Sie haben sich erfolgreich zum "Mein Buchentdecker"-Bereich angemeldet, aber Ihre Anmeldung noch nicht bestätigt. Bitte beachten Sie, dass der E-Mail-Versand bis zu 10 Minuten in Anspruch nehmen kann. Trotzdem keine E-Mail von uns erhalten? Klicken Sie hier, um sich erneut eine E-Mail zusenden zu lassen.

Sebastian Stuertz im Interview zu seinem Roman "Da wo sonst das Gehirn ist"

Sebastian Stuertz
© Tara Wolff
Bei DA WO SONST DAS GEHIRN IST steht mit Alina Beinert eine Siebzehnjährige im Zentrum des Geschehens. Warum schon wieder eine jugendliche Hauptfigur?

Aus der Sicht der Erwachsenen wird die eigene Jugend oft verklärt, mit Sehnsucht aufgeladen, nicht wenige wünschen sich die vermeintlich sorglose Zeit zurück und hadern mit dem Alter. Dabei verdrängen viele, dass die Adoleszenz – das "Coming of Age" – auch mit großen Schmerzen verbunden war. Vieles, was zum Erwachsensein dazugehört, erlebt man in der Jugend zum ersten Mal und scheitert dabei immer wieder: Liebe, Sex, Partnerschaft, Alkohol und andere Drogen – so viele Fehler, aus denen man lernen muss! Sich häuten, experimentieren – da liegt einfach eine Menge Potenzial für Geschichten, wie ich sie liebe: Spaß, Euphorie, Rausch, aber immer wieder auch bittere Momente, Peinlichkeiten und große Traurigkeit. Als Vater von Kindern im Alter von Alina ist es sehr hilfreich, dass ich nun beide Seiten der Medaille kenne und gleichzeitig lebende "Studienobjekte" in meiner direkten Nähe habe. Und eigentlich ist die Frage auch nicht ganz korrekt: Schließlich gibt es mit Beat Brendel auch eine erwachsene Hauptfigur, und die teilweise ziemlich dunklen Probleme der Elterngeneration spielen in meinem neuen Roman eine ebenso große Rolle. Das unterscheidet ja den Coming-of-Age-Roman vom Jugendbuch: Der reifere Blick auf die Jugend und die komplexeren Erwachsenenfiguren.

Also ist das Buch nichts für Jugendliche?

Doch, unbedingt! So wie viele Erwachsene gerne mal zum Jugendbuch greifen, lesen Jugendliche ja auch "richtige" Literatur. Ich habe zudem extra ein "Juniorlektorat" bemüht, damit es nicht peinlich wird. Schließlich wird im Buch Jugendsprache benutzt und per Chat kommuniziert, also hat eine ganze Truppe junger Leser:innen aus dem Freundeskreis meines Sohnes das Manuskript probegelesen und die PDFs mit Kommentaren versehen zurückgeschickt. Ein Traum – und enorm hilfreich. Meine Lieblingskommentare waren "‘Duckface‘ ist 2013" und "The struggle is real", als Alina mit 4% Akku unterwegs ist und verzweifelt eine Steckdose sucht. Und Kommentare wie "geht mir genauso" oder "so würde ich das meiner Mutter auch erklären" haben mich tatsächlich total stolz gemacht. Es ist ja nichts peinlicher, als Literatur, die daran scheitert, Jugend authentisch abzubilden. Und meine jungen Testleser:innen haben sich gut abgeholt gefühlt oder sogar das erste Mal ihre Lebensrealität in einem Buch kennengelernt.

Bei DAS EISERNE HERZ DES CHARLIE BERG und auch bei RUSLAN AUS MARZAHN dreht sich alles um eine ziemlich verrückte Künstlerfamilie. Wie ist das im neuen Buch?

So wie bei CHARLIE und RUSLAN ist auch beim GEHIRN (wie es intern heißt) die Familie das zentrale Thema, und ja, auch Alinas Eltern sowie die Eltern eines Freundes arbeiten beispielsweise als Clown, als Musikproduzent, Malerin oder Literaturkritiker. In Alinas Umfeld gibt es Leute, die Comics zeichnen, Platten veröffentlichen oder an einem Roman arbeiten, und auch Alina hat – neben dem Programmieren – das Schreiben für sich entdeckt.

Und warum immer wieder verrückte Familien?

Fast jeder Mensch hat eine Familie – und wer keine hat, wünscht sich wohl eine. Familie ist einfach alles: Sicherheit, Horror, Heimat, Terror, Vertrautheit, Generve – also in der Anlage schonmal ziemlich verrückt. Ich verstehe nicht, wie man überhaupt ein Buch schreiben kann, in dem Familie (oder die Abwesenheit von Familie) nicht das zentrale Thema ist. Ich jedenfalls lese am liebsten Familiengeschichten, und am liebsten solche mit leicht maladen Figuren oder ungewöhnlichen Konstellationen. Außerdem ist es meine Lebensrealität.

Kommen Sie selbst aus einer Künstlerfamilie?

Nein, das leider nicht … aber ich habe eine gegründet: meine Frau ist Fotografin, meine Söhne machen beide Musik. Außerdem arbeitet mein gesamter Freundeskreis in der Literatur, beim Theater, beim Film oder macht Musik oder Mode. Ich kenne fast nichts anderes – mir kommen sogenannte "normale" Berufe deshalb wesentlich verrückter vor.

Die Geschichten von CHARLIE und RUSLAN sind sehr humorvoll. Wie wichtig ist Ihnen Humor – und wie ist das beim GEHIRN?

Mit der Romanidee zu CHARLIE habe ich ganz zu Beginn mal an einer "Pitching Session" auf einer Autor:innenmesse teilgenommen. Da war ich zunächst etwas irritiert, weil die anwesende Literaturagentin und die anderen Autor:innen die ganze Zeit gekichert und an einigen Stellen sogar laut gelacht haben. Mir war das anfangs wirklich nicht klar, dass das, was ich schreibe, für andere Leute lustig ist. Bei RUSLAN – klar, da habe ich es dann darauf angelegt, aber selbst in dieser auf Punchline geschriebenen Comedy-Mini-Serie wird gestritten und brutal gestorben. Und so ist es auch beim GEHIRN: Es gibt ein einigermaßen beklopptes Personal und bizarre Situationen, über die hoffentlich einige lachen können – aber die dunklen Momente kommen auch nicht zu kurz. Helge Schneider hat mal gesagt: "Das Lachen und das Weinen kommen doch aus derselben Fabrik." Ich möchte hinzufügen: Ein Lachen lohnt sich doch erst richtig, wenn man vorher weinen durfte – so wie der erste warme Tag im Frühling nach einem strengen Winter viel intensiver erlebt wird als alle anderen Frühlingstage danach. Mit reinem Trauerkitsch à la Lars von Trier kann ich einfach nichts anfangen, und ebenso brauche ich bei lustigen Büchern oder Filmen auch immer wieder mal einen Schlag in die Magengrube, um danach um so befreiter auflachen zu können. Und manche Dinge im Leben sind einfach so absurd traurig, dass nur Galgenhumor hilft.

Da wo sonst das Gehirn ist

(8)
€ 22,00 [D] inkl. MwSt. | € 22,70 [A] | CHF 30,50* (* empf. VK-Preis)
In der Buchhandlung oder hier bestellen
Weiter im Katalog: Zur Buchinfo