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Julia Kröhn im Interview zu ihrer Dilogie »Die Alster-Schule«

Die Bestsellerautorin und Historikerin lässt Geschichte lebendig werden!

Julia Kröhn
© Sarah Kastner
1. Worum geht es in Ihrer neuen Dilogie »Die Alster-Schule«?
Es geht um eine junge Geschichts- und Lateinlehrerin, die im Hamburg der 30er-Jahre an der Alsterschule ihre Arbeit aufnimmt. Beseelt von den Ideen der Reformpädagogik vermittelt Felicitas ihren Stoff auf sehr unkonventionelle, kinderfreundliche Weise. Doch als die Nationalsozialisten die Macht ergreifen, verändert sich der Schulalltag radikal – und nicht nur Felicitas, sondern auch ihre Kollegen müssen sich entscheiden, ob sie sich der NS-Ideologie unterwerfen oder ob sie ihren Idealen treu bleiben und Widerstand leisten.

2. Was hat Sie zu der neuen Reihe inspiriert / wie sind Sie auf die Idee gekommen?
Ich bin nicht nur das Kind von zwei Gymnasiallehrern, sondern habe einst selber Lehramt studiert. Und obwohl ich diesen Beruf nie ausgeübt habe, hat es mich schon seit langem gereizt, einen Roman über eine Lehrerin zu schreiben. Als ich tiefer in die Thematik einstieg, stieß ich auf viel Interessantes: sei es die Reformpädagogik, deren bahnbrechende Ideen in den Zwanzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts insbesondere an vielen Hamburger Schulen mit so viel Enthusiasmus umgesetzt wurden, oder das jähe Ende dieser Schulversuche, als die nationalsozialistische Bildungspolitik das Gegenteil von all ihren Prinzipien diktierte. Aber ich wusste erst, dass ich meinen Lehrerinnenroman nicht einfach nur schreiben konnte und wollte, nein, schreiben musste, als ich mich näher mit Erna Stahl beschäftigte, einer überzeugten Reformpädagogin der Lichtwarkschule. Ein von ihr initiierter Lesekreis in den Dreißigerjahren schuf sozusagen die geistige Grundlage für die Hamburger Weiße Rose – das zweite zentrale Thema meiner Dilogie.

3. Würden Sie uns die wichtigsten Charaktere aus Ihrer Dilogie einmal skizzieren?
Da gibt es zum einen Felicitas, eine glühende Reformpädagogin, aber zugleich auch Femme fatale, die leidenschaftlich gern unterrichtet – und in ihrer Freizeit leidenschaftlich gern tanzt. Einen Bruder im Geiste findet sie in Levi, einem feinsinnigen Deutschlehrer und Literaturliebhaber, der in jeder Situation das passende Zitat parat hat. Während Felicitas Freiheit über alles geht, sehnt sich ihre Freundin Anneliese, eine Hauswirtschaftslehrerin, vor allem nach einem Ehemann. Den glaubt sie in Emil zu finden, einem Turn- und Englischlehrer, der seine Gefühle gerne hinter einer ausdruckslosen Miene verbirgt und Disziplin nicht nur beim Trainieren auf dem Reck hochhält.

4. Haben Sie eine Lieblingsfigur?
Bei diesem Roman ist es fast unmöglich, mich auf eine festzulegen. Ich finde, die Wandlung, die Anneliese im Laufe der beiden Bände durchläuft, am faszinierendsten. Obwohl man sie manchmal wegen ihrer Naivität schütteln möchte – sie hat mich allein darum sehr berührt, weil sie sehr viele Ähnlichkeiten mit meiner Großmutter hat.

5. Wie gingen Sie bei der Recherche vor?
Neben der gründlichen Beschäftigung mit der einschlägigen Fachliteratur, sind mir Recherchen vor Ort sehr wichtig. Ich kannte Hamburg bereits, habe nun aber die Hansestadt nochmal ganz neu entdeckt. Ich habe viel Zeit an der Alster verbracht, wo ich meine fiktive Schule angesiedelt habe, mit großem Interesse das Museum für Hamburgische Geschichte besucht und mir zentrale Orte angeschaut: z.B. das Curiohaus – den Sitz des nationalsozialistischen Lehrerbunds, das jüdisch geprägte Grindelviertel, das ehemalige Konzentrationslager Fuhlsbüttel oder die Straße, wo sich jene Buchhandlung befand, in der sich die Hamburger Weiße Rose traf.

