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Rezension zu
DIE SONNE, DER MOND & DIE ROLLING STONES

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Musik in Buchstabenform

Von: Michael Lehmann-Pape
21.10.2016

Ja, es ist eine Biographie der Rolling Stones. Aber auch deutlich mehr. Und das hebt dieses, nebenbei bemerkt mit Herzblut geschriebenes und im sprachlichen Fluss wunderbar zu lesendes, Buch ab von den vielen, vielen anderen Betrachtungen der (fremdernannten) „Greatest Rock´n Roll Band oft he World“. Denn Rich Cohen, „zu spät Geborener“, fängt vor allem eins ein, wenn er den Weg der Band und der einzelnen Band-Mitglieder (auch den von Ian Stewart, dem „6. Stone“, der schon früh „nicht mehr auf die Bühne sollte“ (zu hässlich) nachvollzieht. Die Kraft der Musik, der Lebenshaltung, der „Gang“, für die die Stones in den ersten 20 Jahren standen (mit allen Brüchen des Bildes). Dieses Anliegen strömt dem Leser aus jeder Seite des Buches entgegen. Die „Verfallenheit“ an eine Kraft der Musik, die „Milleniumskinder“ mit ihrem Napster und Spotify nicht nachfühlen können (woran die Stones nicht unschuldig sind in späteren Jahren) und die Cohen intensiv vermittelt. Was erklärt, warum eine prägende Figur für die westliche Blues Musik, Muddy Waters, in seiner biographischen Darstellung mehr Platz erhält als mancher Rolling Stone, der auf einer Seite in seinem Lebenslauf abgehandelt wird. Journalist beim „Rolling Stone“, Tour-Begleiter der Stones bei der 94er Tour, vor allem Keith Richard (besser dem, für das er steht) fast Verfallen, dennoch aber auch im Buch in der Lage, hohe Distanz zu wahren und die Schattenseiten, die Arroganz, die Kälte vor allem der beiden „Haupt-Stones“ ohne Schnörkel in den Raum zu stellen. Was umso klarer und prägnanter wirkt, wenn es von einem „Insider“, einem echten Fan der Band festgestellt wird (jener „alten Band“, nicht der „Vermarktungsmaschine“ der letzten 25 Jahre). So ist es kein Widerspruch, wenn Cohen einerseits wie ein schwärmender Teenager formulieren kann: „Ich liebe Keith. Er verkörpert für mich die Kunst des Lebens und Überlebens. Er weist den Weg, in Würde zu altern. Mick ist eine Laune der Natur, man kann ihn nicht kopieren, nur genießen. Keith hingegen----- Ich befürchte, ich kann es nicht leugnen, ich hätte wirklich gern ein Baby von Keith“. Womit, das erschließt sich aus dem Kontext, eher grundsätzlich gemeint ist, dass Keith Richards für den Autor die Summe echten Rock´n Rolls darstellt. Das immer leicht vernebelt Wirkende, die völlige Hingabe an die Musik. Eine Musik, die für eine ganze Generation (im Gesamten all der Blues und Rockbands jener Tage), Lebenselixir war. Wo ein Lied das Leben verändern konnte, wo in der Musik Geheimnisse, Aufstand, Rebellion, Freiheit winkte. Ohne dass dies Cohen daran hindern könnte, die brachiale Kälte auch eines Keith Richards (und eines Mick Jagger) zu beleuchten. Die Weggefährten einfach so entsorgten, wenn es zu viel wurde (gerade Gram Parson ist hier ein tragisches Beispiel von Richards Seite aus, tragischer noch als Brian Jones). „Keith sollte die nächsten Jahre damit verbringen, Gram und ihre besondere Beziehung zu verklären, doch als Gram auf ein Häufchen Elend reduziert war, glänzte Keith durch Abwesenheit“. Wie Keith und auch Mick selbst bei der Beerdigung von Brian Jones abwesend waren. So, wie Mick und Keith einander abwesend wurden. Und nur noch mit Häme miteinander kommunizieren. Mit dem Höhepunkt der Autobiographie „Live“ von Richards. Aber schon lange zuvor war dieses „Buddy-Getue“ auf der Bühne nur noch Show. Fein arbeitet Cohen heraus, dass „das Ende einer intimen Freundschaft“ Ende der 70er die Zäsur bedeutet hat, nach der die Stones nur noch als eine Art „Musical“ auf die Bühne kletterten. Als galt: „It´s only Rock´n Roll“ und eben nicht mehr ein Mysterium des Lebens und für das Leben. Und dennoch, davor lagen Jahre von intensiver Bedeutung, der Kraft, sich neu zu erfinden, der Kraft, „echte“ Musik zu schreiben, die Millionen mitriss. Davor lag Altamont, die erste Tour vor leeren Hallen in Amerika, der kleine Club in London, wo der Schweiß von der Decke troff und die gesamte Wucht der technisch noch höchst unfertigen Band alle elektrisierte. Auch wenn Lennon / Mccartney zunächst einen Hit für die Stones schrieben. „Es ist mehr als nur Musik. Es ist das Land, das Königreich, in dem ich mein ganzes Leben verbracht habe“. Denn als Cohen geboren wurde, gab es die Stones bereits. Es gab die Sonne, den Mond und die Rolling Stones. Zur eigentlichen „Party“ kam Cohen zu spät, wie er 94 feststellt, als er all die gestandenen, faltigen Ikonen der 60er Jahre im Umfeld der Stones trifft. Aber zur inneren Bedeutung, da kam er gerade zur rechten Zeit. Und ist in der Lage, diese Essenz, dieses Lebensgefühl, den Sog der Band und der Zeit, das scheitern an neuen Lebensmodellen samt häufig frühem Tod durch Drogen, den Unterschied zwischen Beatles und Stones und den kreativen Prozess des Schaffens in den „besten Jahren“ emotional dicht für den Leser nachzuvollziehen. Ein grandioses Buch über die Liebe zur Musik, über die Bedeutung des Rock´n Roll, über eine andersartige Band und, auch, über den Verfall der Musik und des Lebens an sich. „Am Ende des Tages mag es zwar verletzte Gefühle geben, doch die Sprache des Geldes ist lauter“. „Restverwertung“, das mag die Gegenwart sein (die Cohen nicht auslässt, aber recht kurz abhandelt), aber „die Fülle des Lebens“, das war der Teil des Wegs, den Cohen bis heute in sich trägt und hier vor Augen legt.

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