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Rezension zu
Der gefrorene Himmel

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Aufarbeitung der Geschichte

Von: Doreen Klaus
11.04.2021

Saul Indian Horse ist alkoholabhängig. Ein wichtiger Bestandteil der Therapie ist es, seine Vergangenheit aufzuarbeiten, die eigene Geschichte zu erzählen, die Antworten in sich selbst zu suchen. Um so schnell wie möglich aus der Anstalt raus zu kommen erzählt Saul also seine Geschichte, vielmehr schreibt er sie auf, denn das Sprechen im Redekreis fällt ihm schwer. Der Leser erfährt von dem kleinen Saul und seiner Familie, Angehörige der Ojibwe Indianer aus der Gegend des Winnipeg River Mitte der fünfziger Jahre. Die Kinder der Familie leben in ständiger Angst, Angst vor Fremden, vor Weißen, die kommen um die Kinder ihren Müttern zu entreißen um sie in die "Schule" zu bringen. Schulen, die diesen Namen nicht im Entferntesten verdienen, sind sie doch Orte an denen Entbehrung, Missbrauch, Gewalt und Tod den Alltag der Kinder bestimmen. Richard Wagamese, der Autor, hat selbst indigene Wurzeln. Ihm blieb das Schicksal der Umerziehung an einer solchen Schule zwar erspart, aber auch er wurde aus seiner Familie herausgerissen und wuchs in Heimen und Pflegefamilien auf, ohne Zugang zu seiner Kultur. Seine Hauptfigur Saul zeigt starke autobiografische Züge, geht aber noch weit darüber hinaus und gestattet so einen verstörenden Blick auf den Umgang Kanadas mit seiner indigenen Bevölkerung. Zu Beginn des Buches hatte ich kurz Probleme richtig in die Geschichte hineinzufinden. Ich fand die Sätze etwas holprig und wusste nicht, ob der Autor das absichtlich so angelegt hat. Im Weiteren zeigt sich dann aber das erzählerische Talent des Autors, er lässt wundervolle Landschaften vorbeiziehen und Legenden der Ojibwe auferstehen. Ganz virtuos beschreibt er Sauls Talent beim Eishockey, seine Beinarbeit, seine Spielzüge. Mein Gehirn konnte gar nicht so schnell Bilder zu den rasanten Beschreibungen formen. Meisterhaft. Mit genau der gleichen Präsenz beschreibt der Autor aber auch die dunkle Seite der Geschichte, die Gewalt, den Missbrauch, Hass, Diskriminierung, Rassismus. Er legt die unglaubliche Arroganz offen, mit der die Weißen, den in ihren Augen minderwertigen Ureinwohnern begegnen. All dies nicht irgendwann im 18. Jahrhundert, sondern in nicht allzu weit zurückliegender Vergangenheit, noch in der Generation meiner Eltern. Unvorstellbar. Für mich ist das Buch eine Offenlegung historischen Unrechts in einem Land, das ich mit solchen Geschehnissen bisher gar nicht in Verbindung gebracht habe. Irgendwie kommt einem ja eher die USA bei diesem dunklen Kapitel der Geschichte in den Sinn. Das diese Form des Rassismus, dieser Umgang mit der indigenen Bevölkerung kein rein amerikanisches Problem ist konnte man ja leider auch in der Vergangenheit Australiens sehen, um so hoffnungsvoller ist das Umdenken und Aufarbeiten der Vergangenheit zu sehen. Richard Wagamese hat ein sehr politisches Buch verfasst, eine Gesellschaftskritik eingebettet in die fiktive Lebensgeschichte seines Helden, stellvertretend für ganze Generationen. Er tut dies schonungslos, emotional und mit großer erzählerischer Dichte. Bei mir hat das Buch noch lange nachgehallt, der Autor hat erreicht, dass ich mich im Nachgang noch weiter mit dem Thema auseinander gesetzt habe. Von den fünfzehn Büchern des verstorbenen Autors sind leider bisher nur dieses und "Das weite Herz des Landes" ins Deutsche übersetzt, ich werde es auf jeden Fall lesen. Kanada wäre in diesem Jahr Ehrengast auf der Frankfurter Buchmesse, dieser Autor zählt definitiv zu seinen bedeutendsten Schriftstellern.

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