22.08.2017

INHALT: Jamaikas Hauptstadt Kingston ist Ende 1976 Spielball der zwei großen Parteien des Landes. Die People’s National Party unter Führung von Michael Manley ist an der Macht und führt den Inselstaat nach und nach in eine eine Art sanften Sozialismus mit festen Beziehungen zu Kuba und der Sowjetunion. Die oppositionelle Jamaica Labour Party unter Edward Seaga verfolgt dagegen pro-westliche Ziele mit guten Kontakten zur CIA. Der Wahlkampf ist in vollem Gange und es gilt der Leitspruch: »Wer Kingston gewinnt, gewinnt auch das Land«. Leider werden die demokratischen Grundprinzipien nicht gerade als heilig angesehen und so gibt es parallel zum offiziellen Wahlkampf auch zwei einflussreiche Gangs, Copenhagen City und die Eight Lanes, die sich auf den Straßen von Kingston einen erbitterten Kleinkrieg liefern. Als ein weltberühmter Raggea-Sänger – der Name wird nie genannt – auf Vorschlag der PNP ein Friedenskonzert für die Jamaikaner geben soll, erreicht der Bandenkrieg eine neue Dimension: Sieben Männer brechen in das Haus des Sängers ein und schießen auf alles, was sich bewegt. Doch der Sänger überlebt und kann sogar das Konzert bestreiten. Die PNP bleibt an der Macht, doch für die Attentäter wird ins Horn geblasen und es beginnt eine Jagd auf jeden Einzelnen die bis in die frühen 90er Jahre dauert, bis auch der Letzte für den Mordversuch sein Leben lassen muss. FORM: Marlon James‘ ehrgeizig fetter Wälzer ist in fünf große Kapitel unterteilt, die für fünf wichtige Tage in der Geschichte dieses speziellen Rachfeldzugs stehen, beginnend mit dem Abend des Attentats, des Folgetages, Stippvisiten in 1979 und 1985, und dem Finale im März 1991. Das ganze Buch über lässt James die Protagonisten sprechen, sowohl die Attentäter und ihre Gegenspieler, als auch mehr oder minder nebenbeteiligte Personen (CIA, Presse, etc.). Es entsteht ein Roman aus Dutzenden Stimmen und ein dichtes Geflecht aus Ansichten und Beweggründen – ganz nach dem Vorbild von Faulkners ALS ICH IM STERBEN LAG, auf das in der Danksagung auch explizit hingewiesen wird. Doch eine gute Konstruktion ist natürlich nichts Wert, wenn man nicht auch schreiben kann. Und hier kann ich ruhigen Gewissens bestätigen: Der Mann kann schreiben. Marlon James (*1970) hat jeder seiner Figuren eine eigene Stimme gegeben, was ihm bei dieser Vielzahl an Menschen unterschiedlichster sozialer Schichten grandios gelungen ist. Auch dem Übersetzer-Team kann hier ein ganz klares Lob ausgesprochen werden – es war sicher nicht leicht den Originaltext mit seinem Jamaika-Vokabular ins Deutsche zu übertragen, ohne die Grundatmosphäre zu beschädigen. Die Geschichte selbst hat bei weit über achthundert Seiten naturgemäß ihre Längen. Die Dialoge sind oft zäh – wenn auch mit viel Sarkasmus gewürzt – und manche Nebenkriegsschauplätze hätten meines Erachtens nicht so ausgewalzt werden müssen. Dem gegenüber stehen reichlich Szenen voll brutalster Gewalt, die ich in atemloser Spannung gelesen habe. Dies aber nicht aus voyeuristischen Gründen, sondern weil James es versteht, seine Leser in die Figuren eintauchen zu lassen. Wenn dem jungen Demus beispielsweise das Adrenalin vor lauter Aufregung schon aus den Ohren tropft, steigt auch der Puls des Lesers. Oder wenn die hübsche Nina des Nachts von korrupten Polizisten im Streifenwagen ins unbekannte Dunkel entführt wird, spürt man ihre Angst förmlich unter der Haut. Das alles ist Marlon James‘ schriftstellerischem Können zu verdanken, der stilsicher alle Tricks nutzt, um seine Leser mit auf die Reise zu nehmen. Auch die Recherche zu den Vorfällen muss sehr umfangreich gewesen sein. EINE KURZE GESCHICHTE VON SIEBEN MORDEN ist ein Schlüsselroman in dem jede große Figur einer historischen Person zugeordnet werden kann – der Sänger, dessen Name nicht genannt wird, ist dabei noch die leichteste Hürde. Sowohl die Politiker als auch die Gang-Mitglieder und deren Dons gibt oder gab es wirklich, was dem Roman ein erhebliches Plus an Authentizität verleiht. Es bleibt jedoch zu bemerken, dass die wahren Hintergründe offiziell nie völlig aufgedeckt wurden, und sich James als Grundlage für sein Buch nur bei einer der vielen Spekulationen bedient hat. FAZIT: Diese kleine Einschränkung ändert aber nichts an der Gesamtqualität dieses beeindruckenden Werkes, das völlig zu Recht mit dem Man Booker Prize geehrt wurde. Dieser Roman ist mehr als nur die Untersuchung eines Kriminalfalles oder ein schnöder Politthriller – es ist das Sittengemälde eines ganzen Landes über viele Jahre hinweg, geschrieben von einem grandiosen Schriftsteller. Fünf Sterne.

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