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Rezension zu
Die Unglückseligen

Die Sache mit dem ewigen Leben

Von: Inas Bücherkiste
12.11.2016

Die deutsche Molekularbiologin Dr. Johanna Mawet befindet sich im Roman Die Unglückseligen von Thea Dorn auf einem Forschungsaufenthalt in einer Kleinstadt an der amerikanischen Ostküste. Sie als ehrgeizig zu beschreiben, wäre gnadenlos untertrieben: Den letzten Kontakt zu ihren Eltern gab es aus Zeitgründen vor zwei Jahren, sie hat keine Beziehung und schon gar keine Freunde, das Forschungslabor ist de facto ihr Wohnzimmer. Dort macht Johanna die Nacht zum Tag. Beim Einkaufen im Supermarkt trifft Johanna auf einen Tütenpacker, der sich höchst merkwürdig benimmt: Als er sie sieht, beginnt er vor Angst zu schlottern und läuft schreiend vor ihr davon. Kein Wunder: Der Mann, dessen Name Johann Wilhelm Ritter ist, glaubt in ihr eine Frau zu erkennen, mit der er etwa 200 Jahre zuvor Kontakt hatte. 200 Jahre? Ja! Bei Ritter handelt es sich um einen Physiker und Autodidakten aus der Zeit der Romantik, der bereits 1810 im Alter von 33 Jahren gestorben ist. Das behaupten zumindest die Geschichtsbücher. Auf den heute vergessenen Ritter gehen die Entdeckung der UV-Strahlen und der Bau des ersten Akkumulators zurück. Beim Anblick von Johanna glaubt der offenbar unsterbliche Ritter nun, sie sei die Verkörperung des Teufels. Wer würde da nicht die Flucht ergreifen? Doch Johanna begegnet dem seltsamen Mann, der keineswegs wie ein Greis aussieht, wieder und nimmt ihn, der offensichtlich allein und arm ist, mit zu sich nach Hause. Seine altmodische Ausdrucksweise hält sie zunächst nur für verschroben, auch die Behauptung, er sei bereits 240 Jahre alt, stuft sie als Lüge ein. Doch nach und nach bröckelt ihre Skepsis und sie beginnt, nachzuforschen. Tatsächlich stellt sie fest, dass Ritter sie nicht belogen hat. Das stachelt sie an und weckt ihre Neugier: Sie selbst ist schon seit Jahren dem Problem auf der Spur, wie man die Sterblichkeit der Menschen beenden kann. Dieser Reisende durch die Zeit könnte nun der Schlüssel zu ihrem wissenschaftlichen Erfolg sein. Sie überlegt, was sein Leben so sehr von den Leben seiner Zeitgenossen unterschieden haben könnte, dass er praktisch alterslos wirkt und sich seine Zellen derart schnell regenerieren, dass ihm auch üble Verletzungen nichts anhaben können. In den Gesprächen mit Ritter erklärt ihr der Physiker, dass sein Hauptaugenmerk damals auf der Erforschung der Elektrizität gelegen habe. Johanna kann mit seinen pathetisch vorgetragenen Erklärungen zunächst nichts anfangen, Ritter überredet sie jedoch, sich unter seiner Regie den selben Versuchen auszusetzen, die er seinerzeit an sich durchgeführt hat. Sie willigt ein und erleidet Höllenqualen, die sie zwar verletzen, aber nicht töten. Ist die Elektrizität der Schlüssel zur Unsterblichkeit? Die Unglückseligen kreist um die Frage, ob die Abschaffung des Sterbens erstrebenswert ist oder nur eine elende Quälerei. Johannas wissenschaftliches Ziel deckt sich mit den Vorstellungen, die die heutige Humangenetik und Biomedizin antreiben. Die Wissenschaftlerin will sich nicht damit abfinden, dass die Menschen mit ihrem Tod ihre Erfahrungen, ihr Wissen und ihr Können unwiderruflich mit ins Grab nehmen. Aus der Sicht des Physikers Ritter, der in seinen wissenschaftlichen Hochzeiten um das Jahr 1800 von Goethe verehrt wurde und mit dem Schriftsteller und Philosophen Novalis befreundet war, ist der Zustand der Unsterblichkeit nicht erstrebenswert, er wäre gern schon viel früher gestorben. Sein im Roman beschriebenes Verhalten passt jedoch nicht zu seinem Lebensweg: Er spricht und benimmt sich so, als befinde er sich noch immer im beginnenden 19. Jahrhundert. Da er sich jedoch nicht nur in Deutschland, sondern auch in den USA, in der Polarmeerregion, im Himalayagebirge, in Jerusalem und als Eremit in der Wüste aufgehalten hat und immer wieder mit Frauen liiert war, bis diese starben, ist es nur schwer vorstellbar, dass sich ein intelligenter Mann, der schon in seiner Kindheit seine Umgebung sehr genau beobachtete, sich nicht weiterentwickelt haben sollte. Die Textabschnitte, die Johanna oder Ritter zuzuordnen sind, lassen sich anhand der sehr unterschiedlichen Ausdrucksweise der beiden erkennen: Johanna spricht klar und prägnant und streut gern englische Ausdrücke in ihren Redefluss ein; Ritter hingegen artikuliert sich so, als sei er der Frühromantik frisch entstiegen: Seine Sätze sind lang, und es fällt ihm nicht leicht, schnell zum Kern einer Aussage zu kommen. Die dritte Figur, die sich immer wieder kommentierend einschaltet, ist der Teufel. Ihm wurden von Thea Dorn im altmodischen Deutsch geschriebene Verse zugeordnet. Die Autorin bedient sich bei der Darstellung von Nebenfiguren auch einiger Dialekte: Bayrisch, Schwäbisch und Schlesisch sollen vermutlich authentisch wirken und dem Leser vermitteln, sich in einem bestimmten Zeitabschnitt zu befinden. Dieser Wechsel bremst jedoch den Lesefluss deutlich ab und wäre nicht immer nötig gewesen. Interessant sind allerdings die Passagen, die sich mit der Humangenetik beschäftigen. Zusammenhänge werden wissenschaftlich dargestellt, ohne dass der Leser sich dabei langweilen würde. Hier wird deutlich, wie gründlich Thea Dorn recherchiert hat. Die Idee zum Buch hat mir sehr gut gefallen, die Ausführung hatte ein paar Schwächen. An einigen Stellen hätte der Text durchaus gestrafft werden können, ohne dass der Inhalt des Buches darunter gelitten hätte. Deshalb kann ich es zwar empfehlen, aber leider nicht uneingeschränkt.

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