6. Was hat Sie während der Recherchen am meisten fasziniert?
Das waren vor allem die massiven Gegensätze, die die Dreißigerjahre prägten: Auf den Siegeszug der Reformpädagogik mit damals wie heute bahnbrechenden, modern anmutenden Ideen folgte die finstere Zeit des Nationalsozialismus mit einer radikalen Abkehr von allen humanistischen Bildungsidealen.

7. Welchen Idealen und Ideen unterlag die Reformpädagogik genau?
Stand der Unterricht bis zum Ersten Weltkrieg unter dem Motto, »Hände falten, Schnabel halten, den Kopf nicht drehen und den Lehrer ansehen«, wurde der Unterricht in der Weimarer Republik rundum erneuert. Es gab viele sogenannte »Versuchsschulen«, die ganz neue Unterrichtsprinzipien anwandten: Mädchen und Jungen lernten nun gemeinsam, oft sogar an der frischen Luft, duzten manchmal ihre Lehrer, erarbeiteten den Stoff mit Kopf, Herz und Hand. Hoch angesehen waren fächerübergreifende Projekte. Grundsätzlich sollten mehrere Unterrichtseinheiten zusammengelegt werden, anstatt auf 45 Minuten begrenzt zu sein. Die Kind saßen nicht mehr nur an Schulbänken, sondern oft auch im Stuhlkreis, sie diskutierten und experimentieren viel. Dahinter steckte ein Menschenbild, das von einer tiefen Liebe zum Kind geprägt war. Man glaubte, dass in jedem Menschen Talente und Fähigkeiten schlummern und es diese behutsam, geduldig und in einer freundlichen Atmosphäre zum Leben zu erwecken gilt. Mit Bedacht wählte man darum selbst die Farben der Klassenzimmer – nämlich möglichst helle und warme. In manchen Schulen wurde sogar auf Noten und erst recht auf das Sitzenbleiben verzichtet. Ebenso wichtig war auch das Motto »Bildung für alle«, weswegen einem bestimmten Prozentsatz von Kindern aus Arbeiterfamilien das Schulgeld erlassen wurde.

8. Wie veränderte sich die Bildung bzw. die Unterrichtsgestaltung, als die NSDAP an die Macht kam?
Nicht nur, dass sämtliche demokratische, liberale und jüdische Lehrer von nun an unter massiven Repressalien litten. Eine menschen- und kinderfreundliche Pädagogik, die sich nicht Selbstzucht, Kampf- und Opferbereitschaft zum Ziel gesetzt hatte, wurde von den Nazis als »geistige Päderastie« diskreditiert. Der einzige Daseinszweck von Schulen bestand nun darin, die Jugend dem »gesunden Volkskörper einzuverleiben«. Klassensprecher wurden ebenso abgeschafft wie Elternbeiräte und Koedukation. Hitlerjungen sollten grundsätzlich mit besseren Noten bedacht werden. Jüdische Kinder, sofern sie nicht ohnehin von der Schule ausgeschlossen wurden, nahm der pflichtbewusste nationalsozialistische Lehrer dagegen nicht mehr dran, wenn sie sich meldeten. Nicht nur, dass neue Fächer wie Rassenkunde hinzukamen – die Inhalte der einzelnen Fächer wurden strikt »gesäubert«: Albert Einsteins Relativitätstheorie tilgte man aus den Physikbüchern, denn nur die »arische Physik« galt als die wahre. Bei Mathematiktests mussten Schüler berechnen, wie viele Häuser man für Familien bauen könnte, wenn man auf die Versorgung Geisteskranker verzichtete. In Biologie wurde der Fokus auf jene Pflanzen und Tiere gelegt, die sich gegen Schmarotzer zu Wehr setzen. Im Religionsunterricht sollte das Alte Testament – das »Buch, in dem jüdische Zuhältergeschichten erzählt werden« – nicht länger behandelt, im Geschichtsunterricht keine Zeit mit fremden Völkern mehr verschwendet werden. Im Laufe des Krieges wurden der Lehrstoff sowie die Schuljahre immer weiter gekürzt, denn als der wahre Lehrmeister würde sich ja doch einzig der Krieg erweisen.

9. Ihre Protagonistin, die junge Lehrerin Felicitas, brennt für die Reformpädagogik. Wie geht sie damit um, als die Nationalsozialisten »Unterricht unter dem Hakenkreuz« verlangen?
Zunächst fühlt sie sich sehr ohnmächtig. Alle ihre Versuche, im Kleinen Widerstand zu leisten, scheitern, und sie droht zu resignieren. Doch als sie Erna Stahl kennenlernt, die allen Rahmenbedingungen zum Trotz den Geist der Freiheit am Leben erhalten will, schöpft sie neuen Mut und wandelt sich nach und nach zur Widerstandskämpferin.

