Sie haben sich erfolgreich zum "Mein Buchentdecker"-Bereich angemeldet, aber Ihre Anmeldung noch nicht bestätigt. Bitte beachten Sie, dass der E-Mail-Versand bis zu 10 Minuten in Anspruch nehmen kann. Trotzdem keine E-Mail von uns erhalten? Klicken Sie hier, um sich erneut eine E-Mail zusenden zu lassen.

Kevin Smith »Tough Sh*t«

Der Filmemacher John Waters, einer der Gottväter des amerikanischen Underground- und Independent-Kinos, äußerte vor vielen Jahren die plausible These: »Wenn man es sich überlegt, ist es einfacher, berühmt zu werden, als eine Arbeitsstelle zu bekommen.« Im Leben und Werk des 1970 in New Jersey geborenen Regisseurs, Produzenten, Drehbuchschreibers, Schau-spielers, Stand-up-Comedians, Comicszenaristen, Comicladeninhabers, Buchautors, Internetradio-Modera-tors sowie Bart- und Bauchträgers Kevin Patrick Smith verpufft der dieser Weisheit zugrundeliegende Gegen-satz in einer bunt schillernden Wolke aus guter Laune, Leidenschaft, Dünkelferne, Aufrichtigkeit, Multitalent und Hyperaktivität. Sein Credo: »Wenn du liebst, was du tust, wird es nie einfach nur ein Job für dich sein.«

Da ist sie nämlich, die nur auf den allerersten Blick übersehbare Gemeinsamkeit von Waters und Smith – beide machen mit jeweils viel Herzblut ausschließlich das, worauf sie Bock haben, werden sogar dafür bezahlt und haben nicht zuletzt die populäre Gegenwartskunst Amerikas stärker als die meisten anderen ihrer Kulturindustriekollegen geprägt. Und berühmt wird man so nebenbei natürlich auch noch.

Der Unterschied: John Waters ist ein dünner Hering, Kevin Smith ein praller Dickmops, und sein seelen-tröstender Erwerbstätigkeits-Aphorismus findet sich in Smiths neuem Buch Tough Sh*t, das ebenso harmonisch, vielstimmig, kräftig und dabei völlig unangestrengt auf langweilig gerade Wege, Erwartungen und Schubladenaufgeräumtheit pfeift wie sein Verfasser.

Was man gerade noch einigermaßen verbindlich der literarischen Form »Autobiografie« zuschlagen kann, ist darüber hinaus Ratgeber, Essay, Bekenntnis, Tratsch, Filmtheorie, Kulturgeschichte, verschriftlichter Stand-up-Monolog und Liebeserklärung (an Smiths Ehefrau Jennifer Schwalbach, das Kino an sich, Eis-hockey, Donuts …), kurz: ein breiter und immer wie-der neue Kurven nehmender Strom kurzweiligsten und lehrreichsten Gequassels eines unschlagbaren Profi-Quasslers.

Denn dieser grenzenlos kreative Fettsack hat Hollywood bzw. das amerikanische Kommerz- wie Indie-Kino zu Beginn seiner Karriere mit spottbilligen, quasi minimalistischen Eigenproduktionen aufgemischt, die das Gequassel zur Kunstform erheben, kaum mehr brauchen als eine Ladentheke mit zwei unablässig labern-den Typen dahinter, und so ein eigenes Genre, die Bromance, begründeten – Geschichten von (wie Smith in Tough Sh*t definiert) »intensiven Männerfreundschaften, die im Grunde wie eine gleichgeschlechtliche, aber geschlechtsverkehrfreie Ehe funktionieren« und in denen Sex als Laberstrom-Lieblingsthema trotzdem alles andere als zu kurz kommt.

Was 1994 mit Clerks begann, den die Brüder Harvey und Bob Weinstein für ihre zu Recht legendäre Pro-duktionsfirma Miramax einkauften, fand seine Fort-setzungen u.a. in Mallrats (1995), Chasing Amy (1997), Dogma (1999), Clerks II (2006) oder Zack and Miri Make a Porno von 2008. Doch Smith ist nicht nur Autor und Regisseur dieser Streifen, sondern schreibt sich die unter lauter Quasselstrippen bemerkenswert stumme Rolle des Silent Bob auf den runden Leib, welcher in untrennbarer Symbiose mit seinem umso redseligeren Kumpel Jay in diversen Smith-Filmen als Running Gag und Geek-Version des griechischen Chors fungiert und neben Laurel/Hardy, Batman/Robin und Calvin/Hobbes eines der ikonischen Doppel der jüngeren Popkultur bildet. Der film- und comicbegeisterte Typ aus New Jersey wird mit seinen Komödien über film- und comic-begeisterte Typen aus New Jersey zum wichtigsten »Miramaxketier« neben Quentin Tarantino, dem – so Smith – »Jesus Christus des Arthaus-Kinos«.

Miramaxketiere sind diejenigen Regisseure, mit deren Arbeiten die Weinsteins den Indie-Film ins Mainstream-Kino bringen, die Kluft zwischen Kunst und Kommerz überbrücken, eine Unmenge Kohle scheffeln und das Antlitz sowie den Kanon der Traumfabrik auf immer verändern. Smiths gänzlich uneitel, anrührend offen und dabei nie nachtretend oder indiskret er-zählte Geschichte seiner eigenen Karriere ist auch die Geschichte der Ursprünge einer (womöglich letzten) großen filmkunstrevolutionären Ära, dem sogenannten New Hollywood, und Smith verschweigt keines-wegs das eher traurige Ende dieser Geschichte als früher oder später zwangsläufige Kapitulation vor der die amerikanische Unterhaltungsindustrie autokratisch und unbarmherzig regierenden Macht des Geldes.

Kevin Smiths Regisseurs-Laufbahn und der sie ständig begleitende Kampf um künstlerische Freiheit ist allerdings lediglich der rote Faden in Tough Sh*t, hat doch der nimmermüde und immer hungrige Smith genug Würste in der Pfanne, um zahllose weitere wissens-werte, persönliche, anekdotische und saulustige Informationen auftischen zu können: Neben allem anderen liebt Kevin Smith an seiner Frau ganz besonders deren After. Auf den Führungsebenen solcher Konzerne wie Disney und Warner arbeiten nicht nur kaltherzige kapitalistische kunstferne Arschgeigen, sondern auch nette kaltherzige kapitalistische kunstferne Arschgeigen. Bruce Willis ist so ziemlich die mürrischste, zickigste, humorloseste, unprofessionellste Diva von ganz Hollywood. Smith wird als »zu fett zum Fliegen« aus einer Maschine der Fluglinie Southwest Airlines geschmissen und verwandelt das anschließende öffentliche Theater in eine leidenschaftliche Apologie des Dickseins und der Toleranz.

Und das ist noch längst nicht alles. Wer Tough Sh*t gelesen hat, der will sofort alle Filme von Kevin Smith (wieder) sehen, seinen Podcasts lauschen, sein Blog besuchen – und am allerliebsten in seinem Comicladen Jay and Silent Bob’s Secret Stash in Red Bank, New Jersey, vorbeischauen, dem Fettsack mit einer Schachtel Donuts dafür danken, dass es ihn gibt, und den ganzen Scheiß endlich mal von ihm persönlich hören, denn: »Das Leben geht ziemlich schnell vorbei. Wenn du nicht ab und zu anhältst und dich umsiehst, könntest du es verpassen.«
Sven Eric Wehmeyer