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Rezension zu
Walkaway

Tolle Idee

Von: ricysreadingcorner
30.12.2018

Da Walkaway auf dem Klappentext als “die große Utopie des 21. Jahrhunderts” angekündigt wird, hatte ich entsprechend hohe Erwartungen an diesen dicken Wälzer. Ich liebe es, über mögliche zukünftige Gesellschaftsformen nachzudenken und nachdem ich im November “Utopia” von Thomas Morus, die erste Utopie der Neuzeit, gelesen hatte, war ich nun sehr gespannt, wie Doctorow sich unsere Zukunft und eine “bessere Gesellschaft” ausgemalt hat. Selten sind meine Erwartungen von einem Buch und das tatsächliche Leseerlebnis so weit auseinandergegangen, wie bei diesem Buch. Aber fangen wir vorne an. Worum geht’s? Der Roman spielt in der nicht allzu fernen Zukunft irgendwann in der Mitte des 21. Jahrhunderts. Die Welt ist vom Klimawandel gezeichnet und die Staaten werden von den Ultrareichen, den sogenannten Zottas regiert. Die Städte haben sich somit für die normalen Bürger zu einer Art Gefängnis entwickelt. Um leben zu können und den Kindern eine möglichst gute Bildung und Zukunft zu ermöglichen, arbeiten die einfachen Menschen für wenig Geld in prekären Jobs nur um die Reichen noch reicher zu machen. Dabei lässt sich alles Lebensnotwendige eigentlich mittlerweile per 3D-Druck herstellen, weggeworfene Rohstoffe werden einfach recycelt. Warum also sollte man dieses System unterstützen, wenn man doch einfach diese Städte verlassen und sich selbst woanders ein viel besseres Leben aufbauen könnte? Genau das denken sich die sogenannten Walkaways und tun das, was ihre Bezeichnung erklärt: sie gehen einfach weg, um draußen eine bessere Welt aufzubauen. Und zu ihnen werden auch unsere unterschiedlichen Protagonisten in diesem Roman. Sie verlassen, die von den Zottas beherrschten Städte, den sogenannten Default, und gehen in den Walkaway, wo sie zum ersten Mal wahre Freiheit und Selbstbestimmung erfahren und lernen, wie eine friedliche und erfolgreiche Gesellschaft, die auf Gleichheit aufbaut, funktionieren kann. Meine Meinung Die Idee, die hinter diesem Buch steckt finde ich einfach großartig. Auch ohne, wie ich, zu viele Dystopien gelesen zu haben, werden wohl die meisten mittlerweile zumindest die Befürchtung haben, dass unsere Welt eher auf eine schlechtere zusteuert – obwohl dies wahrscheeinlich auch die Befürchtung jeder Generation ist, wobei sich auch vieles verbessert hat… Der Klimawandel und die soziale Ungleichheit sind nur zwei der Dinge, die diese Vermutung nähren. Dementsprechend ist auch die Welt in der Walkaway spielt, keine sonderlich schöne. Die Reichen werden immer Reicher, die Armen immer ärmer und die Reichen fühlen sich trotz der Möglichkeiten, die die neue Technik für alle bringen könnte, dazu auserwählt, über die weniger reichen zu herreschen. Der Default ist Wirtschaftsliberalismus und Kapitalismus auf höchstem Niveau. Unsere Protagonisten lernen sich – wie könnte es anders sein – auf einer Untergrund-Kommunistenparty kennen. Seth und Etcetera (er nennt sich so, weil er zu viele Namen hat) sind schon lange befreundet. Natalie ist selber eigentlich Zotta-Tochter kann ihrem unverdienten Reichtum aber keine Gerechtigkeit abgewinnen. Nachdem die Partygesellschaft auffliegt, kommt es zu einer hitzigen Diskussion zwischen ihr und ihrem Vater, woraufhin die drei Freunde beschließen, einfach wegzugehen. Im Walkaway gehören sie schnell dazu. Hier tut jeder, was er kann, um der Gemeinschaft zu dienen. Privateigentum gibt es nicht. Und wenn jemand kommt, der einem das, was man aufgebaut hat, streitig machen will, geht man einfach weg und baut es woanders neu auf. Die Tatsache, dass der 3D-Druck so weit fortgeschritten ist, dass er Lebensmittel, Kleidung und sogar alles, was man für den Hausbau so benötigt, drucken kann, macht dies natürlich etwas