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Rezension zu
Die größte aller Revolutionen

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Empathisches Lernen von Revolutionen

Von: Stephan Giering aus Berlin
08.01.2020

Im Informationszeitalter ist eine wichtige Kompetenz unterscheiden zu können, welches Wissen für unser eignes Leben dienlich und welches Wissen dafür nicht dienlich ist. Diese Selektionskompetenz ist unser „innerer Filter“, um nicht im anschwellenden Weltmeer des Wissens zu ertrinken. Doch Wissen allein genügt nicht. Wir benötigen zudem eine gewisse Empathiekompetenz und die Bereitschaft für eine unvoreingenommene geistige Flexibilität, um im „Global Village der Ideen“ mit anderen Menschen respektvoll und friedlich kommunizieren zu können. Wer diese Kompetenzen gern ganz praktisch einüben möchte, dem bietet die Geschichte eine hervorragende Möglichkeit mit einem reichhaltigen Fundus anschaulicher Beispiele. Wenn der zeitliche Abstand zu einem historischen Ereignis groß genug (z.B. ca. 100 Jahre) ist, kann dies umso einfacher mit einem emotional persönlich unbelasteten inneren Abstand geschehen. Dabei ohne eine „ideologische Brille“ heranzugehen, sondern stattdessen mit einem offenen neugierigen Blick, erhöht die Wahrscheinlichkeit spannender Aha-Erlebnisse. Ein Beispiel hierfür sei mit Robert Gerwarths Buch „Die Grösste aller Revolutionen“ genannt, dass unlängst im Siedler-Verlag erschienen ist und die Epoche der Novemberereignisse in Deutschland 1918 beleuchtet. Die ersten Aha-Erlebnisse bieten sich dem Lesenden schon in der Person des Autors und seiner Herangehensweise an diese Ereignisse. Gerwarth gehört der jüngeren Generation von Historikern in der EU an, die ihre Bildungskarriere schon in unterschiedlichen EU-Ländern absolvieren und somit auch die verschiedenen nationalen Arbeitsweisen, Kontinuitäten und Neuanfänge der Geschichtswissenschaften nach dem europäischen Umbruch 1989/ 1990 erlernen konnte. Für mich war es deshalb spannend zu erfahren, wie ein selbst in Umbruchszeiten sozialisierter Mensch an die Beschreibung historischer Umbrüche herangeht. Erfrischend neu und empathisch! Gerwarth folgt nicht der herkömmlichen wertenden retrospektiven Geschichtsbetrachtung, nach der „Weimar“ von Anfang an eine „Totgeburt“ war. Stattdessen versetzt er sich selber und die Lesenden in die damalige Zeit, ihre unterschiedlichen Akteure und ihre verschiedenen Sozialisationen, Wissensstände und Glaubenssätze hinein und beantwortet Fragen: Wie haben die Menschen damals -vor allem aber nicht nur- in Deutschland die großen europäischen Umbrüche zwischen 1917 und 1923 erlebt? Welche Entscheidungen lösten welche Reaktionen aus? Welche Eigendynamik entwickelten die Ereignisse? Wie unterschiedlich wurde von den Menschen damals dieses Novemberereignis 1918 interpretiert? Welche Hoffnungen, Möglichkeiten aber auch Ängste und Befürchtungen verbanden sie damit? In welcher Geschwindigkeit wurden die aktuellen Nachrichten über diese neuesten Entwicklungen verbreitet? Das ist Empathiekompetenz pur. Der Lesende kann sich bei diesem geistigen Fitnessprogramm immer wieder selbst befragen, welche Entscheidung er in der Position des jeweiligen Entscheiders getroffen hätte. Gut möglich, dass das beim Lesen zu emotionalen Sympathien oder zu Unbehagen, zur Zustimmung oder einem heftigen inneren Kopfschütteln führt. Das es in dieser Gemengelage mit zehntausenden bewaffneten Männern in Deutschland mit völlig unvereinbaren politischen Vorstellungen doch noch gelang, relativ friedlich eine deutsche demokratische Republik zu gründen, wertet Gerwarth als durchaus beachtlich. Das Buch endet im Jahr 1923 mit der Zusammenfassung, das das Scheitern der Weimarer Republik damals weitaus unwahrscheinlicher war als ihre Konsolidierung. Die Zukunft der Republik sei völlig offen gewesen. Nach der Lektüre des Buchs nehme ich zu Beginn unseres neuen Jahrzehnts das Wissen mit hinein, das auch für uns Heute alles offen ist. Gut kann das Neue nur dann werden, wenn jeder persönlich sich müht, das Gute zu wagen. Friedlich!

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