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Rezension zu
Wenn's brennt

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Wenn's brennt

Von: Anna Stemmann
01.06.2016

Wie geht man damit um, wenn bald nichts mehr so sein wird, wie man es bisher kannte – es also wortwörtlich brennt? Ebendieser Frage widmet sich Stephan Reich in seinem Roman und zeichnet nach, was passiert Wenn’s brennt. Der Brand ist dabei in doppeldeutiger Dimension relevant: als ein tatsächliches Feuer, das ein großes Waldstück zerstört; das darüber hinaus aber ebenso eine metaphorische Lesart anbietet: die totale Zerstörung der bisherigen Lebenswelt, wenn alles aus den Fugen gerät. Erzählt wird davon aus der Sicht des 16-jährigen Erik. Im Zentrum stehen die letzten gemeinsamen Sommerferien mit seinem besten Freund Finn. Die letzten freien Tage vor einem neuen Lebensabschnitt wollen sie angemessen begehen, trotz der provinziellen Einöde, denn sie leben in einem kleinen Dorf abseits vom turbulentem Großstadt(er)leben, in dem es für Jugendliche kaum Zerstreuung gibt. Für sich selber machen sie trotzdem das Beste daraus: „Jetzt haben wir sechs Wochen frei und der Sommer wird groß.“ (S. 13) Durch dick und dünn Die Protagonisten haben die Schule mit der mittleren Reife abgeschlossen und stehen nach diesen letzten sechs Wochen der Ferien neuen Aufgaben gegenüber: Erik wird eine Ausbildung bei der Post beginnen und Finn zieht zu seinem Vater nach Hamburg, um dort eine weiterführende Schule zu besuchen. Ihre verbleidenden Wochen in ‚Freiheit‘ schöpfen sie voll aus, was für sie vor allem mit viel Alkohol, kiffen und Mädchen verbunden ist. Seit ihrer Kindheit sind Finn und Erik unzertrennlich und beschreiben sich selber gerne als ‚zwei Äste eines Baumes‘ (vgl. S. 14). Doch steht ihnen nun eine unausweichliche Trennung bevor, denn das Ende ihrer gemeinsamen Zeit ist nicht mehr aufzuhalten. Symbolträchtig ist dies der letzte Sommer ihrer Kindheit und markiert den Auftakt einer adoleszenten Passage. Ein weiterer Konfliktherd, neben der drohenden Trennung der beiden Freunde, ist die familiäre Situation von Finn. Seit er seine Mutter bei einer Affäre mit seinem Kunstlehrer erwischt hat, trudelt er noch stärker durch sein Dasein und lenkt sich mit Alkohol und Drogen ab. So platt und konstruiert die diversen kleinen und großen Dramen der Geschichte sein mögen, so überzeugend ist doch immer wieder der Erzählton. Erik erweist sich als reflektierte, lustige und einfühlsame Erzählstimme, die die vielschichtigen Facetten des Alltags ausleuchtet. Mit einer oftmals entwaffnenden und subtilen Komik seziert er die Marotten der Erwachsenen, vor allem seiner Eltern: „Kein Mensch kann den ganzen Tag Paul Coelho-Bücher lesen, ohne depressiv zu werden“ (S. 24) und auch seinen „Stechuhr-Vater“ (S. 26) enttarnt er als totalen Durchschnitt. Der humorvolle Ton setzt sich in vielen Details fort, die Erik in seiner Lebenswelt beobachtet, etwa wenn er für eine Bewerbung „Diddlmaus-Papier“ (S. 183) vorschlägt. Topographien des Dorfes Dem gediegenen Dasein der Erwachsenenwelt stellen sich die jugendlichen Protagonisten diametral entgegen: sie loten immer wieder die normativen Grenzen ihrer erzählten Welt aus – ein Prozess der sich in der Struktur des Romans auch in den raumsemantischen Zuordnungen widerspiegelt. Die dörfliche Pampa wird dann lesbar als beklemmender Ort einer erwachsenen Normwelt – „der Reihenhaussiedlungs-Vorgarten unter den Lebensräumen“ (S. 148). Finn und Erik versuchen zwar beständig, diese Herkunft zu unterlaufen, können sich jedoch auch nicht richtig daraus lösen. Nicht zufällig geht am Ende dann der nahegelegene Wald in Flammen auf und zerstört ihren ehemaligen Kindheits- und Spielraum. Entsprechend vermutet Erik auch ein „Ablaufdatum“ (S. 136) der Dinge, die einem als Kind wichtig sind und reflektiert in den vielen Innensichten seinen eigenen Übergangsprozess. Diese nachdenklichen Passagen alternieren aber konsequent mit humorvoll-ironischen und nehmen etwa auch Internet-Memes als erzählerisches Element auf (vgl. S. 149). Vom Soundtrack einer Jugend Wenn’s brennt gehört eindeutig in das Genre der Adoleszenz-Literatur und stellt die mit diesem entwicklungspsychologischen Übergang verbundenen Probleme heraus. Diverse intertextuelle und intermediale Verweise, Anspielungen und Referenzen schichten einen plastischen Erzählkosmos auf, in dem sich die Protagonisten verorten. Eine stetige intermediale Bezugsspur zieht sich durch den gesamten Roman: Whats App-Kommunikation, Smartphones und Fernsehserien gehören völlig unaufgeregt zum erzählten Alltag und lassen sich als gegenwärtiges Archiv einer Jugendkultur lesen. Immer wieder fällt jedoch auf, dass der Roman viele verschiedene Dinge anreißt und Probleme aufwirft, ohne diese stringent auszuerzählen. Dies bildet zwar durchaus das assoziative und sprunghafte Erleben der Jugendlichen Protagonisten ab, wirkt in der narrativen Konstruktion dennoch oft erzwungen und nicht ganz rund. Geschildert werden die Ereignisse in einer oft derben Sprache, die ungeschönt von Alkohol- und Drogenexzessen und sexuellen Ausschweifungen erzählt; dies kann man anstößig finden oder aber auch als facettenreiches Bild einer Adoleszenzdarstellung, das nie aufgesetzt wirkt. Reich gibt seinen adoleszenten Figuren eine glaubhafte Stimme, die die haltlose und planlose Suche dieser Phase abbildet. Dass die große Frage danach, was man mit seiner Zukunft anfängt wiederkehrender Reibungspunkt ist, schwingt dabei immer mit und endet schließlich im überraschenden Schluss mit der einzig denkbaren großen Katastrophe, die hier nicht vorweggenommen werden soll.

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