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Leidenschaft und Magie - Die Bücher von Lynn Raven

Trailer

XXL-Leseprobe

1. Szene: Das Tattoo
Lucinda hing schlaff in seinem Arm. Leicht. Zerbrechlich. Ihr Kopf ruhte an seiner Schulter. Zwei Mal hatte er sie auf der Fahrt hierher betäuben müssen, damit sie weiterschlief. Er hatte keine andere Wahl gehabt. Mit dem Wagen brauchte man nun einmal deutlich länger von L.A. nach San Francisco. Man hinterließ aber auch erheblich weniger Spuren. Selbst wenn man einen Privatjet sein Eigen nannte, mussten Flüge angemeldet und Ziele angegeben werden. Alles ganz wunderbar nachzuverfolgen. Mit einer Hand schloss er die Tür auf, stieß sie auf, betrat mit Luz die kleine Halle und drückte die Tür mit dem Absatz wieder zu. Der Beutel mit den Farben und seinen anderen »Utensilien« schlug gegen seine Hüfte. Er ließ ihn zu Boden gleiten. Auf dem Weg vom Parkplatz hierher war ihnen keiner der anderen Anwohner der kleinen Anlage begegnet. Gut. Auch wenn er Vorkehrungen getroffen hatte, war es so besser.

Er trug sie die Treppe hinauf, in das hintere Schlafzimmer, setzte sie behutsam auf dem Bett ab, lehnte sie gegen die Kissen, griff den Quilt aus grünen, ocker- und sandfarbenen Patches vom Fußende und breitete ihn sorgsam über sie, streifte ihr die Schuhe ab und stellte sie neben das Bett. Luz regte sich, drehte das Gesicht mit einem leisen, protestierenden Murmeln zur Seite. Sie würde nicht mehr lange schlafen. Er musste sich beeilen.

Entschieden wandte Joaquín sich um, stieg die Treppe wieder hinunter, ging in die Küche, warf einen schnellen Blick in den Kühlschrank, den Schrank daneben. Alles genau so, wie er es verlangt hatte. Der Zweitschlüssel lag auf dem kleinen Tresen. Für eine Sekunde hielt er die Hand darüber. Nur zur Sicherheit … Keine Nachschlüssel. Gut. Ansonsten hätte er den Makler in der Luft zerrissen. Er nahm ein Glas aus dem Hängeschrank über der Arbeitsplatte, füllte es zur Hälfte mit Orangensaft, stellte die Flasche zurück in den Kühlschrank – und schlug sich selbst die Fänge ins Handgelenk. Tief genug, um die Vene zu erwischen. Sofort quoll Blut aus dem Biss. Er ließ es zu dem Orangensaft ins Glas laufen. Deutlich mehr als er in jener Nacht Fernán dagelassen hatte. Seine Wirkung musste lange genug anhalten, damit er tun konnte, weswegen er hier war.

Mit dem Glas in der Hand kehrte er zu Luz zurück. Ihr Murmeln war lauter geworden, deutlicher. Sie war ein Stück näher an den Rand gerutscht. Und blinzelte, als er sich neben sie setzte, sie aufrichtete und gegen seine Schulter lehnte. Der Duft ihres Blutes zog seinen Magen zusammen. Diesmal konnte er seine Gier danach nicht mit Alprazolam betäuben. Er brauchte einen klaren Kopf. Und er würde sie allein lassen müssen, um auf die Jagd zu gehen. Auch wenn es ihm widerstrebte. »Trink das, mi Luz.« Vorsichtig setzte er ihr das Glas an die Lippen, neigte es. Sie schluckte, verzog das Gesicht. Wollte den Kopf wegdrehen. Er verhinderte es, hielt sie sanft fest. »Austrinken. Komm schon.« Als er das Glas ein wenig mehr neigte, grummelte sie, trank aber dann doch. Beim letzten Schluck legte er ihr die Hand auf die Stirn. Das hier würde sie ihm so schnell nicht verzeihen. Wenn überhaupt. Er spürte den Moment, in dem der Zauber zu wirken begann. Ihr Kopf sank schwerer gegen seine Schulter. »Schlaf noch ein bisschen.« Wieder ein Murmeln. Ihre Lider flatterten, schlossen sich dann aber wieder. Behutsam ließ er sie zurück aufs Bett gleiten, stieg erneut ins Erdgeschoss hinunter und begann mit seinen Vorbereitungen: schob Sofa, Sessel und Tisch aus dem Weg, baute ihr ein Lager aus Kissen und Decken auf dem Boden, holte den Beutel mit den Farben und seinen anderen Sachen, ging damit in die Küche, rührte die Farben an – Magie und Blut und Wasser aus der Quelle unter Santa Reyada – vorsichtig darauf bedacht, sie nicht zu vertauschen. Brachte alles zusammen mit einem Paket Salz ins Wohnzimmer.

