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Rezension zu
Den Mund voll ungesagter Dinge

Wunderschön und schmerzhaft

Von: buecherherz
23.11.2020

Nachdem Anne Freytags letztes Jugendbuch „Mein bester letzter Sommer“ mein Jahreshighlight 2016 war, freute ich mich wahnsinnig, als mich das Überraschungspaket von Heyne fliegt erreichte. Es enthielt „Den Mund voll ungesagter Dinge“ und einen tollen Lippenstift. Da ich das Buch eh sofort lesen und mich zusätzlich überraschen lassen wollte, las ich den Klappentext nicht. So konnte ich mich ganz und gar von der Geschichte treiben lassen und ließ mich überraschen, wo es hingeht. Und wo es hinging, war eine Überraschung für mich und war deswegen umso besser und bedeutsamer. Die Geschichte ist im Grunde eine gewöhnliche. Die 17jährige Sophie hat ihre Mutter nie kennengelernt und war ihr Leben lang mit ihrem Vater allein. Und nun gefällt es ihr gar nicht, dass sie ihn zum ersten Mal teilen muss. Mit seiner neuen Freundin Lena wurde es so schnell ernst, dass Sophie und ihr Vater nun von Hamburg nach München ziehen müssen. Sie muss nicht nur ihre Heimatstadt und all ihre Möbel zurücklassen, sondern wechselt auch wenige Wochen vor dem Abi noch die Schule. Viele Freunde lässt sie immerhin nicht zurück. Ihr bester Freund Lukas ist vor kurzem zu seiner Freundin nach Paris gezogen. Die Geschichte um einen frustrierten Teenager ist nicht also nicht neu, aber die Richtungen, die die Geschichte einschlägt, ist trotzdem ungewöhnlich. Und dabei geht es nicht nur um die große, sondern auch um die vielen kleinen. Grundsätzlich gibt es wenig Punkte, die wirklich die Spannung nach oben treiben. Also diese echte Spannung, die Nervenkitzel erzeugt. Und trotzdem ist „Den Mund voll ungesagter Dinge“ ein Buch, bei dem man denkt: „Nur noch schnell das nächste Kapitel.“ Ich las beim Kochen, beim Essen, beim gehen. Selbst für eine kurze Fahrt im Fahrtsuhl zog ich das Buch aus der Tasche. Ich konnte es nicht weglegen und wollte es auch nicht. Die Geschichte hatte mich in ihren Bann gezogen. Sophie ist kein gewöhnlicher Buchcharakter. Sie ist schön und weiß das. Sie betrinkt sich, um zu vergessen und hat Sex mit namenlosen Jungs, um die Leere in ihrem Leben auszufüllen. Sie ist verschlossen und nachdenklich und nicht selten zickig. Doch genau das macht sie so wahnsinnig echt. Sie ist nicht glatt. Sie hat Ecken und Kanten. Sie ist unberechenbar und macht Fehler. Dabei ist sie trotzdem nett und liebevoll. Und darum macht es umso mehr Spaß, ihr Leben zu verfolgen. Obwohl Sophie so viel nachdenkt und alles zerdenkt, lässt Anne Freytag alles nicht zu einem riesigen Monolog verkommen, sondern schafft eine wunderbar ausgewogene Mischung aus Innenleben und Handlungen und Dialogen. Doch auch alle anderen Charaktere hat Anne Freytag so lebendig beschrieben, als würden sie wirklich irgendwo in einer reichen Münchener Gegend wohnen. Sie waren vielschichtig und in ihren Handlungen immer glaubwürdig. Jeder einzelne. Den besten Freund erlebt man hauptsächlich über Skype-Gespräche und kann ihn trotzdem ganz tief in sein Herz schließen. Und selbst der Hund war keine flache Nebenfigur. Das muss man erst einmal schaffen. Trotz all der tiefgründigen Personen wirkte es jedoch nie so, als müsste jedem einzelnen krampfhaft eine Bedeutung gegeben werden. Alles wirkte unfassbar natürlich. Ebenso natürlich war die Sprache. Ich bin immer dankbar, wenn Autoren Jugendlichen keine pseudocoole Sprache in den Mund legt. Auch hier war alles authentisch und echt. Wie aus dem Leben gegriffen. Mit „Mein bester letzter Sommer“ hatte Anne Freytag mich Tränen über Tränen weinen lassen. Und auch dieses Mal musste ich wieder heulen. Es war einfach manchmal schön, manchmal traurig und manchmal so echt, dass es schockierte. Dabei wurde nie etwas „zu“. Nicht „zu traurig“, nicht „zu schön“. Keine Übertreibungen, nichts, was einen aus dieser realwirkenden Geschichte treiben würde. Ich konnte so gut mitfühlen. Bei jeder einzelnen Person und Handlung. Wenn man nicht immer Glück in der Liebe hatte, dann wird man sich in der Geschichte wiedererkennen. Wenn man ein nachdenklicher Charakter ist, dann in Sophie. Sie tat mir so oft leid. Und manchmal tat ich mir selber leid. Weil so vieles wahr war und es weh tut, wenn einem der Spiegel vorgehalten wird. Wenn ich „Den Mund voll ungesagter Dinge“ mit „Mein bester letzter Sommer“ vergleiche, schneidet es ein wenig schlechter ab. Aber wenn ich es mit anderen Bücher vergleiche, gibt es keinen Grund, Punkte abzuziehen. Und wahrscheinlich war „Mein bester letzter Sommer“ für mich eh nicht nur 5 Sterne wert, sondern viel mehr. Und deswegen bekommt das neue Jugendbuch nun ebenfalls die volle Sternenzahl von mir. Es geht ans Herz, verletzt den Leser, verletzt die Figuren, zeigt Wahrheiten, Liebe und Freundschaften und ist einfach unfassbar wichtig.

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