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Rezension zu
Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte

Biografie eines Autors

Von: Constanze Matthes
07.06.2015

Fängt alles mit einem Spruch in einem Poesiealbum an? Oder mit einem Liebesgedicht? Womöglich sind es auch die ersten eigenen Zeilen eines etwas ungewöhnlichen Aufsatzes. Wo ist der Beginn eines Schriftstellerlebens? Christian fühlt diese Berufung bereits mit 15 Jahren, als die norwegische Frauenzeitschrift “Kvinner og klær” (Frauen und Mode) eines seiner Gedichte veröffentlichen will. Für den Jungen soll dieser Sommer im Jahr 1969 ein außergewöhnlicher werden. Nicht nur erfährt Christian, dass sein Schreiben erfolgversprechend scheint. Während der Ferien auf der Insel Nesodden verliebt er sich zum ersten Mal, sein Vater bricht sich ein Bein. Und die Welt schaut gen Himmel. Denn die Menschen betreten zum ersten Mal den Mond. Lars Saabye Christensens Roman “Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte” beginnt wie ein Jugendbuch. Christian blickt auf die Erlebnisse im Sommer 1969 zurück, als er gemeinsam mit seiner Mutter einige Wochen im Sommerhaus auf der Insel Nesodden im Oslofjord verbringt. Mitgebracht hat er seine Schreibmaschine, eine Remington, mit der er eigentlich ein Gedicht rund um den Mond schreiben will, denn auch er kommt nicht los von der Aufregung rund um die Mondlandung. Doch all zu viel lenkt ihn vom Schreiben ab. Da ist Iver Malt, mit dem sich Christian anfreundet, obwohl um dessen Familie sich merkwürdige Geschichten ranken und sie als Außenseiter gelten. Auch eine Gruppe Jugendlicher – darunter das Mädchen Heidi – fordert die ganze Aufmerksamkeit des Jungen, der von Gleichaltrigen wegen seiner Fuß-Fehlstellung gehänselt wird. So vergehen die Tage mit Angeln und Baden am Ufer des idyllischen Oslofjords. Und natürlich ersten, meist eher kläglichen Annäherungsversuche in Richtung Heidi. Doch das beschauliche Flair wird jäh gestört, als genau am Tag der Mondlandung Schlimmes geschieht und das Leben vieler sich verändert. Teils mit Christians Schuld. Dann gibt es einen Bruch: Der Leser findet sich wieder in Karmack, einer amerikanischen Kleinstadt, in der sich nicht nur Fuchs und Hase Gute Nacht sagen. In dem verschlafenen Nest geschehen eine ganze Reihe tragischer Unfälle, die es verlangen, dass ein sogenannter Übermittler ernannt wird. Frank Farelli erhält dieses besondere Amt übertragen, so dass er fortan Überbliebenen die Botschaft überbringt, dass einer ihrer Angehörigen verstorben ist. Schon am ersten Tag hat er den Stouts zu erzählen, dass ihr Sohn bei einem Verkehrsunfall gestorben ist. James sollte an jenem Tag herzlich begrüßt werden – als Heimkehrer aus dem Irak-Krieg. Später muss Frank mitansehen, wie sein Freund Steve bei einer Schlägerei ins Koma fällt und dessen Vater am Krankenbett für immer einschläft. Und dann werden auch noch zwei befreundete Mädchen vom Zug erfasst. Aufmerksame Leser werden in diesem Teil des Romans indes Parallelen zur ersten Geschichte feststellen. So wird mehrmals ein berühmter Song erwähnt: “Blue Skies” von Ella Fitzgerald, den Christians Mutter immer wieder singt und sich in Karmack in einer Kneipe auf einer Wurlitzer-Schallplatte wiederfindet. Wie alles indes zusammenhängt, wird im nachfolgenden Teil erzählt, wo wir Christian als Erwachsenen und einen erfolgreichen Autor, aber auch psychisch labilen Mann wiederbegegnen, der sich nach dem Tod des Vaters in eine amerikanische Nervenklinik einweisen lässt. Zugegeben: Man sollte sich auf diese ungewöhnliche Konstruktion und diesen Zeitsprung einlassen, um den tieferen Sinn des Buches zu erfahren und zu verstehen. Denn Christensens neuestes Werk erzählt die Biografie eines Autors. Von seinen frühen Gedanken, dass er einfach anders ist, die Welt mit anderen Augen betrachtet, wo Fantasie und ein gewisses Insichgekehrtsein eine große Rolle spielen, bis hin zu seinem weiteren Lebensweg, der sich nach und nach mittels kurzer Verweise wie bei einem Mosaik zusammengefügt. Wie der norwegische Autor, der mit zu den bedeutendsten seines Heimatlandes gehört und für seinen Roman “Der Halbbruder” mit dem “Nordischen Literaturpreis” geehrt wurde, diese Lebensgeschichte und die vielen kleinen Geschichten drumherum zusammenbringt, ist hohe Erzählkunst. Nicht nur wegen seiner ungemein poetischen wie lebendigen Sprache. Es ist für mich immer wieder erstaunlich, wie die skandinavischen Autoren es schaffen, einen herzhaften Humor mit einer menschlich-warmen Melancholie zusammenzubringen, ohne dass beide Stimmungen an Wirkung verlieren. Beide Seiten des Buches sowie sein großes Herz für die Figuren zeigt Christensen in vielen Szenen, so beispielsweise in den Beziehungen zwischen Christian zu seiner Mutter und zu seinem Freund Iver sowie in dem auch schwierigen Gemeinschaftsleben in Karmack und den verschiedenen, oft auch schrulligen Charakteren der Stadt. “Der Sommer, in dem meine Mutter zum Mond fliegen wollte” ist reich an Themen, die über das ganze Buch angedeutet werden, aber auch entdeckt werden müssen. Denn die Geschichte des Schriftstellers Christian Funder ist auch eine über die Formen der Trauer, die Suche nach Identität und den Sinn des Lebens, das Vergehen der Zeit sowie die Erkenntnis, dass auch kleine Entscheidungen ein Leben verändern können. Selbst wenn sie nicht immer aus dem Herzen kommen. Und Christensen stellt sich auch der Frage, wie ein Autor letztlich zum Stoff für seine Texte kommt, wie verändert er Erlebtes, wie entscheidend ist die Fantasie. Dies macht neben all jenen anderen allzu menschlichen Themen die Tiefe dieses wunderbaren, weil ungewöhnlichen Romans aus, den man auf vielerlei Art lesen kann.

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