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Rezension zu
Der Wald

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Ein neuer Blickwinkel auf den deutschen Wald

Von: Severine Martens
07.05.2015

„Hätten Bäume Knopfaugen und eine Stupsnase,‭ ‬so würde ein öffentlicher Sturm der Entrüstung‭ ‬ob der Zustände in unseren Wäldern losbrechen.‭“ (‬Peter Wohlleben‭) Ich laufe mit Luna und Milow mal wieder durch den Wald,‭ ‬irgendwie sind wir hier ja zuhause,‭ ‬und ich sehe auf einmal alles mit anderen Augen.‭ ‬Ich habe etwas gegoogelt und ich kann jetzt Tannen von Fichten unterscheiden,‭ ‬und Douglasien von beiden.‭ ‬Aber hauptsächlich stehen hier Kiefern herum,‭ ‬die ich auch vorher schon kannte,‭ ‬und dazwischen jede Menge Birken,‭ ‬Erlen und ab und zu mal eine Eiche oder Buche.‭ ‬Die beiden letzten eher vereinzelt an Wald-‭ ‬und Wegrändern oder irgendwo ganz alleine mitten auf dem Feld.‭ ‬Meist haben sie dicke kurze Stämme und in alle Richtungen wild gewachsene Kronen.‭ ‬Schöne Bäume,‭ ‬dachte ich bisher,‭ ‬aber mittlerweile weiß ich es besser:‭ ‬Verkrüppelt sind sie,‭ ‬schutzlos Wind und Wetter ausgesetzt und ohne die Gesellschaft ihrer Kollegen‭ ‬-‭ ‬dem Laubwald.‭ ‬Sie stehen auf von der Land-‭ ‬und Forstwirtschaft ausgelaugten,‭ ‬überdüngten und unterhalb der Oberfläche völlig verdichteter Böden.‭ ‬Die standhafte alte Eiche,‭ ‬von unzähligen Unwettern zerpflückt,‭ ‬ständig im Überlebenskampf und spätestens seit Caspar David Friedrichs Bilder ein romantisch verzerrtes Sinnbild unserer Sehnsucht nach Natur.‭ ‬Was für ein Zynismus,‭ ‬aber wir kennen es ja nicht mehr anders‭! Wir lesen das Buch‭ „‬Der Wald:‭ ‬Ein Nachruf‭“ ‬von Peter Wohlleben,‭ ‬einem Naturschützer und Förster in Tateinheit.‭ ‬Ein pragmatisch denkender Mann,‭ ‬dem klar ist,‭ ‬dass ein nicht unerheblicher Teil unseres Landes von der Holzwirtschaft lebt.‭ ‬Er kennt sich aus in Deutschlands Wäldern und weiß aufgrund seiner Liebe zu Bäumen und seiner langjährigen Erfahrung als Förster viel zu berichten:‭ ‬In ständigen Engagement für nachhaltige,‭ ‬ökologische und sanfte Forstwirtschaft,‭ ‬was er in seinem eigenen Forst beeindruckend unter Beweis stellt.‭ ‬Der Autor gibt das Versprechen,‭ ‬man würde den Wald nach dem Lesen mit anderen Augen sehen‭ ‬-‭ ‬er hat es eingehalten,‭ ‬eindeutig‭! „Gibt es in Mitteleuropa nicht viele schöne Wälder‭? ‬Nein.‭ ‬Es fällt nur kaum jemandem auf,‭ ‬wie kaputt diese Ökosysteme sind.‭ ‬Und das hängt mit dem Gewöhnungseffekt zusammen.‭ [‬...‭] ‬Nadelhölzer auf großer Fläche,‭ ‬eine enorme Artenverarmung und keinerlei Urwald mehr,‭ ‬daran haben wir uns seit Generationen gewöhnt.‭ ‬Protestieren würden wir nur,‭ ‬wenn diese Plantagen verschwinden würden.‭ ‬Was wir wirklich verloren haben,‭ ‬was es noch zu retten oder wiederherzustellen gilt,‭ ‬wissen wir gar nicht mehr.