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Die erfolgreichen Skandinavien-Krimis von Leif GW Persson

Von der Grausamkeit der Gleichgültigen

Rezension zu "Mörderische Idylle" von Bianca Reineke

Er ist ein Tausendsassa, schreibt gesellschaftskritische Bücher, die die Bestsellerlisten stürmen, hat einen Lehrauftrag für Kriminologie und mischt im politischen Schweden mit wie kein zweiter: Leif GW Persson, der seit seinem Erfolgsroman "Zwischen der Sehnsucht des Sommers und der Kälte des Winters" auch in Deutschland kein Unbekannter mehr ist, legt als Kriminalschriftsteller seinen Finger in die offenen Wunden des schwedischen Staates. Denn die ehemals stabile Solidargemeinschaft bröckelt. Auch in Schweden verbreitet sich das schleichende Gift des Rassismus in den Köpfen der Menschen, werden die Ursachen für soziale Missstände gerne in der Migration gesucht, und die Mühlen der Verwaltung des Landes, und hier im Besonderen die der Polizei, mahlen entsetzlich langsam.

Insiderwissen über Inkompetenz
Persson, der lange Jahre Berater der Regierung war, nutzt sein Insiderwissen, um in Romanform beinahe genüsslich von der Inkompetenz und Skrupellosigkeit einiger Ermittler zu erzählen, und schwelgt dabei regelrecht in Schilderungen von Amtsmissbrauch und Betrug. Wie bereits in seinen anderen Romanen trifft der Leser in "Mörderische Idylle" auf ein ganz besonders schauderhaftes Exemplar der Gattung "korrupter und fauler Bulle", den Herrn Kommissar Evert Bäckström. Ein echter Unsympath und hoffnungsloser Fall. Persson karikiert mit seinem Antihelden das Idealbild des heroischen Ermittlers aus der klassischen Kriminalliteratur und lässt Bäckström deshalb auch konsequent bei der Lösung des Falles versagen.

Doch der Weg dahin ist mit derart vielen schier unglaublichen Dreistigkeiten, rassistischen, frauenfeindlichen und generell sexistischen Sprüchen, beruflichem Unvermögen und himmelschreiender Ungerechtigkeit gepflastert, dass der Leser nicht umhin kann, ob der bitterbösen Ironie des Autors leise zu schmunzeln.

Ein brutaler Mord in der Hitze des Sommers
Dabei ist die Geschichte, die Persson erzählt, überhaupt nicht zum Lachen. Im Gegenteil, der Mord, in dem Bäckström so lieblos und nachlässig ermittelt, oder besser: ermitteln lässt, ist ungeheuer grausam, heimtückisch und erschreckend realistisch. Es geschieht mitten in einer harmlosen, verschlafenen Kleinstadt, im heißesten Sommer seit Jahren, und ist der absolute Alptraum jeder Frau, die alleine wohnt: Ein Unbekannter dringt in die Wohnung ein, vergewaltigt und quält die Bewohnerin, um sie hinterher eiskalt zu töten und unbemerkt zu verschwinden. Linda Wallin, eine knapp einundzwanzigjährige Polizeischülerin, findet auf diese brutale Weise den Tod. Das Verbrechen lässt das Örtchen Växjö in Smaland vor Angst und Schrecken erstarren. Der Täter hat zwar zahlreiche Spuren hinterlassen, doch die Polizisten vor Ort können trotzdem keinen schnellen Erfolg verbuchen. Da die meisten kompetenten Kollegen - gerade der höheren Polizeiränge - in den Ferien Entspannung und Erholung in ihren Sommerhäusern suchen, wird Evert Bäckström aus Stockholm nach Växjö geschickt, um den Provinzpolizisten als vermeintlich erfahrener Ermittler zur Seite zu stehen.

Kommissar Bäckström - arrogant, faul und der leitende Ermittler
Bäckström, ein dicker, arroganter Mittfünfziger, der keine Freunde und Familie sein eigen nennt - lediglich Goldfisch Egon hat in seinem Herzen einen Platz gefunden -, verlagert sein einsames Dasein und seine immense Faulheit aus Stockholm nach Växjö und nimmt bei dieser Gelegenheit gleich seine gesamte schmutzige Wäsche mit, um sie im Hotel auf Staatskosten reinigen zu lassen. Während er sein Team in aller Ruhe nach Spuren des Täters suchen lässt, kümmert er sich um so wichtige Dinge wie Alkohol, Pornos und Frauen. Die Öffentlichkeit und die Presse fordern derweil ungeduldig Resultate ein. Bäckström lässt also erstmal ganz entspannt die größte DNA-Speichelanalyse Schwedens durchführen, um die Wartenden zu vertrösten.

