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Rezension zu
Regenbeins Farben

Trauerschwestern und Flügelwesen

Von: Atalante
05.07.2020

„Im Halbdurchsichtigen drei Nereiden, aus ihren Höhlen am Grunde des Meeres gestiegen, hoch zu ihrem Gott, der auf einem Fabelwesen über Wellen reitet, vorne Pferd, hinten Fisch. Nymphen umkreisen ihn, und er erfleht ihre Gesellschaft, spielt den Schiffbrüchigen, den sie beschützen, besingen, begleiten sollten. Doch die Nymphen treiben andere Spiele. Im Wasser schwesterlich schwebend, sind die Seefrauen, die nur sich selbst unterhalten, in kecken Spielen plaudernd, mit Delfinen singend. Während der Gott um Rettung seiner Mächtigkeit fleht, zwingt er sein Reittier zu einer schaumschlagenden Levade. Poseidon, der Poser! Der Hippokamp trägt in durch die brodelnde Brühe der Geschichte (…)“ Diese laut- und wortschönen Sätze verraten Kerstin Hensel als Lyrikerin, die ihre poetische Sprache auch in der Novelle „Regenbeins Farben“ verwendet. Darin vereint sie vier Personen zu einer besonderen Gemeinschaft. Fast ein volles Jahr währt diese, lediglich drei Minuten fehlen, wie die punktgenauen Datierungen im ersten und letzten Kapitel zeigen. Auch wenn der Tod als Motiv diese Novelle durchzieht und ein Teil der Handlung kammerspielartig auf einem Friedhof stattfindet, handelt es sich keineswegs um ein trauriges Buch. Als Trauerbuch hingegen ließe es sich sehr wohl bezeichnen, denn es erzählt, wie man Trauer bewältigt und sich von der Vergangenheit befreit. Die Kunst ist dabei das Mittel der Wahl. Dies zeigen schon die ersten Kapitel, in denen uns die Friedhofsgemeinschaft vorgestellt wird. Die Malerin Karline Regenbein ist die Jüngste, an Alter wie an der Dauer ihrer Trauer gemessen. Es folgen Eduard Wettengel, der Galerist, Lore Müller-Kilian, die ihr Mäzenatentum dem verstorbenen Gatten verdankt und schließlich die Älteste, Ziva Schlott, die Kunstprofessorin mit „Kippchen“. Alle vier kannten sich bereits bevor ihnen „der Tod eine tröstende Gemeinschaft organisiert hat“ in efeuumrankter Friedhofsstille, die laut vom Lärm der landenden Flugzeuge gestört wird. Vom unvermeidlichen Glockengeläut abgesehen und vom Gläserklirren, was die mit Hut und hohen Hacken ausgestattete Lore verursacht, sobald sie ihren Kristallkelch befüllt, natürlich mit Veuve Cliquot. Auch mit über Siebzig ist sie „lebensgierig als sei die Endstunde ihrer Existenz gegenwärtig“. An ihrer Seite kämpft Ziva Schlott, geborene Scharlach, hustend gegen den Efeu. Dass sie diesen Kampf mit Fünfundachtzig auf Dauer nicht gewinnen wird, ist ihr in sarkastischer Altersweisheit bewusst. Von dieser ist Karline noch weit entfernt. Zwar hat der Tod ihres Mannes sie von ebendiesen befreit, doch die wahre Freiheit wartet noch. Im Wege steht der Galerist Eduard, dem auch das Sehnen ihrer Grabnachbarinnen gilt. Als (Wett)engel auf dem Friedhof ist er der Hahn im Korb. Die Witwenkonkurrenz und das Witwergebahren inszeniert Hensel in perfekt konstruiertem Aufbau. Während der Haupterzählstrang in kurzen Kapiteln von Begegnungen und Befindlichkeiten der Protagonisten berichtet und schließlich in der Vernissage von „Regenbeins Farben“ gipfelt, gewähren lange Kapitel eine Rückschau auf die Entwicklung der Figuren. Diese erzählen auch von den Zuständen, von der Gesellschaft und vor allem vom Kunstverständnis, dem offiziellen und dem inoffiziellen, in der damaligen demokratischen Republik. Dies gelingt Hensel mit subtilem Humor. Humor zeigen schon die sonderbaren Namen in ihrem Ensemble. Noch deutlicher zeigt er sich in den Äußerlichkeiten und in den Lebensgeschichten ihrer Helden. So schmückt Wettengel, dessen Name Lore als „Mischung aus Spielhölle und Himmelsglück“ bezeichnet, „ein Bund fossiler Lockenpracht, das, die Schläfen am unteren Hinterkopf miteinander verbindend, unter der Mütze hervorquillt“. Seine schier unglaubliche Ehe findet ein Ende als seine unbefriedigte Frau ins Koma fällt, man könnte sagen einem Ehe-Annoiisma erliegt. Karlines Kindheit hingegen schildert Hensel in einem Märchenton, während für die Ehe mit Rüdiger Habich Kurzsätze genügen. Bisweilen taucht sie diese Verbindung aber auch ins Mythische. Dann erscheint Habich(t), der seiner Frau auch im Tode noch droht, als böser Zauberer, der die geraubte Karline im Ehegefängnis hält. Nicht nur die unglaublichen Begebenheiten in „Regenbeins Farben“ machen Spaß, sondern auch die Sprache Kerstin Hensels. Kunstvoll verknüpft sie Alliteration mit anderen Klangwiederholungen und verleiht durch Reihungen Rhythmus, „Sie zertritt die Eishaut der Pfützen vor der Friedhofspforte“. Es finden sich Wortschöpfungen, wie „Lockenkranzglatzkopf“. Witziges, wie die chinesische Delikatesse „goldbraun frittierte Kinderhände“, steht neben Tiefsinnigem, wenn das Glück als Jojo am Lebensfaden empfunden wird. Nicht vergessen werden dürfen die zahlreichen Naturbilder, die sich nicht nur in Karlines Nereiden-Gemälde mythisch aufladen. Zu entdecken gibt es Vieles, in dieser Novelle voller Flügelwesen.

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