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Melina Royer im Interview

Frau Royer, Sie haben sich lange Zeit als schüchternsten Menschen auf dem Planeten bezeichnet. Jetzt haben Sie ein Buch geschrieben und gehen damit an die Öffentlichkeit. Wie geht es Ihnen damit?
Nur weil ich inzwischen mit meiner Schüchternheit umgehen kann, heißt das nicht, dass ich nun das Rampenlicht suche. Die Öffentlichkeit ist nicht gerade mein natürlicher Lebensraum. Ich hatte das Gefühl, dass es mit der Schüchternheit vielen so geht wie mir. Wenn meine Erfahrung zu diesem Thema auch nur einem einzigen Menschen den Mut gibt, aus sich herauszugehen, dann ist es mir das wert.

An wen richtet sich Ihr Buch?
Mein Buch richtet sich an Menschen, die ein selbstbestimmtes Leben führen wollen ohne länger von ihren Ängsten beherrscht zu werden. Deswegen sind in meinem Buch viele kurze Übungen enthalten, die dabei helfen sich ein neues Denkmuster anzueignen. Vor allem bei jungen Frauen beobachte ich ganz häufig, dass sie unter der Angst leiden, von anderen zurückgewiesen zu werden, wenn sie mehr von sich zeigen würden. Das erzeugt sehr großen Leidensdruck.

Jeder zehnte Deutsche ist laut Studien von Schüchternheit und sozialer Phobie betroffen. Erkennen Sie andere Betroffene, wenn Sie sie treffen?
Oft, aber nicht immer. Man steckt Menschen viel zu schnell in eine Schublade.
Manchmal vermutet man zu Unrecht Schüchternheit bei einer Person, die eigentlich nur introvertiert ist. Introvertierte wirken manchmal still und in sich gekehrt. Aber das heißt noch lange nicht, dass sie Angst vor Zurückweisung haben oder sich ausgegrenzt fühlen. Sie beobachten einfach nur gern und das ist völlig normal. Es braucht also manchmal sehr persönliche Gespräche, bis man herausfindet, wie ein Mensch wirklich tickt.
Wer ein gutes Auge hat und aufmerksam beobachtet, findet aber Anhaltspunkte: Viele Schüchterne lassen sich leicht aus dem Konzept bringen, sind unsicher im Auftreten und meiden häufig den Blickkontakt mit anderen.

In Ihrem Buch schreiben Sie, dass selbst telefonieren, einkaufen oder Freude treffen für Sie zum Albtraum wurde. Geben Sie uns einen kurzen Einblick. Was ist typisch für den Alltag eines Schüchternen?
Viele Dinge, die eigentlich zu den selbstverständlichsten Tätigkeiten gehören sollten, können für einen Schüchternen zum Stresstest werden.
Ich fand es früher schon schrecklich zum Bäcker zu gehen – da muss man schließlich mit Menschen reden! Statt einfach zu tun, was alle tun, stellte ich mir Fragen wie: „Habe ich etwas Komisches im Gesicht? Was ist, wenn ich wieder zu leise rede? Bin ich nicht total peinlich?“
Beim Shoppen gehen konnte es schon einmal vorkommen, dass ich nach 20 Mal um die Regale schleichen einfach wieder gegangen bin, weil ich mich nicht getraut habe, eine Verkäuferin anzusprechen und nach Hilfe zu fragen. Nach solchen Ereignissen fühlt man sich völlig lebensunfähig und zieht sich immer mehr zurück.

Sie sagen sogar: „Die Schüchternheit hat während der vergangenen zwei Jahrzehnte meines Lebens großartige Arbeit dabei geleistet, sich zwischen mich und meine Ziele zu stellen.“ Haben Sie ein Beispiel für uns?
Oh ja, einige. Ich habe in der 13. Klasse die Schule abgebrochen – wenige Monate vorm Abitur. Ich hatte Angst zur Schule zu gehen. Meine Angst anders zu sein und deshalb bloßgestellt zu werden war übermächtig.
Dieses Erlebnis ist natürlich lange her, aber es ging ja so weiter: In Vorstellungsgesprächen konnte ich mein Gegenüber kaum ansehen. Später im Job war ich dann zu ängstlich, bei Kleinigkeiten kurz Rücksprache per Telefon zu halten oder den Mund aufzumachen, überforderte mich. Das ist wirklich frustrierend und man bleibt einfach in seiner Entwicklung stecken. Wer kann mir schon Verantwortung übertragen, wenn ich nicht einmal mit einem Kunden reden kann?

