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Rezension zu
Der erste Stein

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Hochaktueller, epischer Anti-Kriegsroman

Von: Michael Lehmann-Pape
27.04.2017

„Ratlos sehen sie sich an. Sara geht zwischen den Toten umher, tritt sie. Ein Ausdruck wilden Triumphes in ihrem Blick…..Wird sie ebenfalls so herumlaufen, wenn sie selbst eines Tages ausgestreckt auf der Erde liegen sollte?“. Was schneller passieren kann, als man denkt, betrachtet man diese eintönigen, langweiligen Tage, die fast mehr noch an den Nerven zehren, als wenn sie doch handeln könnten. Kämpfen, planen, strategisch vorgehen. Doch in diesem Afghanistan des Untergrundkrieges, bei dem nicht offene Kämpfe, sondern heimtückische Anschläge, Landminen und die ständige Ungewissheit, wann „der Feind“ zuschlägt und wer das genau ist, dieser Feind, die Nerven beanspruchen, kommt jede strukturierte Soldaten-Ausbildung an ihre Grenzen. Denn das zähe vergehen der Stunden und Tage ist trügerisch, wie die dänische Einheit unter Führung eines kernigen, charismatischen, allseits geschätzten Offiziers bitter erleben wird. Als erste Tote zu beklagen sind, heimtückisch durch eine Mine getötet. „Der Adrenalinrausch ist vorbei. Noch immer halten behalten sie die entwaffneten Männer im Auge…..Es ist ein gefährlicher Augenblick. Denn jetzt fangen sie an zu zweifeln“. Und das (innerlich, denn die Befehlskette steht natürlich, auch wenn der Anführer nicht da ist) leicht orientierungslos, denn Schröder, der Befehlshaber der Gruppe, ist nicht da. Nicht zu finden. Noch nicht. Doch Spuren hat er hinterlassen. Harte Spuren, Von allen Seiten von möglichen Feinden umgeben, ein Land im Ausnahmezustand, Taliban und rivalisierende Gruppen, alle gegen jeden und der Rest gegen die westlichen „Schutzkräfte“, einmal angestoßen, macht die Gewalt sich in diesem Roman mehr und mehr selbstständig, steigert sich, kulminiert, so dass die Personen im Buch mehr und mehr nicht mehr Akteure des Geschehens sein werden, sondern reagierende und getriebene. „Erschießt erst einmal mehr als ein Dutzend Menschen, inklusiver Frauen und Kinder. Und fragt hinterher. Andere Menschen räuspern sich, bevor sie sprechen. Ihr schießt“. Aber die Ruhe zu bewahren, erst mal zu fragen und dann zu handeln, dass fällt bei diesen Szenen etwa in der Mitte des umfassenden Romans eben nicht mehr leicht, zu viel ist bereits geschehen, als das eine innere Ruhe noch zu finden wäre. Und da dieser sich ständig steigernden inneren Unruhe, diesem „Flattern der Nerven“ und abtauchen in tatsächlich oft sinnlose „Kleinkriege“ der sehr ruhige, unaufgeregte Tonfall Jensens kontrastreich entgegensteht, bleibt dem Leser viel Freiheit, mit eigenen, inneren Bildern der Eskalation der Gewalt und dem Verlieren der Fassung der zu Anfang kühl und professionell wirkenden Soldantetruppe zu folgen. Was nachhaltige Wirkung erzeugt. Denn geht so Frieden? Kann so Eintracht, zumindest eine Balance der Kräfte im Land entstehen? Oder stimmt die alte Formel doch, dass sich die Ziele in den Mitteln wiederfinden müssen? Denn jene Ansätze, in denen eher Empathie als Gewehre und Ausrüstung in den Vordergrund treten, könnten Hoffnung machen. Wenn nicht die verschiedenen Interessen und inneren Überzeugungen einander so diametral gegenüberstehen würden, dass im Roman wenig Aussicht und wenig Hoffnung auf überhaupt irgendeine, vor weniger konstruktive Lösung verbleibt. So versteht es Jensen glänzend, auf beiden Ebenen des Romans, einen intensiven Eindruck und wichtige, offene Fragen zu hinterlassen, Sei es im „Mikrokosmos“ der Gruppe von Soldaten, sei es im Makrokosmos der großen Fragen nach Krieg und Frieden und dem Aufeinanderprallen wesensfremder Kulturen, beispielhaft hier in Afghanistan, einem der Brennpunkte der Gegenwart. Eine rundweg empfehlenswerte, hervorragende Lektüre über die Tatsache, dass es irgendwann völlig egal wird, wer vermeintlich den ersten Stein geworfen hat, weil die Spirale der Gewalt kein Ende findet und irgendwann auch keinen Anfang mehr kennt.

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