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Kathryn Stocketts Südstaaten-Roman »Gute Geister« [engl. »The Help«] bei btb

Zu wenig zu spät

Kathryn Stockett über sich selbst

Kathryn Stockett
© Christopher Schmid
Unser Dienstmädchen Demetrie pflegte immer zu sagen, im Hochsommer in Mississippi Baumwolle zu pflücken sei wohl der übelste Zeitvertreib auf der Welt, mal abgesehen vom Pflücken von Okra, noch so einem stachligen Zeug, nach dem man sich bücken muss. Demetrie erzählte uns alle möglichen Geschichten darüber, wie sie als Kind Baumwolle gepflückt hatte. Sie lachte, schüttelte den Kopf und schwenkte warnend den Zeigefinger, als könnte ein Trio von reichen weißen Kindern dem Übel des Baumwollpflückens verfallen wie dem Rauchen oder dem Schnaps.

»Tagelang hab ich nur gepflückt und gepflückt. Und dann hab ich an mir runtergeguckt, und meine Haut war ganz voll Blasen. Ich hab's meiner Mama gezeigt. Keiner von uns hatte jemals Sonnenbrand bei einem schwarzen Menschen gesehen. Das war nur was für Weiße!«

Ich war noch zu klein, um zu merken, dass das, was sie da erzählte, nicht sonderlich lustig war. Demetrie war in Lampkin, Mississippi, geboren worden, im Jahr 1927. Ein schreckliches Jahr, um auf die Welt zu kommen, kurz vor Beginn der Großen Depression. Gerade der richtige Zeitpunkt, um in allen Einzelheiten zu erfahren, was es hieß, ein armes, schwarzes Kind und noch dazu ein Mädchen auf einer Pächtersfarm zu sein.

Demetrie kam mit achtundzwanzig zum Kochen und Putzen ins Haus meiner Großeltern. Mein Vater war da vierzehn, mein Onkel sieben. Demetrie war kräftig und dunkelhäutig und zu jener Zeit mit einem gewalttätigen Trinker namens Clyde verheiratet. Sie wollte mir nie antworten, wenn ich sie nach ihm fragte. Aber außer über das Thema Clyde sprach sie den ganzen Tag mit uns.

Und ich fand es herrlich, mit Demetrie zu reden. Nach der Schule saß ich bei ihr in der Küche meiner Großmutter, lauschte ihren Geschichten und sah zu, wie sie Kuchenteig machte und Huhn frittierte. Ihre Kochkünste waren herausragend. Essensgäste meiner Großmutter ergingen sich ausgiebig darüber. Man fühlte sich geliebt, wenn man Demetries Karamelltorte kostete.

In ihrer Mittagspause allerdings durften meine beiden älteren Geschwister und ich sie nicht stören. Großmutter sagte dann: »Lasst sie jetzt in Ruhe, diese Zeit gehört ihr.« Und ich stand in der offenen Küchentür und konnte es nicht erwarten, wieder zu ihr hinein zu dürfen. Großmutter wollte, dass Demetrie sich ausruhte, damit sie ihre Arbeit zu Ende bringen konnte, mal ganz davon abgesehen, dass Weiße nicht mit am Tisch saßen, wenn eine Schwarze aß.

Das war einfach Teil des täglichen Lebens, die Regeln zwischen Schwarzen und Weißen.
Ich weiß noch, dass ich als kleines Mädchen, wenn ich Schwarze in den Farbigenvierteln der Stadt sah, immer Mitleid mit ihnen hatte, auch wenn sie gut gekleidet und vergleichsweise wohlhabend waren. Heute ist es mir sehr peinlich, das zuzugeben.

Aber Demetrie tat mir nicht leid. Mehrere Jahre lang dachte ich, was sie doch für ein Glück hatte, bei uns zu sein. Einen sicheren Job in einem schönen Haus zu haben, bei weißen Christenmenschen. Aber ich dachte es auch, weil Demetrie keine eigenen Kinder hatte und es sich für uns so anfühlte, als füllten wir eine Leerstelle in ihrem Leben. Wenn jemand sie fragte, wie viele Kinder sie habe, hob sie drei Finger. Sie meinte uns: meine Schwester Susan, meinen Bruder Rob und mich.