einfacher, als man sich das zunächst vorstellt. Der Roman zeigt schön, wie erfolgreiche kommunistische Gesellschaften in Zukunft leichter funktionieren und in mancher Hinsicht sogar notwendig werden könnten. Soviel zur Idee des Romans, die mir wirklich gut gefallen hat. Die Umsetzung hingegen hat es mir immer wieder schwer gemacht, weiterzulesen. Es fühlte sich die meiste Zeit nicht so an, als würde ich einen Roman lesen, sondern eher eine Aneinanderreihung verschiedener gesellschaftsphilosophischer Theorien. Und es blieb nicht dabei. Hinzu kamen noch ausschweifende technische Erläuterungen, denn es ist nicht nur der 3D-Druck, der eine wichtige Rolle für das Leben im Walkaway spielt, sondern auch das Thema Künstliche Intelligenz. Die Walkaways haben da nämlich etwas sehr bemerkenswertes geschafft. Was macht das mit der Menschheit? Da hätten wir die nächste philosophische Frage. Versteht mich nicht falsch. Ich fand die einzelnen Theorien sehr interessant und lese gerne darüber, auch, wenn ich bei den technischen Erläuterungen zur Optimierung der K.I.s zugegeben zwischendurch echt aussteigen musste. Was mich jedoch gestört hat, war, dass versucht wurde um diese zahlreichen Theorien eine Geschichte zu spinnen, die scheinbar einfach nur eine Plattform für diese Theorien liefern sollte. Am am Ende kam dabei dann ein Roman von über 700 Seiten heraus, die für meinen Geschmack sowohl vom Plot, als auch von den Charakteren her eher wenig zu bieten hatte. Es gab so viele Charaktere, aus deren Sicht abwechselnd geschrieben wurde, dass ich mich in niemanden richtig hineinversetzen konnte, keiner war mir richtig sympathisch und mit keinem konnte ich wirklich mitfiebern. Auch der Handlungsverlauf kam mir sehr bruchstückhaft und holprig vor. Insgesamt müssen vom Beginn des Romans bis zur letzten Seite mehrere Jahrzehnte vergangen sein. Das wird zunächst nur dadurch deutlich, dass die Charaktere daraufhinweisen, dass das letzte Ereignis Monate oder Jahre zurückliegt. Später auch dadurch, dass sich über die Alterung beklagt wird. Vieles wird also nur kurz im Rückblick erzählt, während andere Szenen stark in die Länge gezogen werden. Besonders die Dialoge, die in ihrer Art an Platon (und “Utopia” von Morus?) erinnern und in denen die oben genannten Theorien ausgiebig diskutiert werden, ziehen sich teilweise über mehrere Seiten. Diese ernsthaften Dialoge, detailreiche Sexszenen und fast schon lustige Anteile, die mich hin und wieder an Marc-Uwe Klings Qualityland erinnert haben, wechselten sich so sehr ab, dass ich diesen Roman bis zum Ende nicht richtig einordnen konnte. Es war einfach zu viel. Viel zu viel. Und zugleich auch zu wenig… Zu viele Ideen, die in zu wenig Geschichte gequetscht wurden. Obwohl man bei über 700 Seiten auch nicht gerade von wenig sprechen kann. Es fühlte sich für mich einfach nicht ausgewogen an. Mein Fazit Obwohl mir die Idee des Romans wirklich gefällt und ich mich gerne mit gesellschaftspolitischen und -philosophischen Themen auseinandersetze, von denen hier äußerst interessante angesprochen werden, konnte mich die Umsetzung dieses Romans leider nicht überzeugen. Die Geschichte fühlte sich für mich letztendlich zu sehr zurechtgebogen oder erst für die Erläuterung der Theorien gestrickt an. Ich habe fast zwei Monate gebraucht, um dieses Buch zu beenden, da es zweitweise wirklich anstrengend war und mich weder die Charaktere noch der Plot wirklich mitreißen konnten. Ab der Mitte wurde es leichter, vielleicht, weil ich mich dann an den Stil gewöhnt hatte, die Theorien sich eher wiederholten und gefühlt mehr Handlung hinzukam. Wer sich gerne mit Gesellschaftsvisionen auseinandersetzt und ein Interesse an einem modernen “Utopia” hat, für den könnte Walkaway aber auf definitiv eine wertvolle Lektüre sein.

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