Dann holte er Luz. Den Kopf wie zuvor an seiner Schulter, erzählte sie ihm irgendwelche Dinge von Quichotte und Mr Brumbles, während er sie hinuntertrug, zu benommen, um die Worte auch nur halbwegs klar hervorzubringen. Alles, was er verstand, waren die Namen. Was auch immer es war: Sie fand es lustig, denn sie kicherte dabei immer wieder.
Behutsam bettete er sie auf das vorbereitete Kissenlager mitten im Raum, machte es ihr so bequem wie möglich, sagte ihr noch einmal, dass sie noch schlafen sollte, vergewisserte sich, dass er alles hatte, was er in den nächsten Stunden brauchen würde, und schrieb dann die beiden Bannkreise. Den äußeren aus Salz, den inneren mit weißer Kreide. Nichts von dem, was er hier tat, durfte nach außen dringen. Nicht weil er sich damit offen gegen die Hermandad stellte, nein: Spürten die anderen irgendetwas hiervon, würde es jeden einzelnen von ihnen hierherholen. Was das absolut Letzte war, was er wollte. Er hatte vor, Luz endgültig vor der Hermandad zu verbergen. – Er würde aus ihr eine Escondera machen, eine Verborgene. Allein dafür konnten sie seinen Kopf fordern.
Schließlich kniete er sich neben ihre Füße, nahm ihren Knöchel in die Hand, schob das Hosenbein in die Höhe, entblößte die blasse, weiche Haut darunter. Auf der Innenseite war noch immer die kleine Narbe zu sehen, die von ihrer Kletterpartie über einen alten Weidezaun stammte, bei der sie an einem vorstehenden rostigen Nagel hängengeblieben war. Weder der Nagel noch der Zaun hatten den Zusammenstoß länger als 24 Stunden überlebt, nachdem Santos davon erfahren hatte. Vorsichtig drehte er ihr Bein ein wenig, bis die Außenseite oben lag, bettete es auf das sterile Tuch, das er über seine Oberschenkel gebreitet hatte, desinfizierte die Haut über ihrem Knöchel, genauso wie seine Hände und griff nach der Nadel. Keine Handschuhe. Er brauchte den direkten Kontakt zu ihr, damit die Siegel ihre volle Macht entfalten konnten, wenn er fertig war. – Sie würde ihm das hier sehr übel nehmen, wenn sie wieder wach war. Mit einem letzten Blick vergewisserte er sich, dass sie es noch immer bequem hatte. Ihre Augen waren einen Spaltbreit geöffnet. Beinah sah es so aus, als würde sie ihn beobachten … Vielleicht würde sie sich später flüchtig an das hier erinnern, aber für den Moment hatte er sie vollkommen im Griff. »Es wird jetzt vielleicht ein bisschen weh tun, mi Luz, aber du musst das Bein absolut still halten.«

Murmeln

»Wenn es zu weh tut und du es nicht mehr aushalten kannst, sagst du es mir. Verstanden?«

Wieder Murmeln.

