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Peter Neumann: Jena 1800

Peter Neumann: Jena 1800

Die Republik der freien Geister

Interview mit Peter Neumann über sein neues Buch ›Jena 1800‹

Was hat Sie an dem Schauplatz »Jena 1800« so besonders fasziniert?

»Jena 1800« ist eine Versuchsanordnung der Moderne: Auf engstem Raum kommen hier Dichter, Philosophen und Wissenschaftler zusammen, die in gemeinsamem Austausch, aber auch in der offenen publizistischen Auseinandersetzung versuchen, Antworten zu finden auf die zentralen europäischen Krisenerfahrungen der Zeit: In Paris hat sich ein Volk selbst das Gesetz geben, von Königsberg aus hat Kant mit seiner Vernunftkritik die Geisteswelt erschüttert. Extrem gegenwärtig an der Jenaer Konstellation ist das Moment der Vorläufigkeit: Es sind immer nur wieder Versuche; es gibt keine Inseln ewiger Wahrheiten mehr.

Wie kam es dazu, dass Jena (und nicht etwa Weimar) zum geistigen Zentrum Deutschlands werden konnte?

Jena hatte eine Universität, war nah zum Hof in Weimar gelegen, aber auch nicht zu nah, konnte sich also einer gewissen Liberalität erfreuen. Zum anderen war Jena ein Ort des Frühkantianismus: Hier bekam Kants 1781 erschienene »Kritik der reinen Vernunft« die Aufmerksamkeit, die sie verdient. Nicht zu unterschätzen ist sicher auch die landschaftliche Komponente; Friedrich Schlegel, der aus Berlin kam, schwärmte regelrecht von den sanft geschwungenen Thüringer Hügeln. Eine große Rolle spielte nicht zuletzt auch Goethe: Seiner Berufungspolitik ist es zu verdanken, dass so viele exzellente Köpfe nach Jena kamen.

Was ist das Einzigartige an dieser ­Jenaer »Dichterkommune«?

Die Leutragasse 5 war eine gesellschaftliche Utopie im Kleinen: Gemeinsam leben, denken und streiten, geht das – und wenn ja: wie? Der Kreis, der sich um die Schlegel- Brüder versammelte, konnte ganz unterschiedliche Funktionen erfüllen: Er konnte Freundschaftsbund sein, Netzwerk, intellektueller Hotspot. Das Einzigartige an dieser »Dichterkommune« ist, dass die dort entwickelten Denkfiguren nichts von ihrer Gegenwärtigkeit verloren haben.

Inwiefern machten die Dichter und Philosophen damals Erfahrungen (und stellten Fragen), die uns noch heute bewegen?

Eine der zentralen Erfahrungen um 1800 ist die des Umbruchs: Ein Riss geht durch die Zeit – und noch kann niemand sagen, ob man ihn je wird überbrücken können. In Zusammenhang mit dieser Differenzerfahrung kommt es zu einer ungeheuren Beschleunigung: Der Umbruch vollzieht sich in immer kürzeren Abständen, das Leben wird zu einer permanenten Revolution. Ungewissheit zieht in den Alltag ein. Umbruch, Beschleunigung, Unsicherheit, das sind die Erfahrungen um 1800, die bis in unsere eigene Gegenwart hineinreichen.

Sie haben intensiv zu Schelling geforscht – was zeichnet sein Denken aus? Und in welcher Weise spricht er noch heute zu uns?


Schelling ist der widersprüchlichste aller Denker um 1800: Er hat nicht eine Philosophie, er hat viele Philosophien, von denen er aber zugleich behauptet, dass sie ein System ausmachen. Schelling entdeckt die Natur als Quelle einer unerschöpflichen Produktivität; er macht die Kunst zu einem Medium der Selbsterkenntnis; und er begreift die Geschichte als diejenige Zeit, in der wir allein unsere Freiheit realisieren können. Schelling ist also nicht nur ein widersprüchlicher Denker, er macht den Widerspruch selbst zum Prinzip der Philosophie.

Peter Neumann, geboren 1987, lebt als freier Schriftsteller in Weimar und lehrt Philosophie mit Schwerpunkt Deutscher Idealismus an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

Jena 1800

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