‭ ‬Wer hat schon einmal einen europäischen Urwald gesehen,‭ ‬Bäume,‭ ‬die in Würde altern dürfen und eine Baumjugend,‭ ‬die sich mit dem Wachstum noch Zeit nehmen darf‭? ‬Und ohne diesen Vergleich ist es schwer,‭ ‬die Missstände in unsren Kunstforsten wahrzunehmen.‭ [‬...‭] ‬Unsere Waldwirtschaft wird tatsächlich auf dem Niveau eines Entwicklungslandes betrieben,‭ ‬nur besser verbrämt.‭“ (‬Peter Wohlleben‭) Dabei war früher ganz Mitteleuropa von ihnen bedeckt,‭ ‬ein einziger gigantischer Buchen-Urwald mit einzelnen Eichen und anderen Baumgesellen.‭ ‬Bis zum mittleren Mittelalter war das so,‭ ‬denn danach begannen die Menschen die Wälder nach und nach zu roden‭ ‬-‭ ‬bis kaum noch was übrig war.‭ ‬Mitteleuropa glich‭ ‬-‭ ‬wie noch heute in vielen Gegenden‭ ‬-‭ ‬einer Steppe und nur hier und da standen noch einzelne Eichen-‭ ‬und Buchenwäldchen,‭ ‬die man für die Schweinemast übrig ließ.‭ ‬Das Mittelalter wird nicht umsonst auch das‭ ‬hölzerne Zeitalter genannt.‭ ‬Erst zum Anfang des‭ ‬19ten Jahrhunderts besann sich den Mensch und begann die Wälder wieder aufzuforsten,‭ ‬allerdings nicht aus Gründen des Naturschutzes,‭ ‬sondern weil das Holz schlicht alle war‭! ‬Holz war immer noch ein großer Wirtschaftsfaktor und weil das alles schnell und sicher gehen musste‭ ‬-‭ ‬z.B.‭ ‬ohne Verbiss durch Rehe und Hirsche‭ ‬-‭ ‬entschied man sich meistenteils für die Wiederbewaldung mit Nadelbäumen.‭ ‬So kam die Fichte nach Deutschland,‭ ‬die eigentlich in Sibirien zuhause ist,‭ ‬und mit ihr die systematisch angelegten Baumplantagen der neuzeitlichen Forstwirtschaft. Dabei führen Bäume,‭ ‬allen voran die hier vormals heimischen Buchen,‭ ‬ein beeindruckendes Sozialleben:‭ ‬Sie kommunizieren bei Schädlingsbefall über Duftstoffe und warnen somit ihre Artgenossen vor,‭ ‬damit diese vorbereitet sind.‭ ‬Sie verbinden ihre Wurzelgeflechte und tauschen auf diesem Weg Nährstoffe aus,‭ ‬was sie oft nutzen,‭ ‬um kranken Zeitgenossen und ihren Kindern zu helfen.‭ ‬Ja‭! ‬Bäume haben auch Kinder und Peter Wohlleben weiß liebevoll über viele Beispiele zu berichten.‭ ‬So am Beispiel der Buchen,‭ ‬deren Nachwuchs über zig Jahre im Schatten‭ (‬und Schutz‭) ‬der Elternbäume heranwächst,‭ ‬um dann später den Platz der abgestorbenen Eltern im Wald einzunehmen.‭ ‬Mit ihrem Blattwerk schaffen sie sich ihren eigenen Boden,‭ ‬den sie aufsuchen würden,‭ ‬wenn sie laufen könnten.Und das wichtigste Tier des Waldes ist die klitzekleine Hornmilbe,‭ ‬die ursächlich dafür zuständig ist,‭ ‬dass aus dem Laub der so wichtige Humus wird.‭ ‬Alles könnte so schön sein,‭ ‬wenn der Mensch den Wald mit etwas mehr Hirn betrachten und rücksichtsvoller mit ihm umgehen würde. Aber leider ist das nicht so:‭ ‬Unsere Wälder bestehen zum allergrößten Teil aus Bäumen,‭ ‬die hier überhaupt nicht her gehören,‭ ‬z.B.‭ ‬Fichten und Douglasien.