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SPECIAL zu Jonathan Coe

Jonathan Coe - Chronist unserer Zeit

Das Gesamtwerk von Charles Dickens stand in Jonathan Coes Elternhaus im Regal, ein halber Meter ungelesene Bücher. Sonst gab es keine Weltliteratur in seiner Kindheit. Und doch begann er schon mit acht Jahren zu schreiben. Heute zählt Coe zu den renommiertesten britischen Autoren seiner Generation – spätestens seit seinem vierten Roman Allein mit Shirley (1994, dt. Ausgabe 1995). Für diese skrupellose Satire auf den Raubtierkapitalismus wurde er mit dem John Llewellyn Rhys Prize ausgezeichnet und eroberte die Bestsellerlisten, nicht nur in Großbritannien, sondern auch in Italien und Frankreich, wo Allein mit Shirley als »bester ausländischer Roman des Jahres« ausgezeichnet wurde. Alle Romane, die seither erschienen sind, wurden Bestseller. Jonathan Coe kann virtuos, klug, fesselnd und sehr humorvoll erzählen, und es sind vor allem jene tragikomischen Verstrickungen von Privatem und Politischem, die ihm eine begeisterte Anhängerschaft und den Ruf als »der derzeit beste literarische Chronist Englands« (Will Self) eingebracht haben.

Noch heute besitzt Jonathan Coe eine Abschrift von seinem allerersten Werk, das er als Junge verfasst hat. »Damals glaubte ich, ich hätte einen kleinen Roman in mein Notizbuch geschrieben«, erzählt der 1961 in Birmingham geborene Coe. »Es waren immerhin hundertfünfzig Seiten! Mein Vater war so beeindruckt, dass er seine Sekretärin bat, es abzutippen. Dabei kamen dann nur fünfundzwanzig Seiten heraus, und ich war sehr enttäuscht, weil ich gedacht hatte, ich hätte ein richtiges Buch geschrieben. Doch es war nur eine Kurzgeschichte, eine viktorianische Detektivgeschichte. Mein Großvater hatte mir Sherlock Holmes vorgelesen. Mit ihm hatte ich übrigens mein erstes ernsthaftes Gespräch über Romane.«

Doch die Enttäuschung des Achtjährigen hielt nicht lange an, mit fünfzehn schon schickte Jonathan Coe erstmals einen Roman an einen Londoner Verlag. Das Manuskript wurde abgelehnt. Das nächste auch, und auch das übernächste. Er war schon sechsundzwanzig Jahre alt, als er für einen seiner Romane – und er hatte schon eine stattliche Anzahl in seiner Schublade – einen Verleger fand: 1987 erschien The Accidental Woman, ein Debüt, das den jungen Autor sofort ins Gespräch brachte.
Jonathan Coe, ein eher zurückhaltender Mensch, ist ein vom Schreiben und von Literatur Besessener. Er studierte Literaturwissenschaften, zuerst in Birmingham, dann in Cambridge, und schloss sein Studium mit einer Promotion über Henry Fieldings Werk Tom Jones an der University of Warwick ab. Er las sich durch den Kanon der englischsprachigen Literatur und begeisterte sich für Samuel Beckett, Flann O'Brien, Alsadair Gray und B. S. Johnson. Über Letzteren verfasste er eine Biografie: Like a Fiery Elephant: The Story of B. S. Johnson (2004). »Weil dieser in Vergessenheit geratene, experimentelle Autor das Romangenre radikal überdachte und verjüngte«, so begründete Coe sein Motiv. 2005 wurde er für diese Biografie mit dem Samuel Johnson Prize für das beste Sachbuch ausgezeichnet.

Mit seinem achten Roman, Der Regen, bevor er fällt (DVA 2009), versetzte er die Kritiker in Erstaunen: Wütend waren seine bisherigen Schriften, beißend ironische Gesellschaftsporträts – doch mit dieser Familiengeschichte zeigte Coe, dass er auch nach zwanzig Jahren schriftstellerischen Treibens neue, ungewohnte Töne anschlagen kann. Viele dieser Töne finden sich auch in seinem neuen Roman Die ungeheuerliche Einsamkeit des Maxwell Sim, der sich wie der Vorgängerroman um ein Familiengeheimnis rankt; gleichzeitig jedoch kommt nun auch der Zeitchronist Jonathan Coe wieder zur Sprache, der sich den gesellschaftlichen Befindlichkeiten unserer Gegenwart annimmt und sie hier geschickt zu einer amüsanten Schelmengeschichte verarbeitet. Dass er sich dabei nicht scheut, Risiken einzugehen, zeigt sich anhand der Hauptfigur: Maxwell Sim ist einer jener Typen, »vor denen wir im wahren Leben schreiend wegrennen würden, quetschte er sich jemals neben uns an die Bar« (The Observer), und doch leidet man mit ihm, lernt ihn schätzen und lieben. Jonathan Coe, der preisgekrönte Autor, beweist damit wieder einmal, wie meisterlich er uns Lesern in jedem seiner Romane eine ganz eigene Welt zu eröffnen vermag, die sich aus dem ganz normalen Wahnsinn des Alltagslebens speist.