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Rezension zu
Das weite Herz des Landes

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Ein Autor, den es zu entdecken gilt!

Von: Constanze Matthes
18.11.2020

Die Gastland-Auftritte auf den Buchmessen Frankfurt und Leipzig ermöglichen es uns, in die Literatur eines Landes einzutauchen, bekannte wie unbekannte Autoren und ihre Werke kennen- und schätzen zu lernen. Das nordamerikanische Land Kanada wird coronabedingt nach der diesjährigen Frankfurter Online-Ausgabe im kommenden Jahr in der Main-Metropole erneut im Mittelpunkt stehen; hoffentlich in voller Präsenz mit vielen Gästen. Wer an Kanada, den zweitgrößten Staat der Erde, denkt, wird wohl atemberaubende Landschaften und menschenleere Wildnis vor Augen haben, die auch die Kulisse des großen Romans „Das weite Herz des Landes“ des Kanadiers Richard Wagemese bilden. Der Schriftsteller zählt zu den bedeutendsten indigenen Stimmen des nordamerikanischen Landes. 1955 im Nordwesten Ontarios geboren, wuchs Wagamese in Heimen und bei Pflegefamilien auf. Seine Herkunft wurde in dieser Zeit unterdrückt. Erst als erwachsener Mann kam er in Kontakt zu seiner Familie vom Stamm der Ojibwe (Chippewa). Seine Wurzeln spiegeln sich in seinen Romanen wider – so auch in dem bereits 2014 unter dem Originaltitel „Medicine Walk“ erschienenen Werk. Im Mittelpunkt steht der 16-jährige Frank Starlight. Seine Mutter kennt er nicht, er ist ihr nie begegnet, seinen Vater sieht er alle Jubeljahre. Frank wächst bei einem Vormund auf dessen Farm auf. Hier lernt er das harte Landleben, aber auch was es heißt, in der Wildnis zu überleben. Früh lernt er das Jagen und Fischen, seinen ersten Hirsch schoss er im Alter von neun Jahren. Die unberührte und menschenleere Natur ist sein vertrautes Zuhause geworden. Eines Tages erhält Frank eine Nachricht seines Vaters; beide sind indianischer Herkunft. Eldons letzter Wunsch ist es, dass sein Sohn ihn an einen bestimmten Ort bringt, um dort zu sterben und in alter indianischer Tradition bestattet zu werden. Frank trifft in einer nahegelegenen Industrie-Stadt auf seinen sterbenskranken, von Alkohol und Armut gezeichneten Vater. Während der Tour zu Fuß und zu Pferd erzählt der Vater von seinem Leben. Auf ihrer Wanderung treffen sie nur wenige Menschen, für einige Tage erhalten sie Obdach in der Hütte von Becka. Nach und nach verliert Eldon zusehends an Kraft. Er leidet unter Schmerzen. Dem Einfluss des Alkohols, zu dem er in seinem Leben vor allem in schweren Zeiten gegriffen hat, kann er sich bis zum Schluss nicht entziehen. In schlaglichtartigen Rückblenden erhält der Leser Eindrücke von den wichtigsten Stationen und Ereignissen aus Eldons wechselvollem, von tragischen Ereignissen geprägten Leben. Sein Vater fällt im Zweiten Weltkrieg, mit 13 übernimmt er die Rolle des Mannes im Haus. Er muss er arbeiten, um die Familie über Wasser zu halten. In Korea erlebt er an der Seite seines Freundes Jimmy selbst die Schrecken des Krieges, zu dem er sich freiwillig gemeldet hat. Wer mehr über die Rolle der Indianer in den Kriegen lesen möchte, dem sei an dieser Stelle der Roman „Der lange Weg“ von Wagameses Landsmann Joseph Boyden ans Herz gelegt. Auf einer Farm, in dem er wohl die schönste Zeit seines Lebens verbringt, lernt Eldon seine große Liebe Angie kennen, der er jedoch in einem entscheidenen Moment der sonst liebevollen Beziehung die Hilfe versagt. Ein Moment, der auch Franks Leben beeinflussen soll. Eldon erklärt seinem Sohn die Bedeutung ihres Familiennamens und die Rolle jenes Ortes, an dem er begraben werden will. Er erzählt zudem, wie die Kraft des Geschichtenerzählens sein Leben geprägt hat. Die Beziehung zwischen Vater und Sohn ist eine leidgeprüfte, ambivalente. Obwohl Frank wenig Respekt, manchmal sogar Abscheu für Eldon, der dem Niedergang indianischer Traditionen nachtrauert, empfindet, respektiert er seinen letzten Wunsch und nimmt mit ihm die mühevolle Reise auf sich. Er erfährt während der Tour, wer sein Vormund eigentlich ist, dem er mehr Zuneigung entgegenbringt als seinem eigenem Vater, der ihm über die Jahre fremd geblieben ist. Wagemeses sprachmächtiger Roman besticht durch weise Dialoge, eindrucksvolle Naturschilderungen und präzise Charakterzeichnungen. „Das weite Herz des Landes“ ist ein melancholisches Kammerspiel in beeindruckender Kulisse, das sehr berührt und von einem jungen Helden erzählt, einem starken Charakter, der dem Leser in Erinnerung bleiben wird. Schuld und Vergebung sowie ein Traumata, das in die nächsten Generationen reicht, sind die großen Themen des Buches. Mit Wagemeses großer, nun in deutscher Übersetzung erschienener Erzählung gilt es, auch hierzulande diesen Autor zu entdecken und in Erinnerung zu behalten. Wagamese, heimisch in British Columbia und vielfach für sein Schaffen geehrt, starb 2017 im Alter von nur 61 Jahren. Im März erscheint mit „Der gefrorene Himmel“ ein weiteres Werk des Kanadiers, das bereits 2012 im Original mit dem Titel „Indian Horse“ erschienen war und mittlerweile verfilmt wurde. Große Vorfreude!

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