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Interview mit Virginia Ironside, Bestsellerautorin im Goldmann Verlag

„Ich liebe das Alter!“

Virginia Ironside über ihr neues Buch “Nein! Ich möchte keine Kaffeefahrt!“

Virginia Ironside
© Catherine Shakespeare Lane
Sie touren gerade mit Ihrer Bühnenshow „Growing Old Disgracefully“ durch England und Schottland und feiern als bekannte Autorin Bestsellererfolge mit Büchern, in denen Sie das Alter ab 60 humorvoll als schönste Lebensphase schildern. Ihr jüngstes Buch, das in Deutschland Weltpremiere feiert, heißt „Nein! Ich möchte keine Kaffeefahrt!“. Es handelt sich um eine Fortsetzung der Tagebücher von Marie Sharp. Marie ist mittlerweile 65 Jahre alt und hält in ihren Aufzeichnungen selbstironisch Begebenheiten aus ihrem Leben fest. Wie viel von Ihnen steckt in Marie Sharp?

In Marie Sharp steckt viel von mir selbst, allerdings glaube nicht, dass Marie sich auf eine Bühne gestellt hätte. Jedoch ist Marie so gut wie pensioniert, wohingegen ich noch arbeite, und ich habe zwei Enkelkinder statt einem. Andererseits gibt es eine Menge Übereinstimmungen: Ich lebe in Shepherd´s Bush, einem Stadtteil von London, ich ging auf die Kunstakademie und bin Vorsitzende unseres Anwohnervereins. Und ich habe einige Bäume auf Gemeindegrund davor bewahrt, abgeholzt zu werden! (Doch anders als die wesentlich mutigere Marie bin ich nie hinaufgeklettert!)

Wie alt waren Sie, als sie zum ersten Mal feststellten, dass das Alter plötzlich für Sie und die Menschen in Ihrem Umfeld ein Thema wurde?

Das Alter ist wohl immer ein wichtiges Thema. Wenn man drei ist, sehnt man sich danach, erwachsen zu werden. Wenn man 20 ist, graut einem davor, 30 zu werden. Aber in letzter Zeit habe ich festgestellt, dass das Alter ein immer beliebteres Gesprächsthema wird. Zum Teil, weil die meisten Leute so große Angst davor haben und immer auf der Suche nach Bestätigung dafür sind, dass sie nicht die einzigen sind, die stolpern, ihr Gedächtnis verlieren oder unter Glaskörpertrübungen im Auge leiden.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, über die Generation 60 plus zu schreiben, oder sollte man vielleicht besser sagen: den Herbst des Lebens?

Ich habe immer sehr viel über meine eigenen Erfahrungen geschrieben. Sogar als Kummerkastentante wollte ich mich, wenn das nahelag und ich selbst unter einem bestimmten Problem litt, den Lesern gegenüber immer unbedingt dazu bekennen. Ich will den Lesern zeigen, dass auch die Leute, die man in der Zeitung sieht, unter Angst, Depressionen, Schuldgefühlen und so weiter leiden. Als mein Sohn zur Welt kam, schrieb ich ein Buch mit dem Titel „How to Have a Baby and Stay Sane“ [„Wie man ein Baby bekommt, ohne verrückt zu werden“], und als mein Vater starb, schrieb ich ein Buch über Verlust und Trauer. Ich komme mir manchmal vor wie ein Kamel, das sich endlos aus dem Höcker seiner gespeicherten Erfahrungen, Erinnerungen und Probleme speist! Aber über diesen „Herbst des Lebens“, wie Sie es so beschönigend nennen (ich nenne es „alt“), schrieb ich hauptsächlich deshalb, weil ich festgestellt hatte, dass es bisher kaum jemand anders getan hatte. Es gab viele lustige Bücher für Teenager und Leute in den 20ern und 40ern, für Mütter, Eheleute und Singles, aber keine für Omas und Leute über 60. Ich entdeckte eine Marktlücke, die gefüllt werden musste!

Viele leugnen ihr wahres Alter oder sie sagen: „Ich mag zwar 65 sein, aber ich sehe aus wie 55 und fühle mich wie 40.“ Sie halten das für Unsinn. Warum?