Meine Geschwister streiten es ab, aber ich stand Demetrie näher als die anderen Kinder. Niemand legte sich mit mir an, wenn Demetrie bei mir war. Sie stellte mich immer vor den Spiegel und sagte: »Du bist schön. Du bist ein schönes Mädel«, obwohl ich es eindeutig nicht war. Ich hatte eine Brille und strähniges braunes Haar, was an meiner hartnäckigen Abneigung gegen die Badewanne lag. Meine Mutter war viel auf Reisen. Susan und Rob hatten keine Lust, sich mit mir abzugeben, und ich fühlte mich überflüssig. Demetrie wusste das, nahm meine Hand und sagte mir, ich sei ein prima Mädchen.

Als ich sechs war, ließen sich meine Eltern scheiden, und Demetrie wurde noch wichtiger für mich. Wenn meine Mutter, wie so häufig, unterwegs war, steckte Daddy uns Kinder in das Motel, das er betrieb, und Demetrie wurde bei uns untergebracht. Ich weinte dann endlos an Demetries Schulter, weil ich meine Mutter so sehr vermisste, dass ich Fieber bekam.

Zu der Zeit waren meine Geschwister Demetries Obhut bereits zu einem gewissen Grad entwachsen. Sie saßen im Penthouse des Motels herum und spielten mit dem Personal Poker, unter Verwendung von Trinkhalmen als Einsatz.

Ich weiß noch, wie ich neidisch zuschaute und wie ich einmal dachte: Ich bin kein Baby mehr. Ich muss mich nicht mit Demetrie begnügen, während die anderen Poker spielen.

Also spielte ich mit und verlor natürlich binnen fünf Minuten meine sämtlichen Trinkhalme. Ich landete wieder auf Demetries Schoß und gab mich mürrisch, während ich weiter den anderen beim Pokern zuschaute. Doch schon nach einer Minute lag meine Stirn an Demetries weichem Hals, und sie wiegte mich, als säßen wir beide in einem Boot.

»Hier gehörst du hin. Hierher zu mir«, sagte sie und tätschelte mein heißes Bein. Ihre Hände waren immer kühl. Ich sah den Großen beim Kartenspielen zu, und es machte mir nicht mehr so viel aus, dass Mutter schon wieder weg war. Ich war da, wo ich hingehörte.

Die Flut negativer Darstellungen Mississippis in Filmen, in der Presse und im Fernsehen hat uns Kinder dieses Bundesstaates zu einem misstrauischen, defensiven Häuflein gemacht. Unsere Heimat erfüllt uns mit Stolz und Scham, vor allem aber mit Stolz.

Trotzdem bin ich von dort weggegangen. Mit vierundzwanzig bin ich nach New York gezogen. Ich lernte, dass die erste Frage, die einem an einem solchen Ort permanenter Fluktuation gestellt wird, lautet: »Wo sind Sie her?« Und ich sagte: »Mississippi.« Und wartete.

Leuten, die lächelnd sagten: »Dort unten soll es ja wunderschön sein«, antwortete ich: »Meine Heimatstadt steht auf Platz drei in den USA, was Gang-Morde anbelangt.« Leuten, die sagten: »Gott, müssen Sie froh sein, dass Sie da weg sind«, erklärte ich unwirsch: »Was wissen Sie schon? Es ist wunderschön dort unten.«

Einmal, auf einer Dachterrassenparty, fragte mich ein Mann aus einem reichen, weißen Pendlerstädtchen nördlich der Metropole, wo ich her sei, und ich antwortete, aus Mississippi. Er lachte spöttisch und sagte: »Mein Beileid.«

Ich nagelte seinen Fuß mit meinem Stilettoabsatz fest und verbrachte die nächsten zehn Minuten damit, ihn ganz ruhig über die Herkunft von William Faulkner, Eudora Welty, Tennessee Williams, Elvis Presley, B. B. King, Oprah Winfrey, Jim Henson, Faith Hill, James Earl Jones und Craig Claiborne, dem Gastrokritiker der New York Times, aufzuklären. Ich setzte ihn davon in Kenntnis, dass die erste Lungen- und die erste Herztransplantation in Mississippi durchgeführt und die Grundlagen des amerikanischen Rechtswesens an der University of Mississippi entwickelt worden waren.

Ich hatte Heimweh und nur auf jemanden wie ihn gewartet. Ich war nicht sehr wohlerzogen oder ladylike, und der arme Kerl schlich davon und wirkte den ganzen restlichen Abend ziemlich nervös. Aber ich konnte nicht anders.

Mit Mississippi ist es wie mit meiner Mutter. Über die darf ich mich beschweren, so lange ich will, aber wehe, jemand sagt ein schlechtes Wort über sie, es sei denn, sie wäre auch seine/ ihre Mutter.

