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Interview mit Stefanie Mann

8 Fragen an Stefanie Mann

Sie sind „Altenpflegerin aus Leidenschaft“. Was mögen Sie an Ihrem Beruf am meisten?
Stefanie Mann: Es ist zunächst einmal ein sehr abwechslungsreicher Beruf, in dem man viel lernt und sich jeden Tag weiterbildet. Zu einer Berufung wird dieser Job für mich aber durch ganz andere Dinge. Zum Beispiel dass ich immer wieder neue großartige Menschen kennenlerne – und das nicht nur oberflächlich, sondern vielleicht besser als manche anderen Menschen ihre eigene Oma. Wir bauen eine Beziehung auf, werden Freunde. Mit den Bewohnern zu lachen, Witze zu machen, von ihnen geschimpft zu werden und sie selbst zu schimpfen – das ist wie der Austausch in einer großen Familie.
Deshalb macht dieser Beruf auch so glücklich: Nach Hause gehen zu können in dem Wissen, dass man jemandem, den man gerne mag, geholfen hat und dass der alte Mensch gelächelt hat und sich, hoffentlich, wohl fühlt. Das erfüllt mit einer tiefen Befriedigung, die wohl die wenigsten von ihrem Arbeitsplatz mit nach Hause nehmen können.

Sie waren früher Autolackiererin. Möchten Sie nicht manchmal zurück in Ihren alten Beruf?
Stefanie Mann: Das ist eine schwierige Frage, denn natürlich ist – das kann man im Buch auch gut nachlesen – nicht alles eitel Sonnenschein bei uns in der Altenpflege. Wenn du mal wieder den ganzen Tag am Rennen bist und trotzdem das Gefühl hast, dass du nur Dienst nach Vorschrift machen kannst und alles Zwischenmenschliche, die kleinen Scherze, das freundliche Geplauder, auf der Strecke bleibt. Aber in solchen Momenten denke ich eigentlich nie ans Kündigen. Solche Tage sind heftig, aber hier habe ich das Gefühl, dass das einfach mein Beitrag ist, den ich leiste.
Schlimm ist es wirklich, wenn bei der Schichtplanung was schief läuft. Wenn man wieder mal überraschend einspringen oder neun Tage am Stück – auch das komplette Wochenende durch – arbeiten muss. Da fühlt man sich schon ziemlich ausgeliefert und dann geht einem schon manchmal durch den Kopf: „Wäre ich doch im Handwerk geblieben!“ Dann würde ich um 7 Uhr in die Arbeit gehen, um 17:30 Uhr Feierabend machen, am Freitag sogar um 16:00. Und dann ab ins Wochenende und die Ruhe genießen – ohne überraschende Anrufe, ob du nicht noch einspringen kannst.

Welche Beweggründe hatten Sie, Ihren Beruf als Autolackiererin aufzugeben und Altenpflegerin zu werden?
Stefanie Mann: Ich hatte schon während der Schulzeit mit der Altenpflege geliebäugelt und auch ein Praktikum in einem Altenheim absolviert. Und es gefiel mir wirklich sehr gut. Die Altenpflege war mein Plan A. Aber wie es dann so läuft, wurde mir aufgrund meiner Begeisterung für Autos ein Ausbildungsplatz als Lackiererin angeboten. Da konnte ich nicht nein sagen – und hatte wirklich großen Spaß an der Arbeit. Als ich dann nach der Ausbildung leider nicht übernommen werden konnte und ich mir eine neue Stelle suchen musste, stellte sich mir die Frage: „Willst du das dein ganzes Leben machen? Oder willst du vielleicht zurück zu deinem Plan A?“ Und das habe ich dann gemacht.
Als ich dann gerade mit der Ausbildung zur Altenpflegefachkraft begonnen hatte, klingelte das Telefon. Ein anderer Lackierbetrieb war verzweifelt auf der Suche nach einem Gesellen. Ich habe Nein gesagt. Noch einmal wollte ich mein Ziel nicht aus den Augen verlieren.

Im Buch klagen Sie immer wieder darüber, dass wir kein Interesse haben an den alten Menschen in den „Sterbevorbereitungsanstalten“. Schieben wir unsere Alten in die Heime ab? Sollten wir uns besser um sie kümmern?
Stefanie Mann: Nun ja. „Abschieben“ würde ich das nicht nennen bzw. nur in ganz seltenen Fällen. Denn in der Regel haben die alten Menschen, die zu uns ins Heim kommen, vorher allein gelebt. Sie kommen dann zu uns, wenn sie sich nicht mehr selbst versorgen können. Und ich kann dann schon verstehen, dass Kinder ihren kranken Vater oder ihre kranke Mutter nicht bei sich aufnehmen können oder wollen. Ich könnte das, ich habe das gelernt, ich weiß, wie ich pflegen muss, was organisatorisch zu beachten ist. Aber für jemanden, der mit der Pflege nichts am Hut hat, ist das wohl kaum zu bewerkstelligen. Wie will man die eigenen Kinder, die Arbeit mit der 24/7-Versorgung der Mutter unter einen Hut bringen? Daher ist es für mich verständlich, dass man den Vater oder die Mutter ins Heim gibt. Ich würde das nie als „abschieben“ bezeichnen.
Was ist jedoch nicht verstehen kann, ist, wie man dann Vater oder Mutter so völlig aus seinem Gedächtnis streichen kann. Aus den Augen aus dem Sinn. Sie waren ja auch da, als man ein Kind war, und haben sich gekümmert!
Wichtig: Ich spreche hier nicht von schwer dementen Menschen, die die eigenen Angehörigen nicht mehr erkennen, oder von zerrütteten Familien, die schon vor der Erkrankung keinen Kontakt mehr hatten, sondern von ganz normalen Familien, die Weihnachten zusammen gesessen und schön Mutters Weihnachtsgans aufgegessen haben. Es verlangt keiner, dass man jeden Tag nach der Arbeit ins Heim kommt und ein dreistündiges Bespaßungsprogramm durchführt, aber am Wochenende mal vorbei zu schauen, spazieren zu gehen, einen Kaffee zu trinken – das sollte eigentlich schon drin sein. Und wenn man das tut, dann muss man sich auch nicht die Frage stellen ob man Vater und Mutter „abgeschoben“ hat.

