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Interview mit Thrillerautorin Sharon Bolton

„Was zieht so viele Frauen zu Mördern hin?“

Es sind die Rätsel der Psyche, die Sharon Bolton faszinieren. Ihnen geht die britische Bestsellerautorin in ihrer Krimiserie um Lacey Flint nach und in ihren Stand-Alones: In „Er liebt sie nicht“ befasst sie sich mit dem Phänomen, dass überraschend viele Frauen verurteilten Mördern nahe sein wollen.

Zwei charismatische und geheimnisvolle Persönlichkeiten treffen in dem abgründigen, spannenden Thriller „Er liebt sie nicht“ aufeinander: Maggie Rose und Hamish Wolfe, außergewöhnliche Protagonisten, die in unterschiedlichen Welten leben, die einander aber anzuziehen scheinen.
Maggie Rose ist sehr erfolgreich als Anwältin, aber auch umstritten, weil sie verurteilte und wahrscheinlich schuldige Männer aus dem Gefängnis holt, über ihre Fälle Bücher schreibt und viel Geld mit ihnen verdient. Hamish Wolfe ist ein ehemals angesehener Arzt, der verurteilt wurde, weil er drei, möglicherweise vier Frauen ermordet haben soll. Auch im Gefängnis wird er noch von Fans umschwärmt. Er behauptet, unschuldig zu sein, und will unbedingt, dass Maggie Rose seinen Fall übernimmt. Sie befasst sich längst mit ihm, gibt aber vor, noch zu zögern.

Nicht nur die Geschichte Ihres Thrillers zieht in Bann, die Rätsel um verschwundene Frauen, die schließlich tot in nur schwer zugänglichen Höhlen gefunden werden, und der Tanz zwischen Maggie Rose und Hamish Wolfe, die Anziehungskraft, die sie aufeinander auszuüben scheinen. Auch die Atmosphäre, die Landschaft, in der Ihr Thriller spielt, ist besonders: Somerset im Südwesten Englands. Warum haben Sie diese Region ausgewählt?

Weil sie voller Geschichten und Geheimnisse steckt. Vor allem konzentriert sich der Thriller auf die Gegend um Cheddar Gorge. Das ist eine riesige Felsschlucht, ein System mit Höhlen und unterirdischen Flüssen. Das älteste vollständige menschliche Skelett Großbritanniens, das vermutlich über 9.000 Jahre alt ist – Cheddar Man –, wurde dort 1903 gefunden. Die Arthus-Legende könnten zudem in der Gegend angesiedelt sein. Cheddar Gorge liegt nah bei Glastonbury, von dem viele glauben, dass es der Ort des legendären Camelot ist, und so habe ich einige Verbindungen zu Arthus in meinem Thriller gezogen, und die Höhlen und unterirdischen Flüsse spielen eine Rolle. Allerdings bin ich mehr als nur ein bisschen klaustrophobisch. Die Cheddar-Höhlen zu erforschen, war ziemlich traumatisch!


Mörder-Fanclubs

Im Mittelpunkt steht mit Hamish Wolfe ein Mann, der als Serienmörder verurteilt wurde. Was hat Sie auf die Idee gebracht, diesen Thriller mit ihm als einem der Protagonisten zu schreiben?

Es beschäftigt mich sehr, dass grausame, üble Männer Frauen anziehen, so wie Hamish Wolfe. Er wurde verurteilt, die Frauen müssen also davon ausgehen, dass er ein Verbrecher ist, aber sie sind fasziniert von ihm. Das ist ein reales Phänomen, auf das ich mich beziehe. Warum aber haben Mörder Fanclubs? Warum heiraten sie Frauen, die sie erst im Gefängnis kennengelernt haben? Was zieht so viele Frauen zu Mördern hin? Warum lassen sie ihre Familie und ihr Leben hinter sich, um ihnen nahe zu sein? „Er liebt sie nicht“ war mein Versuch, einige Antworten zu finden.

