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Rezension zu
Die radikalisierte Gesellschaft

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Das Gefühl der Machtlosigkeit als Teil der inneren Radikalisierung

Von: Michael Lehmann-Pape
21.11.2016

Das Lantermann in seinem neuen Werk den Blick auf Islamismus, den Koran oder andere konkrete, radikale Gruppen weitgehend auslässt und eben nicht diese Form der „Radikalisierung“ als erstes in den Blick nimmt, mag auf den ersten Blick Verwundern in Hinsicht auf den Titel des Buches. Umgehend aber erschließt sich, was Lantermann wirklich als Objekt der Betrachtung setzt und welchen tiefen Wert seine Gedanken für die gesamte Problematik der Radikalisierung in jeder Form besitzen. Als Psychologe ist es Lantermann gewohnt, systemisch zu denken. Und ebenso systemisch legt er nun seine Analyse eines konkreten innerlich motivierten und äußerlich sich zeigenden Bewegung vor, die mehr ist als eine „Gemütslage“, aber auch nicht „vom Himmel fällt“, sondern auf deutlich erkennbaren Entwicklungslinien in der Verfassung einer Gesellschaft beruht. In der sich mehr und mehr Gruppen mit ganz eigenem Wertgefüge und „Schwarz-Weiß“ Denken etablieren (nicht nur bei Demonstrationen politisch, wie Lantermann an einer ganzen Reihe von „Lebenshaltungen“ ausführen wird. Ein „systemischer Effekt“ somit ist (auch) eine zunehmend beobachtbare Tendenz zur Radikalisierung. Wobei die „Unsicherheit in der alltäglichen Erfahrung“, das „abgehoben“ und nur mehr abstrakt wahrnehmbare Agieren mit immer größeren fiskalischen Summen, das Ausgrenzen bis Abhängen unterer Lohn- und Bildungsschichten, der unsichere Ausblick in die Zukunft einer Industrie, in der „sichere Arbeitsplätze“ zunehmend angezweifelt werden, in der durch die geforderte hohe Mobilität „sichernde“ Verbünde aufgelöst werden und so eine Gefühlslage allgemeiner Verunsicherung und, damit eng begleitend einhergehend, eine starke Bedrohung des Selbstwertgefühls des Einzelnen auf den Plan tritt. Wenn Lantermann dies konstatiert und dann die (eigentlich angesichts der Probleme der Welt fast lächerlich anmutenden) hilflosen „Gegen-Wert-Bewegungen) des „optimierten Körpers“ und des „sinnstiftenden Essens“ ruhig betrachtet und erläutert, dann wir umgehend scharf und deutlich, dass für einen weiten Teil der Bevölkerung eben keine innere Sicherheit über die Verhältnisse und das eigene Leben „automatisch“ als Haltanker vorliegen und kein verbindlicher Wertege3danke („Der Staat und die Politik“ mehr als „große Klammer“ stehen, sondern „Ersatzmechanismen“ eintreten, die eine „Gefühl der Sicherheit“, aber eben nur für den Moment und nur für eine bestimmte Grupp „Gläubiger“ geben. Fast als zwangsläufige Logik eines wie immer zu wertenden „Selbstschutzes“ kommt es zu solchen „Ersatz-Sinn-Gebern“ oder eben zu einem Zusammenschluss in neuen Peer Groups, die das „Alte“ (eher das „Nun Eigene“) vehement verteidigen, bzw. Wiederherstellen wollen. Weg mit dem Fremden (der die eh schon innerlich prekäre Lage noch mehr anheizt und bedroht) und hin zum vermeintlich Sicherheit bietenden „Nur noch unter meinesgleichen“. Was zwar am sicherheitsbedrohenden Wandel der Welt und dessen Bürde gerade für die meisten jungen und „normalen“ Bürger nichts ändert, aber zumindest das Gefühl eines „Rudels“ und der dazugehörigen Sicherheit samt der Möglichkeit zur Steigerung des Selbstwertes innerhalb der überschaubaren Gruppe bietet. Ohne Brüche entfaltet Lantermann so seine „Logik des Fanatismus“ und zeigt mit klarer Analyse auf, wo die wirklichen Wurzeln einer „Entwurzelung“ liegen. Am Wegbrechen wichtiger Sicherheiten und äußeren Möglichkeiten der Stärkung des Selbstwertes, dem der Einzelne (so er nicht zu „denen da oben gehört“ sich gegenüber ohnmächtig erlebt, Und mit dem reagiert, was in der Einzeltherapie „Abwehrveralten genannt werden würde. Ein Erleben des Verlustes der Kontrolle, dass zu einer permanenten aggressiven Grundstimmung zunächst in Einzelnen und dann in größer werdenden Gruppen der Gesellschaft sich auswächst, wenn nicht früh diese Ängste und Unsicherheiten aufgenommen und gelöst werden. Ein deswegen wichtiges Buch, weil es nicht an „Symptomen“ und vordergründigen Ängsten „herumdoktert“, sich keinen Sand durch markige Worte in die Augen streuen lässt, sondern auf die „Krankheit“, die „Störung“ selbst hinweist, aus der Radikalismus in der Regel her gesellschaftlich entsteht. Und damit auch einen Leitfaden an die Hand gibt, wo gegengesteuert werden könnte (wenn einem der materielle Preis nicht zu hoch erscheint und man deswegen das alles laufen lässt).

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