10. Steht Felicitas damit als Beispiel für viele Lehrer*innen dieser Zeit?
Viele Lehrer*innen erwiesen sich als opportunistisch und regimetreu, aber nicht alle verrieten ihre Überzeugungen und wurden zu Handlangern des Regimes. Manche leisteten Widerstand und starben im KZ, andere blieben in diesen Lagern selbst unter unmenschlichen Bedingungen Lehrer: Ob nun ein Franz Bobzien im KZ Sachsenhausen oder ein Hermann Wilhelm Hammann im KZ Buchenwald – sie gründeten illegale Lagerschulen und retteten auf diese Weise nicht nur das Leben vieler Kinder und Jugendlicher, sondern auch ihr Menschenbild.

11. Welche Rolle kommt den realen Persönlichkeiten im Roman zu?
Ich erzähle meine Geschichte vor allem aus der Perspektive fiktiver Protagonisten, es war mir aber ein großes Anliegen, die realen Ereignisse und zeitlichen Abläufe so akkurat wie möglich darzustellen und diverse historische Persönlichkeiten am Rande auftreten zu lassen, darunter die schon erwähnte Erna Stahl:
Aufgrund ihrer Gegnerschaft zum Naziregime wurde sie von ihrer Schule verwiesen, hielt aber weiterhin Kontakt mit ihrer Lieblingsklasse. Zwischen 1935 und 1938 lud sie ihre ehemaligen Schüler*innen regelmäßig in ihre Privatwohnung ein und unterrichtete sie dort in Literatur, Kunstgeschichte und Philosophie – und vor allem in freiem Denken. Zu diesen Schüler*innen gehörte auch Traute Lafrenz, die ab 1938 in München studierte und dort die Bekanntschaft mit Hans Scholl und dessen Widerstandskreis machte. Später brachte sie das 3. Flugblatt der Weißen Rose in ihre Geburtsstadt mit – die Geburtsstunde der »Hamburger Weißen Rose«, an der auch Buchhändler, Künstler und Intellektuelle beteiligt waren und für die Erna Stahl sozusagen die geistige Grundlage schuf.

12. Möchten Sie Ihren Leser*innen mit diesem Zweiteiler eine bestimmte Botschaft mitgeben?
Es ging mir nicht nur darum, einzelnen Widerstandskämpfern ein Denkmal zu setzen, sondern auch darum, das geistige Fundament darzustellen, das die Voraussetzung für diese Bewegung war. Dieses Fundament ist nichts, was einfach vom Himmel fällt, man muss es sich Ziegelstein um Ziegelstein erarbeiten: durch intensive Lektüre anspruchsvoller Bücher, durch Austausch und Diskussion, durch die Bereitschaft, sich stetig weiterzubilden und den Intellekt herauszufordern. Das korreliert wiederum mit meiner tiefen Überzeugung, dass Literatur, humanistische Bildung und eine Pädagogik, die das Kind und seine Bedürfnisse von klein auf würdigt, der beste Impfstoff gegen Nationalismus, Rassismus und Menschenverachtung sind.

13. Betrachtet man die deutsche Geschichte, wird um »Bildung für alle« ja schon sehr lange gekämpft. Würden Sie sagen, heute sind wir auf der Zielgeraden?
Ich fürchte, wir sind noch ein ordentliches Stück vom Ziel entfernt. Schon lange vor Corona zeigte sich, dass der Schulerfolg hierzulande häufig vom Elternhaus abhängig ist. In der Pandemie hat sich dies verschärft. Während in unseren Nachbarländern wie der Schweiz, Frankreich oder Dänemark die Bildung zur Priorität erklärt wurde, blieben die Schulen hier so lange wie kaum woanders geschlossen, und der Online-Unterricht war teilweise miserabel. Auch mit der Luftfilter-Ausstattung von Schulen kam man nicht voran. Wenn sich der Staat das Recht auf Bildung nicht zum zentralen Anliegen macht, sondern selbiges unter ferner liefen fungiert (und meist noch weit hinter der Interessensbefriedigung von Großkonzernen), läuft m.E. etwas gehörig schief. Der Zugang zur Bildung darf kein Glücksspiel sein!

Die Alster-Schule - Zeit des Wandels

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