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Rezension zu
Die Besiegten

Zeitenwende der brutalen und tiefgreifenden Weise

Von: Michael Lehmann-Pape
01.03.2017

Was am Ende des ersten Weltkriegs übrig blieb waren nicht nur Millionen von Toten, zerstörtet Weltmächte und eine tiefgreifende Veränderung der politischen Landkarte Europas samt dem ersten, nachhaltigen und eindeutigen Eingreifen Amerikas als militärische „Supermacht“, zumindest als entscheidendes Zünglein an der Waage, sondern, und das vor allem wurde prägend für die gesamte weitere Geschichte des 20. Jahrhunderts, der erste Weltkrieg brachte im eigentlichen Sinne keinen Frieden, sondern legte die Grundlagen für Gewalt, Aufbegehren, ein zutiefst instabiles Gleichgewicht. Und das lag nicht nur an den immensen und letztlich nicht leistbaren Reparationszahlungen, die den Verlierern, an vorderster Front Deutschland, auferlegt wurden. Vielmehr kann man auch konstatieren, dass ein ideologisches Vakuum der Mächte entstand. Das eine ganze Welt, die der Monarchie, der Feudalherrschaft, der klaren Blöcke untergegangen war. In Russland die Revolution, in Deutschland die Weimarer Republik, in Italien eine schwache Regierung, wie auf Sand gebaut erscheint, was der Krieg und die darauffolgenden Ansprüche und Verteilungskämpfe neu ins Leben rief. So wurde nicht eine neue „Weltordnung“ geschaffen, sondern, zum Teil aus Unvermögen, zum Teil aus Gier, zum Teil aus Hybris und aus mannigfaltigen anderen Motiven, ein höchst instabiles „Gebäude Europa“, gebeutelt von Gewalt, versuchten und gelungenen Staatsstreichen, einem kollektiven „Genussleben“ der „wilden zwanziger Jahre“, als gäbe es kein Morgen, wie Gerwarth fundiert aufweist. So ist gerade der dritte Hauptteil des Buches über den „imperialen Zerfall“ ein intensiv zu lesendes, packendes Stück Geschichte, in dem mehr als deutlich wird, dass, folgt man Gerwarth, dass das dritte Reich und die Nationalsozialisten mit ihrer von Beginn an gewaltträchtigen und kriegerischen Sprache eben nicht „wegen des Interesses am Krieg“ oder an „Rache für Versailles“ an die Macht gelangen konnten, sondern aufgrund ihres Versprechens, des Mitschwingens einer „ordnenden Kraft“. Dass nach Räterevolution, kulturellen Experimenten, Währungskrise, Hyperinflation, Massenarbeitslosigkeit und was der Dinge alle noch waren „Stabilität“ der wohl größte Wunsch der meisten Menschen jener Zeit war. Eine vorhergehende Unordnung, die in den Jahren nach dem Krieg in vielfachen „kleineren Konflikten“ (denen Gerwarth im Einzelnen nachgeht) weitere Millionen von Menschen das Leben kostete. Dessen der überwältigende Teil der europäischen Bevölkerung letztlich einfach überdrüssig war. Eine Linie, aus der heraus vielleicht sogar die Langmut der Siegermächte, allen voran Großbritanniens, zu erklären ist, was die zunächst tastenden, dann energischen Gebietsvereinnahmungen später durch Hitler angeht. Eins vor allem galt nach dem ersten Weltkrieg, gerade nach offizieller Kapitulation. “Der Krieg ist nicht zu Ende“. Er wurde nur Kleinteiliger oder auf andere „Schlachtfelder“ (die der Wirtschaft und der Politik“ verlegt. Wovon auch der rigide zunehmende Antisemitismus nicht nur in Deutschland ein beredtes Zeugnis ablegte. So waren die Jahre „danach“ nur eine „Illusion von Frieden“, wie Gerwarth flüssig im Stil herausarbeitet, und wie die Nachkommen aus heutiger Sicht klarer erkennen als jene, die damals „mitten im Leben“ standen. Dass alle Versuche, stabile Ordnungen herzustellen, letztlich nur die Instabilität erhöhten und geradewegs auf die nächste, große, dann immens vernichtende Auseinandersetzung herausliefen. Eine hervorragende Lektüre in einer Zeit, in der wiederum festgefügt geglaubte demokratische Werte und „Weltordnungen“ in temporeicher Auflösung begriffen sind und ein Werk, bei dem der Satz stimmt, dass aus der Geschichte elementare Wahrheiten zu lernen sind. Wenn man richtig und ohne ideologische Brille hinsieht.

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