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Rezension zu
Herbst

Gegenwart als Roman

Von: Buchberührung
04.10.2020

edes Buch hat es verdient, mit voller Aufmerksamkeit gelesen zu werden. Dieses hier musste eine kleine Ewigkeit darauf warten, aufgeschlagen zu werden. Umso besser, denn: Passend zum Oktober-Start habe ich mit Ali Smiths „Herbst“ begonnen und es binnen von 2 Tagen nahezu atemlos durchgelesen. Dieser außergewöhnliche Roman hat mein Denken so sehr eingenommen, dass ich mich tatsächlich rhetorisch fragen musste: Kann diese Art von Literatur jemals übertroffen werden? Akutes Fazit: Nur allzu schwer. Denn wer Gegenwart in solcher Weise mit Literatur verschränkt, kann nur die Führung der literarischen Disziplin ‚Realitätsdurchdringung‘ inne haben. „Herbst“ ist der erste Band der Jahreszeiten-Quadrologie von Ali Smith, der - so möchte ich es lesen - eine tragisch schöne Geschichte über eine unmögliche Liebe thematisiert. Elisabeth ist Anfang 30 als wir sie als Kunst-Dozentin kennenlernen, die eine außergewöhnliche Beziehung zu Daniel Gluck pflegt. Daniel hingegen ist - das erfahren wir etwas später im Roman - 101 Jahre alt als er in einem Pflegeheim tagelang schlafend auf den Tod wartet. Zwischen diesen Figuren spinnt sich eine interessante Handlung zusammen, die vor dem Hintergrund des Brexit übergeordnete Fragen nach der ‚Zeit‘, dem Altern, der Kunst und der Sinnsuche behandelt. Elisabeth ist ein kleines Mädchen, als sie ihren Nachbarn Daniel kennenlernt - dieser selbst Kunstliebhaber und -sammler eröffnet dem neugierigen Mädchen die Welt der Literatur und Intellektualität. Die sich - und das ist eine der Kernaussagen des Romans - vor allem in der Etablierung eines eigenen Sehens der Welt ausweist. Elisabeth lernt mit den Geschichten, den der alte Daniel ihr bei langen Spaziergängen im Feld erzählt, autonomes Denken und das Versprachlichen eigener Ansichten, Eindrücke und Wünsche. Natürlich fragt man sich die ganze Zeit über, was es mit dieser Beziehung auf sich hat, die Elisabeths Mutter zwischenzeitlich sogar verbieten will, weil ‚komisch‘. Und keine Frage: Ab und an scheinen Momente einer tief verborgenen Sinnlichkeit auf, die vor allem von Elisabeth ausgehen, die sich vielleicht nur nach einem Vater sehnt, den sie in der Kindheit nie gehabt hat, bis sie einen Traum, den sie neben Daniels Pflegebett träumt, ausspricht: „Mit Daniel schlafen, so ist das also.“ Wie der Roman ausgeht oder ‚wohin‘ er generell geht - das ist gar nicht so einfach zu greifen. Aber gerade von dieser Undurchsichtigkeit und Vagheit lebt jede Zeile dieses besonderen Romans, der für mich nur eines zum Ziel haben kann: Die Offenlegung diverser Denkansätze, die dazu führen, Gegenwart und Vergangenheit als zwei Ereignisse zu verstehen, die sich stets bedingen, sich gegenseitig beleuchten und erklären, voneinander schöpfen und einander formieren. Damals und jetzt. Danke an den wunderbaren Luchterhand Verlag für dieses Rezensionsexemplar!

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