»Lucinda, antworte mir. Hast du mich verstanden?«
Die Stirn gerunzelt schmiegte sie das Gesicht in das Kissen unter ihrem Kopf. »U-hu.«
Beinah hätte Joaquín gelacht. Sie schaffte es sogar in diesem Zustand, genervt zu klingen.
Beim ersten Stich zuckte sie ganz leicht zusammen, hielt dann aber still. Ganz so, wie er es ihr befohlen hatte.
Lage für Lage nahmen die Farben und Linien Form an, wurden zu Magie und Macht. Escondera. Das Wort hing wie ein ständiges Flüstern in seinem Verstand. – Zusammen mit dem Geruch von Luz’ Blut. Süß. Lockend. Quälend. Mehr als einmal wünschte er sich, die Gier wie immer mit Alprazolam niederkämpfen zu können. Aber das kam nicht in Frage. Also konzentrierte er sich allein auf die Nadel in seiner Hand. Und verlor dabei jegliches Zeitgefühl.

Wenn Luz jammerte und protestierte, sprach er beruhigend auf sie ein, machte eine Pause, sobald das Siegel, an dem er gerade arbeitete, beendet war und es die Magie erlaubte, nahm sie in den Arm und wiegte sie sacht, bis sie sich wieder beruhigt hatte. Einmal schlug sie sogar nach ihm. Fahrig und unkoordiniert zwar, aber trotzdem. – So viel zu »Kontrollmagie« und »Moreira-Blutbräuten«. – Sie versuchte dennoch nie, ihm ihren Knöchel zu entziehen. Ein paar Mal ließ er die Magie weit genug abebben, dass er es wagen konnte, die beiden Bannkreise zu brechen, ließ sie ins Bad gehen, bestellte etwas zu Essen. Chinesisch. Und Pizza. Legte sie zurück auf die Decken, schloss die Kreise wieder und machte weiter. Nur einmal ließ er sie für kaum mehr als eine viertel Stunde allein. Weil der Duft ihres Blutes irgendwann zu sehr in seinem Schädel hämmerte. So sehr, dass seine Hände zu zittern begannen; dass er zu zittern begann.

Schließlich legte er die Nadel zum letzten Mal zur Seite und setzte sich zurück. Perfekt. Verglichen mit dem hier war sein Meisterstück pure Stümperei. Auf den ersten Blick war es nur ein Tattoo. Auf den zweiten ein absolutes Schmuckstück in der Haut. Man musste schon sehr genau hinsehen, um die Siegel und die anderen Symbole erkennen zu können, das Pentagramm darunter. Die Linien und Konturen bewegten sich, selbst die Farben veränderten sich in ihrer Intensität. Das war der Trick. Magie, die permanent in Bewegung war. Er hatte ziemlich lange gebraucht, um hinter das eigentliche Geheimnis der Siegel und Farben zu kommen, mit der man aus einer Blutbraut eine Verborgene machen konnte. Das einzig Nicht-Magische war das Rankenmuster, das er gestochen hatte, um ein wenig von seinem Zentrum abzulenken.

Ein leises Seufzen ließ ihn aufsehen. Er begegnete Luz’ Blick. Sie lächelte ihn schläfrig an. Streckte sich träge. Ihr Shirt war in die Höhe gerutscht, entblößte den Ansatz ihrer Rippen. Wie damals in der Küche. Er riss die Augen davon los. Biss die Zähne zusammen. Herrgott nochmal, er war ein Mann, kein Eunuch. Und Luz war nun einmal wunderschön. – Und ganz nebenbei das Mädchen, das er liebte. Mit einer brüsken Bewegung griff er nach dem Fläschchen Wundspray, verteilte einen dünnen Film über das Tattoo, stellte es wieder beiseite. Nur dass er sie nicht haben konnte. Weil sie ihn nicht ertrug. Also würde er aus ihrem Leben verschwinden. Wie er es versprochen hatte. Eine ganz einfache Rechnung. Ob es ihm gefiel oder nicht. Vorsichtig klebte er ein Pflaster über sein Werk, dann brach er erneut die beiden Kreise und ging in die Küche. Abermals mischte er dort sein Blut mit etwas Orangesaft, kehrte damit ins Wohnzimmer zurück, wo er das Glas wie zuvor an ihre Lippen setzte und ihr befahl, es auszutrinken. Als es leer war, stellte er es achtlos beiseite und beugte sich über sie. »Komm, mi vida, es ist Zeit!«