Pflegenotstand, Gewalt im Heim, ein Leben auf den Tod hin. Ist das Thema nicht zu ernst, sind die Enthüllungen, die in anderen Büchern, in Fernsehreportagen präsentiert werden, nicht zu schrecklich, um lustig über das Leben im Altenheim zu schreiben?
Stefanie Mann: Natürlich liegt einiges im Argen. Viele dieser Berichte sind brutal ehrlich und zeigen knallhart die schlimme Seite der Pflege auf. Ich wollte aber in diesem Buch zeigen, dass es auch eine andere Seite gibt. Dass man sehr wohl auch mal lachen kann in diesem Beruf, dass er trotz Überstunden, trotz spontanem Einspringen, trotz Wochenend- und Feiertagsdienst schön und erfüllend sein kann, in der Altenpflege zu arbeiten.
Mir war es wichtig zu zeigen, dass der Alltag im Heim in der Regel schon ein ganz anderer ist als der, der uns in den Medien immer wieder präsentiert wird. Wir Altenpfleger sehen den Mensch nicht als Ware, sondern lieben es, uns um die Alten unserer Gesellschaft zu kümmern. Im Miteinander mit den Alten spielen viele der großen Dinge, die schief laufen, gar keine Rolle mehr. Ich versuche, trotz schwieriger Rahmenbedingungen meine Leute glücklich zu machen und so auch selbst bei der Arbeit Spaß zu haben

Was meinen Sie, muss sich ändern, damit sich die Situation in den Altenheimen bessert?
Stefanie Mann: Es müssen mehr Pflegekräfte für weniger Bewohner verantwortlich sein. Dafür muss sich der Pflegeschlüssel ändern. Die Vorgaben gehen häufig völlig an der Realität vorbei. Es wird darauf vertraut, dass schon Leute da sind, die sich den Hintern aufreißen – aber die gelangen irgendwann einfach an ihre Grenzen und können nicht mehr.
Doch um den Pflegeschlüssel verbessern zu können braucht es zweierlei: mehr Geld und mehr Menschen, die diesen Beruf ausüben wollen. Wie viel Geld in den Pflegekassen ist, wie wir hier – auch in den nächsten Jahren und Jahrzehnten – die Versorgung der Alten finanzieren wollen, das weiß ich nicht. Aber ich weiß, wie wir wieder mehr Leute für den Beruf des Altenpflegers begeistern können: durch bessere Bezahlung, faire Arbeitszeiten und mehr Anerkennung in der Gesellschaft. Denn wer will schon einen schlechtbezahlten Job, mit dem man bei den Kumpels nur als „Der Hinternabwischer“ gilt?

Was sind die Ihrer Meinung nach wichtigsten Eigenschaften, die einen Menschen für den Pflegeberuf qualifizieren?
Stefanie Mann: Kurz und knapp: körperliche und psychische Belastbarkeit.
Ich hatte einmal einen Schrittzähler in der Arbeit dran. An einem Tag läuft ein Altenpfleger 10 bis 17 Kilometer. Er hebt jeden Tag Hunderte von Kilogramm. Ich habe einen Kalorienbedarf wie ein Bauarbeiter. Und mit einem entspannten 5-Tage-die-Woche-Job hat das Ganze natürlich auch nicht viel zu tun. Da kann es zu Hochzeiten schon mal vorkommen, dass du auch zehn Tage durcharbeitest. In diesem Job gehst du an deine körperlichen Grenzen, deshalb musst du topfit sein.
Und auch psychisch ist der Job eine Herausforderung. Teamfähig, geduldig, kommunikativ, einfühlsam – alles im Grunde Merkmale einer eher sensiblen Persönlichkeit – all das sollte man schon sein. Andererseits ist es extrem wichtig, ein dickes Fell zu haben und sich von den Härten des Alltags nicht unterkriegen zu lassen. Oder auf jeden Fall immer wieder aufzustehen.
Der Job ist hart, aber, ich habe es ja schon erwähnt, die Belohnung ist ungleich größer und unmittelbarer, als man sie aus anderen Berufen kennt.

Was wollen Sie mit diesem Buch erreichen?
Stefanie Mann: Ich will zeigen, wie erfüllend es ist, mit alten Menschen zu arbeiten, damit sich möglichst viele Menschen für diesen eigentlich großartigen Beruf interessieren. Und ich will zeigen, wie viel wir alle auch von den Alten lernen können. Wir müssen sie wieder in unser Leben zurückholen. Damit meine ich nicht, dass wir Oma und Opa wieder selbst zu Hause pflegen – aber wir dürfen sie nicht vergessen, nicht außen vor lassen. Schon aus dem ganz pragmatischen Grund, dass wir auch irgendwann selbst mal alt sein werden und dann anders behandelt werden möchten. Doch vor allem weil man durch den Austausch mit alten Menschen die Welt noch einmal mit ganz anderen Augen betrachtet.
Und auch wer noch keine alten Verwandten hat – oder keine mehr: Ist Ihr alter Nachbar vielleicht letztes Jahr ins Heim gezogen? Besuchen Sie ihn doch mal. Es kostet Sie eine Stunde. Und Sie werden so viel dadurch gewinnen.