Die Frauen, die Hamish Wolfe ermordet haben soll, waren übergewichtig. Auch das ist ein Thema, mit dem Sie sich in Ihrem Thriller befassen. Warum ist Ihnen das wichtig?
Ich denke schon lange darüber nach, dass nicht alle Opfer gleich behandelt werden. Wir sagen, dass jedes Leben heilig ist, kümmern uns aber um manche Opfer mehr als um andere. Vor allem um Kinder und Tiere, schöne junge Frauen und liebenswerte alte Damen, überhaupt nicht gern dagegen um Tory-Abgeordnete oder Pädophile. Übergewichtige Frauen sind ebenfalls eher weit unten auf der Liste. So wurde „Er liebt sie nicht“ auch ein Buch darüber, wie Frauen sich selbst wahrnehmen und wie das Urteil
der Gesellschaft das Selbstwertgefühl und das Selbstvertrauen beeinflusst.

Hamish Wolfe spielt eine wichtige Rolle, die eigentliche Hauptfigur ist aber Maggie Rose. Sie haben viel Zeit mit ihr verbracht, als Sie „Er liebt sie nicht“ geschrieben haben. Wie sehen Sie diese Romanfigur?
Sie ist als Anwältin spezialisiert auf Fälle, von denen sie glaubt, dass sie nicht wirklich bewiesen sind, und sucht nach Verfahrensfehlern, um die Verurteilten freizubekommen. Wenn ihr das gelingt, schreibt sie ein Buch über den Fall, das in der Regel zum Bestseller wird. Ich finde sie faszinierend, mag ihre Unabhängigkeit und ihre Intelligenz, ebenso ihre Schonungslosigkeit. Sie hat sehr dunkle Seiten, und ich bin mir nicht sicher, ob ich sie als meine beste Freundin haben wollte. Aber in schwierigen Situationen wäre sie sicherlich eine gute Verbündete.


Heldin mit blauen Haaren

Für Maggie ist nicht entscheidend, ob jemand schuldig ist, sondern ob das Gerichtsurteil über ihn juristisch korrekt ist oder nicht. Sie ist eine Romanfigur und hat eigene Gründe, warum sie so agiert. Wie aber sehen Sie dieses Thema?
Ich sehe es so wie Maggie. Niemand sollte ins Gefängnis gehen, womöglich sogar für lange Zeit, aufgrund eines unsicheren Schuldspruchs. Ich finde die Unschuldsvermutung außerordentlich wichtig. Natürlich ist es frustrierend für Opfer und für die Polizei, wenn Menschen davonkommen, von denen sie berzeugt sind, dass sie furchtbare Verbrechen begangen haben. Aber es muss so sein: Ohne absolut sichere Beweise darf niemand schuldig gesprochen werden.

Maggie ist nicht nur eine außergewöhnliche Persönlichkeit, sie sieht auch besonders aus. Warum sind ihre Haare blau?
Ich habe ein Foto im Internet gefunden, das mich die Zeit über begleitet hat, als ich „Er liebt sie nicht“ geschrieben habe: das Foto einer Frau mit blauen Haaren. Ich finde es wunderschön und könnte mir keine andere Protagonistin als Maggie vorstellen, deren Haar diese Farbe hat. Es macht sie sofort erkennbar und
besonders, für die Leser ebenso wie für andere Romanfiguren. Die Haarfarbe ist allerdings nicht nur ein Spleen von mir. Es gibt auch einen Grund, warum Maggie ihr Aussehen verändern wollte und ihre Haare färbt. Das ist eines ihrer Geheimnisse.