Ich glaube ganz sicher nicht, dass es Unsinn ist, aber es gibt so viele Leute, die vergessen, dass es in Wirklichkeit gar nicht so übel ist, sich wie 65 zu fühlen. Wer möchte sich schon wie 40 fühlen, wenn er bereits 40 war und sich schon einmal so gefühlt hat? Was spricht dagegen, ein neues Gefühl auszuprobieren? Dasselbe gilt übrigens auch für den Wunsch, wie 55 auszusehen. Die Leute haben bereits wie 55 ausgesehen – als sie 55 waren. Warum sollte man nicht versuchen, wie 65, aber dabei absolut phantastisch auszusehen. In der Malerei, sagen wir einmal bei Poussin, gibt es wunderschöne Bilder von Ruinen. Einige der schönsten, überwältigendsten Landschaften und Gebäude sind zugleich die ältesten. Wer möchte schon wie ein Wald aus Schösslingen aussehen im Vergleich zu einem prächtigen, Millionen Jahre alten Amazonasregenwald?

In „Nein! Ich möchte keine Kaffeefahrt!“ entscheidet sich Marie Sharp für ein Facelifting, was von ihren Freunden und Angehörigen ganz unterschiedlich aufgenommen wird. Dass auch Sie sich in Ihren 50ern liften ließen, ist kein Geheimnis, denn sie sprechen ganz ungeniert darüber. Wie reagieren die Leute auf Ihre Offenheit?

Die meisten Leute baten mich um die Telefonnummer des Schönheitschirurgen! Sie konnten einfach nicht glauben, dass ich mich hatte liften lassen. Sie meinten, ich sähe einfach sehr gut aus – nicht unbedingt jung. Ich ließ den Eingriff machen, als ich 50 war – meine Mutter war bei ihrer Schönheitsoperation im selben Alter. Und ich ließ mich aus demselben Grund liften wie Marie: nicht um jung, sondern um nicht mehr so unglaublich trübsinnig auszusehen.

Marie Sharp begegnet diesmal einem faszinierenden, deutlich jüngeren Mann und verliebt sich in ihn. Ist Sex im Alter eigentlich immer noch ein Tabuthema, oder ist es vielleicht sogar der größere Tabubruch, sich dazu zu bekennen, im Alter ohne Sex glücklich zu sein?

Zurzeit hält man es in England fast schon für eine Pflicht, im Alter Sex zu haben. Niemand möchte zugeben, dass er jetzt, da er alt ist, keinen Sex mehr hat. Aber nach meinem Empfinden kann man, selbst wenn man keinen Sex hat, immer noch ein sehr sexueller Mensch sein. Ich mag die Gesellschaft von Männern und liebe es zu flirten, ich habe immer noch ein Funkeln in den Augen und, wie ein Freund es so treffend ausdrückte, „meine Antennen sind noch ausgefahren“. Aber das alles ist mir nicht mehr so wichtig wie früher, und es hat natürlich große Vorteile, wenn Sex eine geringere Rolle spielt. Man stellt für andere Frauen keine Bedrohung mehr dar und man kann mit Männern richtig gut Freund sein – so lässt sich sein Freundeskreis um Tausende erweitern!

Marie Sharp wird diesmal in aller Härte mit den schmerzlichen Seiten des Alterns konfrontiert: mit Demenz und Tod. Hört nicht spätestens dann der Spaß im Alter auf, wenn Gedächtnisverlust, Persönlichkeitsveränderung und schmerzhafte körperliche Gebrechen auftreten?

Das weiß ich nicht, weil ich dieses Stadium noch nicht erreicht habe. Aber ich bin eine große Befürworterin der Sterbehilfe und wie viele andere der Meinung, dass es oft grausam ist, alte, sieche und geistig vollkommen umnachtete Menschen um jeden Preis am Leben zu erhalten. Die Schwierigkeit besteht darin, dass die Gesetze von Menschen gemacht werden, die noch jung oder im mittleren Alter sind. Sie sind sich nicht darüber im Klaren, dass im Leben der meisten alten Menschen eine Zeit kommt, in der sie ganz ernsthaft sagen: „Wenn ich morgen nicht mehr aufwachen würde, wäre es mir egal.“ Sie sagen dies nicht im Gefühl der Verzweiflung, sondern voller Überzeugung.

Viele Menschen haben Panik, es könnte irgendwann ein Punkt kommen, an dem es zu spät ist, seine Lebensziele zu verwirklichen. Zu spät für eine Weltreise, zu spät für eine Karriere, zu spät für eine Medaille im Sport. – Sie aber sagen: Gott sei Dank, es ist definitiv zu spät! Was wirkt daran auf Sie so befreiend?