‭ ‬Sie stehen stramm in Reihe und Glied auf nach Pflanzjahren eingeteilten Flächen und werden sobald sie ihre sogenannte Erntegröße erreicht haben gnadenlos abgeholzt‭ ‬-‭ ‬per Kahlschlag,‭ ‬flächenweise‭! ‬Unsere Wälder sind nichts weiter als Plantagen für die Holzgewinnung,‭ ‬angelegt nach wirtschaftlichen Standpunkten und für die Befahrung mit Großgeräten wie z.B.‭ ‬Harvester,‭ ‬Traktoren,‭ ‬Planierraupen und Sattelschleppern.‭ ‬Das Ergebnis sind kaputte und ohne‭ ‬Ende verdichtete Böden,‭ ‬deren restliche Nährstoffe ohne den Schutz durch die Bäume in den nächsten Graben oder Bach gespült werden.‭ ‬Was dann wieder angepflanzt wird ist der gleiche Turbowald wie vorher,‭ ‬der wieder komplett abgeholzt wird,‭ ‬wenn er erntereif ist.‭ ‬Natürlicher Nachwuchs wird ausradiert und die sich überall ansiedelnden Birken und Erlen‭ ‬-‭ ‬beides sogenannte Pionierpflanzen die überall wachsen‭ ‬-‭ ‬täuschen oft einen Mischwald vor.‭ ‬Kaputte Böden machen schwache Bäume und schwache Bäume sind anfällig für Schädlinge aller Art.‭ ‬Die Folge ist ein massiver Einsatz von Pestiziden,‭ ‬welche dann noch dem allerletzten Getier in den Böden den Garaus machen.‭ Auch die Waidmänner,‭ ‬die Jäger,‭ ‬bekommen bei Peter Wohlleben ihr Fett weg,‭ ‬eigentlich das gesamte deutsche Jagdwesen.‭ ‬Der Jäger will Beute machen und neuzeitlich seinen Kollegen mit möglichst großen Trophäen‭ ‬-‭ ‬Geweihen‭ ‬-‭ ‬imponieren.‭ ‬Zu diesem Zweck wird in den deutschen Wäldern regelrecht eine Zucht und Selektion auf große Geweihe durchgeführt,‭ ‬geregelt durch Schonzeiten,‭ ‬die sich an der Geweihbildung des Wildes orientieren,‭ ‬und durch eine massive Wildfütterung.‭ ‬In‭ ‬2009‭ ‬wurde so nach Aussagen der Zeitschrift‭ ‬Ökojagd dreimal mehr Futter in die Wälder gekippt als die Fleischindustrie in der Massentierhaltung verbrauchte.‭ ‬Die Folge sind erhebliche Wildbestände,‭ ‬die eine Wiederbewaldung unmöglich und/oder teuer machen,‭ ‬denn Rehe und Hirsche leben von den Knospen,‭ ‬Trieben und Blätter fast aller Laubbäume.‭ ‬Bis zu fünfzig Rehe kommen heutzutage auf einen Quadratkilometer,‭ ‬wo gerade ein Reh auf natürlichem Weg seine Nahrung finden würde,‭ ‬ohne dem Baumbestand zu schaden.‭ ‬Diese Wildzucht macht natürliche Laubwälder schier unmöglich und Plantagen mit Nadelbäumen,‭ ‬an die das Wild kaum geht,‭ ‬einfach wirtschaftlicher.‭ ‬Aber letztendlich ist es nicht das Reh,‭ ‬das unsere Wälder kaputt frisst:‭ ‬Es sind die unzähligen hirnlosen Jäger,‭ ‬die aus purer Eitelkeit,‭ ‬Trophäensucht und fernab jedes Naturschutzgedankens‭ ‬-‭ ‬den sie doch so gerne für sich reklamieren‭ ‬-‭ ‬unsere Wälder und seinen ökologischen Zusammenhalt zerstören.‭ ‬Die Krone erreicht diese Zerstörung durch die‭ (‬widerrechtliche‭) ‬Ansiedlung neuer Wildtierarten wie z.B dem Damhirschen,‭ ‬der ursprünglich in unseren Regionen gar nicht vorkommt. Wald geht anders und das führt Peter Wohlleben in seinem‭ ‬eigenen Wald vor.‭ ‬Hier stehen noch viele Laubbäume und deren nachwachsende Kinder und Jugendliche werden geschützt.