Sie streckte ihm die Arme entgegen, ohne dass er mehr sagen musste. Für eine Sekunde war ihm danach, etwas zu zerschlagen. Noch nie hatte er sein Leben so sehr verflucht wie in diesem Augenblick. Sacht hob er sie hoch und trug sie die Treppe hinauf. Schickte sie noch einmal ins Bad, während er ihr Bettzeug glattstrich. Sie kroch ins Bett, als er es ihr sagte, streckte sich darauf aus, kuschelte sich in die Decke, die er über sie breitete. Den schläfrigen Blick die ganze Zeit auf ihm. Joaquín setzte sich neben sie auf die Bettkante. Ein paar Haarsträhnen waren ihr ins Gesicht gefallen. Er schob sie zurück, ließ seine Fingerspitzen wie in Zeitlupe über ihre Wange gleiten, strich über ihre Lippen. »Du wirst die nächsten zwölf Stunden in diesem Bett bleiben und schlafen. Tief und fest. Keine Alpträume, keine Angst, es gibt nichts, was dich erschrecken könnte!« Sie drehte ihm das Gesicht weiter zu. Lächelte. Legte ihre Hand über seine. Für einen Moment konnte er nicht atmen. Die Heilige Jungfrau mochte ihm helfen, er würde alles geben, um bei ihr bleiben zu können! Ausnahmslos! Alles! Als er sprach, klang seine Stimme rau. »Wenn du aufwachst, wirst du die Finger von dem Tattoo an deinem Bein lassen. Du wirst nicht daran herumkratzen oder irgendetwas anderes tun, das es verändern oder beschädigen könnte. Für die nächsten drei Tage. Verstehst du mich, Lucinda?«

»Mhm…« Sie schmiegte die Wange gegen seine Handfläche.

Er beugte sich ein kleines Stück zu ihr hinab. »Dann schlaf jetzt, mi Luz. Wenn du aufwachst, bin ich aus deinem Leben verschwunden. Wie versprochen. Und du bist frei.« Vorsichtig wollte er die Hand unter ihrer herausziehen. Sie hielt sie fest, streckte sich ein bisschen mehr unter der Decke. Und plötzlich konnte er nicht anders, als sich noch weiter vorzulehnen, sie zu küssen.

Ihre Lippen waren weich und warm. Schmeckten noch ganz schwach nach Orangensaft – und seinem eigenen Blut. Sie seufzte an seinem Mund. Joaquín schloss die Augen. Der einzige Kuss, den er jemals von ihr bekommen würde. Und er stahl ihn sich wie ein Dieb. Während sie ihm ausgeliefert war. Noch nicht einmal die Chance hatte, Nein zu sagen. Schwein! Hastig löst er sich von ihr, stand vom Bett auf und trat einen Schritt zurück.
Wieder ein kleines Seufzen, für den Bruchteil einer Sekunde schien Lucinda die Stirn zu runzeln, doch dann schlief sie weiter.

Joaquín sah auf sie hinab. Lauschte ihren Atemzügen. Ruhig und tief und friedlich. Für etwas, das sich anfühlte wie eine Ewigkeit … Bis er einen weiteren Schritt vom Bett weg machte. Die Hände zu Fäusten geballt, die Lippen zu einem harten Strich zusammengepresst. Es war Zeit. Er musste gehen. Die Frist, die sie ihm gegeben hatten, war abgelaufen. Selbst wenn Tomás nicht schon nach ihm suchen ließ, würde es nicht mehr lange dauern. Und das Letzte, was er wollte, war ihn – oder schlimmer noch: auch die anderen – auf Luz’ Spur zu setzen, nur weil er zu lange geblieben war.
Außerdem hatte er unten noch das ein oder andere zu erledigen. Aufräumen. Zumindest den Versuch unternehmen, ihr alles zu erklären. Der zweite Teil ihres Geburtstagsgeschenks …

Und die Bilder … Luz hatte gesagt, das Blaue sei schön …
»Leb wohl, mi Luz.« Er wandte sich um und stieg die Treppe hinunter.