Unter den Kollegen aus Växjö findet er schnell einige Gleichgesinnte, mit denen er seine derben und politisch völlig unkorrekten Sprüche klopfen kann, doch obwohl es dem arbeitsscheuen Kommissar geschickt gelingt, sich lästige Gestalten wie die Polizeipsychologin und die Pressesprecherin vom Hals zu halten, indem er im Vorfeld kalkuliert, wie er sie mit falschen Äußerungen einlullen kann, durchschauen ihn die klugen Kollegen sofort.

Die mühsame Arbeit eines Einzelnen hat Erfolg
Allen voran Jan Lewin, ein stiller und äußerst begabter Polizist, der kopfschüttelnd die Inkompetenz des Chefs beobachtet. Er selbst taucht immer tiefer in den schrecklichen Mordfall ein und erarbeitet sich so mühsam geringfügige, beinahe unsichtbare Spuren, denen er stur und unbeirrbar weiter nachgeht. Stück für Stück dringt er in das viel zu kurze Leben der schönen Linda ein, recherchiert ihre komplexe Vergangenheit und nähert sich so immer mehr den Geschehnissen der Mordnacht und den Menschen, die ihr nichts Gutes wollten…

Als sich trotz der großen DNA-Analyse keine Fortschritte in den Ermittlungen zeigen, sich immer höhere Spesenrechnungen und ungezählte Überstunden anhäufen, wird man in höheren Polizeikreisen endlich auf die Ungereimtheiten in Växjö aufmerksam und handelt.

Die einzigartige integre Lichtgestalt der Persson-Romane, Lars Martin Johansson von der Zentralen Kriminalpolizei, entsendet zwei junge und kompetente Frauen nach Växjö, die nun endlich den Mörder der jungen Linda finden sollen.

Als die beiden Frauen das Provinznest erreichen, überschlagen sich die Ereignisse in ungeahnter Hast und offenbaren eine überraschende Wendung. Es ist schließlich allein Jan Lewins Hartnäckigkeit zu verdanken, dass nach langer, erfolgloser Suche endlich ein Verdächtiger fest steht.

Bäckströms zahlreiche Vergehen und Gaunereien werden aufgedeckt, man beordert ihn nach Hause, um die Konsequenzen aus seinem Handeln zu ziehen. Unterdessen bekommen die Ermittlerinnen Lisa Mattei und Anna Holt es mit einem zutiefst gestörten Menschen zu tun, der seine Schuld von sich weist und bereits geschickt an seiner Verteidigung bastelt…

Ein grandioser Kriminalroman - und viel mehr als das
"Mörderische Idylle" ist ein extrem spannender, erstklassig aufgebauter Kriminalroman mit einer mitreißenden, stimmigen Handlung, der das Schweden der Gegenwart in lebendigen Bildern und anhand vielschichtiger Charaktere porträtiert. Doch viel mehr als das: das Buch ist zugleich auch ein gesellschaftskritischer Aufklärungsroman, eine Realsatire, die schonungslos den Sexismus und die Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft, der Sensationspresse und vor allen Dingen innerhalb des Männerbundes Polizei offen legt.

Am Beispiel von Bäckström, diesem waschechten Prototypen eines machohaften Kotzbrockens, der weder Gewissen noch Skrupel besitzt, führt Leif GW Persson die erschreckenden Lücken und Fehler im System vor. Paradoxerweise verleiht gerade die sarkastische und überzogene Schilderung der Figur Bäckström den Frauen in der Polizei die ihnen zustehende Würde.

Der Auftritt von Anna und Lisa, die sich auf ruhige, sachliche Weise auf das Wesentliche konzentrieren - nämlich die aktive Suche nach dem Mörder -, lässt den Leser ebenso Hoffnung schöpfen, wie die Kollegen, die unter Bäckströms Inkompetenz zu leiden hatten. Persson schreibt ihn eben doch noch nicht ganz ab, den Leistungswillen der Ermittler und ihr Festhalten an einer in diesem grausamen Geschäft so dringend notwendigen Ethik.

Bianca Reineke
Cuxhaven, Juni 2007

Mörderische Idylle

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