Wenn man sich weiterhin Ziele steckt, ist das toll. Beispielsweise hätte ich mich nie auf eine Bühne gestellt, wenn ich nicht diese „Ihr-könnt-mich-mal“-Haltung angenommen hätte, die viele Leute im Alter entwickeln. Ich hätte das nie ausprobieren können, als ich jünger war – ich hätte viel zu große Angst davor gehabt zu versagen. Doch jetzt sage ich mir: „Wenn sie mich ausbuhen, na schön, was soll´s!“ Bis jetzt ist das allerdings nie vorgekommen. Aber ich empfinde es als Erleichterung, nicht zu viele Entscheidungsmöglichkeiten zu haben. Als ich jünger war, wäre ich wahnsinnig gern als Biographin einer bedeutenden Persönlichkeit bekannt geworden. Nun bin ich richtig erleichtert, dass mir die Zeit fehlt, in eine Bibliothek zu gehen, um Recherchen und Untersuchungen aufzunehmen. Außerdem wäre ich sowieso nicht gut darin, wie ich jetzt weiß. Aber früher wusste ich das nicht.

Je älter Sie werden, desto mehr genießen Sie das Leben. Was gefällt Ihnen so gut an der Lebensphase ab 60?

Einer der Gründe ist, dass es mehr Vergangenheit und weniger Zukunft gibt. Das schärft den Geist. Man möchte keine Zeit mehr damit verschwenden, Dinge zu tun, die man in Wirklichkeit nicht tun will. Die Zukunft erstreckt sich nicht mehr vor einem wie eine elende, schreckliche Wüste. Diese Formulierung lässt übrigens erkennen, dass ich als junger Mensch sehr oft äußerst unglücklich und deprimiert war. Gott sei Dank habe ich das alles hinter mich gebracht, als ich jung war, und um ehrlich zu sein, könnte jetzt nichts Schlimmeres mehr kommen. Außerdem erfreue ich mich an meinen Enkelkindern, meinem Selbstvertrauen und all den anderen Vorzügen… Ich liebe das Alter!

Für Sie sind die 60er eine „Goldene Zeit“, in der das Leben Erfüllung findet. Hängt diese Hochstimmung auch damit zusammen, dass Sie beruflich noch voll im Leben stehen und viel Anerkennung finden? Sie schreiben Bücher, verfassen regelmäßig Kolumnen für den „Independent“ und das Magazin „Oldie“ und ernten viel Applaus für Ihre Bühnenauftritte.

Sicher trägt die Tatsache dazu bei, dass ich noch arbeite. Aber ich glaube, ich wäre ohnehin glücklich, einfach indem ich meine Enkelkinder sehen und jemandem zur Hand gehen könnte. Ich liebe meine Enkel so sehr, dass mich einzig und allein aufrecht erhalten könnte, sie gelegentlich zu sehen. Aber offensichtlich habe ich gerade jetzt im Alter ungebremste Energie – keine Ahnung woher – daher glaube ich nicht, dass ich es jemals langweilig finden werde, alt zu sein. Früher lief ich immer wie ein Trauerkloß mit Jammermiene herum und überlegte, womit ich die zäh verstreichenden Stunden füllen könnte. Heute sind mir die Tage nie lang genug.

Mit Ihrer Bühnenshow und ihren Büchern begeistern Sie auch junge Menschen. Können sich eigentlich auch Jüngere die Lockerheit und das Selbstbewusstsein der Älteren zu eigen machen. Oder bleibt den Jüngeren nur, sich auf das Alter zu freuen und zu warten, bis sie reif dafür sind?

Ich hoffe sehr, dass alle jungen Leute, die das Buch lesen oder meine Show sehen, sich vor der Vorstellung, älter zu werden, weniger fürchten. Es ist eine Schande, dass das Altern wie ein Damoklesschwert über der Zukunft hängt. Mir ist bewusst, dass nicht jeder dem Älterwerden gegenüber so empfindet wie ich, aber manchmal habe ich den Eindruck, dass die alten Jammerlappen zu viel Gehör bekommen. Sie klagen die ganze Zeit über das Alter: den Verlust des Gehörs, der Mobilität, der Sehkraft, der Agilität und so weiter. Sie vergessen, dass das Alter trotz all dieser unangenehmen Einschränkungen enorme Vorteile hat. Diese Vorzüge möchte ich hervorheben und sei es nur, um wieder ein Gleichgewicht herzustellen!

Interview: Elke Kreil