Ich habe Gute Geister in New York geschrieben, was meiner Meinung nach leichter war, als es in Mississippi zu tun, Auge in Auge mit allem. Aus der Distanz sieht man mehr. Inmitten einer brummenden, schnelllebigen Metropole war es eine Erholung, meine Gedanken zu verlangsamen und eine Zeitlang in Erinnerungen zu versinken.

Gute Geister ist im Großen und Ganzen fiktiv. Dennoch habe ich mich beim Schreiben immer wieder gefragt, wie meine Familie wohl darüber dächte. Und ich fragte mich auch, was Demetrie wohl davon hielte, obwohl sie längst tot war. Ich hatte über weite Strecken Angst, eine schlimme Grenzüberschreitung zu begehen, indem ich mit der Stimme einer Schwarzen schrieb. Ich hatte Angst, ich würde es nicht schaffen, eine Beziehung darzustellen, die mein Leben so entscheidend beeinflusst hat, die so voller Wärme und Liebe war, eine Art von Beziehung, die im amerikanischen Geschichtsbild und in der amerikanischen Literatur zu einem solchen Klischee geronnen ist.

Daher war ich aufrichtig dankbar, als ich in Howell Raines' pulitzerpreisgekröntem Artikel »Grady's Gift« las:

Für einen Schriftsteller aus dem Süden gibt es kein schwierigeres Thema als die Zuneigung zwischen einem schwarzen und einem weißen Menschen in der Welt der Segregation mit ihrer Ungleichberechtigung. Denn die Unehrlichkeit, auf die eine Gesellschaft gegründet ist, macht jede Emotion suspekt, macht es unmöglich zu wissen, ob das, was zwischen zwei Menschen floss, ein aufrichtiges Gefühl, Mitleid oder Pragmatismus war.

Ich las es und dachte: Wie hat er es geschafft, das so kurz und bündig auszudrücken? Dasselbe glitschige Problem, mit dem ich kämpfte und das ich einfach nicht zu fassen bekam wie einen nassen Fisch. Und Mr Raines hatte es mit wenigen Sätzen dingfest gemacht. Es freute mich sehr, dass ich in meinem Ringen nicht allein war.

Genau wie zu Mississippi habe ich auch zu Gute Geister ein sehr widersprüchliches Verhältnis. Von den Trennlinien zwischen schwarzen und weißen Frauen ausgehend, fürchte ich, zu viel erzählt zu haben. Man hat mich gelehrt, nicht über so heikle Dinge zu sprechen, das sei ungehörig, unhöflich, sie könnten uns hören.

Und ich habe Angst, zu wenig erzählt zu haben. Nicht nur, weil das Leben für viele Frauen, die in Weißenhaushalten in Mississippi arbeiteten, noch viel schlimmer war, sondern auch, weil es viel mehr Zuneigung zwischen weißen Familien und schwarzen Dienstmädchen gab, als meine Zeit und meine Mittel mir darzustellen erlaubten.

Sicher bin ich mir nur in einem: Ich maße mir nicht an zu wissen, wie es sich wirklich anfühlte, eine schwarze Frau im Mississippi der Sechzigerjahre zu sein. Ich glaube nicht, dass irgendeine weiße Frau, die am anderen Ende des Arbeitsverhältnisses stand, das je wirklich nachfühlen könnte. Aber der Versuch, es nachzufühlen, ist unerlässlich für unsere Menschlichkeit. In Gute Geister gibt es einen Satz, der mir wirklich am Herzen liegt:

War das nicht der Sinn des Buchs? Dass Frauen erkennen: Wir sind einfach nur zwei Menschen. Uns trennt gar nicht so viel. Nicht annähernd so viel, wie ich dachte.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass niemand in unserer Familie Demetrie je gefragt hat, wie es sich anfühlte, eine schwarze Frau in Mississippi zu sein und für unsere weiße Familie zu arbeiten. Wir wären gar nicht auf die Idee gekommen, eine solche Frage zu stellen. Es war einfach Alltag. Es war nichts, was einen beschäftigte.

Ich habe mir so viele Jahre gewünscht, ich wäre alt und verständig genug gewesen, Demetrie diese Frage zu stellen. Sie starb, als ich sechzehn war. Ich habe mir jahrelang ausgemalt, wie ihre Antwort gelautet hätte. Und deshalb habe ich dieses Buch geschrieben.

Copyright © Kathryn Stockett / Amy Einhorn Books, Penguin / btb Verlag

Gute Geister

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