Am Anfang stand ein Foto, daraus ist ein komplexer Thriller geworden. Wie haben Sie die Geschichte um ein Rätsel geschrieben, das sich über viele Jahre aufgebaut und entwickelt hat – haben Sie das alles von Anfang an im Kopf?
Alle meine Bücher beginnen mit einer einfachen Idee. Mit der Zeit kommt eine zweite und dann eine dritte dazu. Wenn ich sehe, wie sich diese drei Ideen verbinden, habe ich meine Geschichte. Ich möchte immer einen Plan haben, so detailliert wie möglich, bevor ich mit dem Schreiben beginne, entferne mich dann aber immer mehr von ihm. Für „Er liebt sie nicht“ sind zwei Geheimnisse entscheidend, ein aktuelles und eines aus der Vergangenheit, und ich brauchte ziemlich klare Vorstellungen von beiden, um die Geschichte schreiben zu können. Aber das ist jedes Mal anders. Ich habe keinen narrensicheren Plan, wie ein Buch sich entwickelt.


Spaziergänge in weiten Landschaften

Sie haben „Er liebt sie nicht“ in den Chiltern Hills geschrieben, wo Sie mit Ihrer Familie leben. Was ist das für eine Gegend?
Die Chiltern Hills sind ein aus Kreide bestehender Hügelzug zwischen Oxford und London im Südosten Englands. Man findet hier ein paar Orte, aber die Gegend ist dünn besiedelt, es gibt vor allem Felder und Wald, man kann wandern und Fahrrad fahren. Ich habe schon in vielen Teilen Großbritanniens gelebt, aber die Chilterns sind schwer zu schlagen.

Sind Sie oft draußen?
Ja, mit unserem Hund Lupe. Bei unseren Spaziergängen bekomme ich viele meiner Romanideen. An der frischen Luft und durch den gleichmäßigen Rhythmus des Gehens fließen die Ideen, und so gehören auch die Felder, Wälder und Obstgärten zu meiner Arbeitsumgebung.

Wo schreiben Sie, wenn Sie dann wieder zu Hause sind?
Wir leben in einem sehr alten Haus, das einmal ein Versammlungsort der Heilsarmee und auch eine Fleischerei war. In der Mitte des Hauses ist eine Galerie im ersten Stock, die keinen wirklichen Zweck hat und trotzdem das Herz des Gebäudes ist. Es ist der Lieblingsort von Lupe, weil sie von dort alles sehen und hören kann, was passiert. Wenn das Haus leer ist, schreibe ich dort.


Schreiben ohne Ablenkung

Was sehen Sie, wenn Sie aus dem Fenster blicken?
Mein Büro ist hell, es hat drei Fenster und Türen, die sich zu anderen Räumen mit Fenstern öffnen, aber ich habe keine Aussicht. Die Fenster sind undurchsichtig oder Oberlichter. Das ist sehr gut für mich. Eine Aussicht würde mich nur ablenken. Aber ich kann meine Umgebung riechen. Im Sommer lasse ich die Fenster offen, und der Geruch von gemähtem Gras, Rosen und Jasmin kommt herein. Mittags kann ich riechen, was das indische Restaurant im Ort kocht. Im Winter zünde ich Kerzen in Duftlampen an, die schon auf Weihnachten einstimmen, Zimt, Apfel, Gewürznelke, Orangen, Kiefer. Das tue ich allerdings
weniger wegen der Atmosphäre. Vor allem geht es darum, den Geruch des nassen Hundefells zu überdecken.

Lupe ist also immer bei Ihnen?
Sie liegt zu meinen Füßen oder auf dem Sofa neben meinem Schreibtisch. Ihre Vorstellung vom Himmel ist, dass ich mich zu ihr setze, um zu lesen, und sie dann stundenlang kraule.

Das alles klingt nach einem stillen Alltag. Brauchen Sie die Ruhe zum Schreiben?
Unbedingt! Ich hasse es, wenn das Telefon klingelt, vor allem morgens, vor allem, wenn jemand mit mir plaudern will. Auch nur ein paar Minuten können mich enorm ablenken – und wer will schon nur ein paar Minuten reden?

Wie sieht für Sie ein perfekter Morgen aus?
Ich kann ungestört schreiben, mich auf mein neues Buch konzentrieren und komme gut voran. Mittags gehe ich dann mit Lupe nach draußen, um neue Ideen zu sammeln.

© Manhattan Verlag 2016. Das Interview führte Sabine Schmidt