‭ ‬Seine sanfte Forstwirtschaft setzt auf sanfte Methoden,‭ ‬die die Bäume und den Boden schonen.‭ ‬Das alte Rückepferd hat hier ein großes Comeback und macht den Einsatz vieler Großmaschinen unnötig.‭ ‬Im Wald stehen wieder Bäume vieler Generationen und die Erntebäume für die Sägewerke werden gezielt herausgesucht,‭ ‬gefällt und abtransportiert‭ ‬-‭ ‬es findet kein Kahlschlag statt und die jungen Bäume füllen die entstanden Lücken auf natürlichem Weg.‭ ‬Der Boden wird geschont und durch möglichst weit voneinander entfernte Rückewege nur minimal verdichtet.‭ ‬Insektizide werden überhaupt nicht eingesetzt,‭ ‬die so wichtigen Hornmilben können ungestört ihre Arbeit tun und auf Nachforstungen mit Nadelbäumen wird verzichtet.‭ ‬Der einzige Wermutstropfen sind die künstlich hohen Wildbestände,‭ ‬weil keine Wildtierfütterung mehr stattfindet.‭ ‬Hier seien sogar‭ (‬oder besonders‭) ‬im Rahmen einer ökologischen Waldwirtschaft höhere Abschüsse erforderlich,‭ ‬um die Bestände wieder auf eine für den Wald unschädliche Norm zu regulieren. Unser Wald ist krank und das liegt nicht am vielzitierten Klimawandel bzw.‭ ‬der globalen Erderwärmung,‭ ‬meint Peter Wohlleben,‭ ‬und auch der saure Regen,‭ ‬den es gar nicht mehr gibt,‭ ‬sei nicht schuld daran.‭ ‬Einzig verantwortlich ist die von geschätzten‭ ‬95‭ ‬Prozent aller Forstwirte betriebene Kahlschlag-Forstwirtschaft,‭ ‬der Einsatz von Großmaschinen und die Bevorzugung von Nadelbäumen bei der Aufforstung.‭ ‬Umdenken ist nötig,‭ ‬denn: ‭„‬Wald kommt der Ursprünglichkeit unzerstörter Natur noch am nächsten.‭ ‬Der Lärm und die Hektik des Alltags scheinen in ihm zu verhallen.Wenn der Wind durch die Wipfel rauscht,‭ ‬die Vögel singen und das Grün der Blätter harmonisch in das Blau des Himmels übergeht,‭ ‬können wir tief durchatmen und entspannen.‭ ‬Das Wissen,‭ ‬dass Wälder nebenbei auch unverzichtbar für reines Trinkwasser,‭ ‬gesunde Luft und die Artenvielfalt sind,‭ ‬verstärkt die positiven Gefühle.‭ [‬...‭] ‬Noch gibt es sie,‭ ‬die grünen Inseln mit intakten Lebensgemeinschaften.‭ ‬Selbst wenn es keine Urwälder mehr sind,‭ ‬sondern eher wilde Kulturwälder,‭ ‬so kann man hier das Sozialleben der Bäume beobachten,‭ ‬neue Tierarten im kaum erforschten Boden entdecken oder einfach nur spüren,‭ ‬wie sich ein echter Wald anfühlt.‭“ (‬Peter Wohlleben‭) Peter Wohlleben hat ein tolles Buch geschrieben und es hat unseren Blick auf den deutschen Wald tatsächlich nachhaltig verändert.‭ ‬Jeden Waldfreund und Naturfreak möchten wir es wärmstens empfehlen und der Folgeband‭ „‬Das geheime Leben der Bäume‭“ ‬steht schon auf unserem Wunschzettel.‭ ‬Auch in diesem Buch sind die Quellenangaben wieder ein wahrer Fundus für alle Menschen,‭ ‬die sich gerne weiter kritisch mit der deutschen Holz-‭ ‬und Forstwirtschaft,‭ ‬einschließlich dem Jagdwesen,‭ ‬auseinandersetzten möchten.‭ ‬

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