Hat man es als schüchterner Mensch schwerer, Freunde oder einen Partner zu finden?
Schwerer als extrovertierte oder nicht-schüchterne Menschen auf alle Fälle! Das betrifft nicht nur jüngere Menschen. Ich kenne auch Personen, die sich im mittleren Lebensabschnitt befinden und immer noch darunter leiden, dass sie nicht auf andere zugehen können. Und selbst, wenn man dann neue Leute kennenlernt – wie schafft man es als Schüchterner, den Kontakt zu halten und dann auch mal von sich zu erzählen? Das ist eine riesige Herausforderung!

Was ist als Freund/in oder Partner/in wichtig im Umgang mit einem schüchternen Menschen?
Zu Beginn ist es wichtig, ruhige Situationen zu schaffen, in der man der Person die volle Aufmerksamkeit schenken kann. Schüchterne Menschen haben oft ein reiches Innenleben, über das sie dann sprechen. Aufrichtiges Interesse zeigen, zuhören und nicht vorschnell urteilen, wenn sich der Schüchterne zurückzieht, sind wichtige Hilfen. Eine Party mit 20 Anwesenden ist also erstmal völlig ungeeignet.


Wie haben Sie es geschafft, die Kontrolle über Ihre Schüchternheit zu gewinnen?
Ich liebe das Motto „failing forward“. „Failing forward“ bedeutet „Misserfolge bringen mich nach vorne“. Diese Einstellung erlaubt einem, Scheitern anders zu betrachten. Man nimmt dadurch besser wahr, dass schwierige Phasen notwendiger Teil eines größeren Ziels sind. Diesem kommt man trotzdem näher, da man an Erfahrung gewinnt. Misserfolge sind nicht nur Teil eines Lernprozesses, sie sind Teil des Erfolges.
Ich habe mir vorgenommen, in kleinen, zumutbaren Schritten mehr aus mir herauszukommen und frage mich zum Beispiel bei jeder neuen Situation: „Ist das eine Gelegenheit zu wachsen und anderen etwas zu geben?“ Das ist mein persönliches Warum.

Was können Sie aus Ihrer Erfahrung anderen Schüchternen raten?
Viel, viel mehr mit anderen über die eigene Wahrnehmung reden! Ja, es fällt schwer, das ist mir bewusst. Aber Außenwahrnehmung und innere Wahrnehmung klaffen bei Schüchternen meilenweit auseinander. Man steckt in seinem eigenen Kopf fest und lässt sich von seinem inneren Kritiker herunterputzen. Immer, wenn ich es geschafft habe, mit einer vertrauten Person über meine Eindrücke zu sprechen, stelle ich fest, dass meine eigene Wahrnehmung sich kaum mit den Eindrücken anderer deckt.
Eine wichtige Hilfe ist regelmäßiger Sport: Man wird stressresistenter und kann sich besser auf neue Situationen einstellen.
Eine Studie der Charité Berlin zeigt, dass Bewegung bei vielen Patienten mit einer Angststörung sogar ebenso hilfreich sein kann wie eine Verhaltenstherapie und dass Sport die Freisetzung von Stresshormonen verringert.

2014 haben Sie Ihren Blog Vanilla Mind gegründet. Worüber schreiben Sie dort und welche Leser möchten Sie erreichen?
Auf Vanilla Mind spreche ich über den inneren Prozess, sich mehr zuzutrauen und teile Schritt-für-Schritt-Anleitungen, die ich selbst ausprobiert habe, um meine Komfortzone zu erweitern. Vor allem im Job können Schüchterne schnell abgehängt werden, weil sie nicht zeigen, was für Stärken und Fähigkeiten sie eigentlich haben. Das ist schade, weil es Freude macht, sich für andere einzusetzen und einen Beitrag zu leisten. Meine Leser teilen mir mit wie hilfreich es für sie ist, dass ich vieles einmal offen ausspreche, was an Hemmungen und Barrieren in vielen Köpfen.

Durch Ihren Blog und die Sozialen Medien stehen Sie in der Öffentlichkeit und geben viel von sich preis. Stoßen Sie manchmal auf Unglauben, dass Sie wirklich schüchtern sind?
Ständig! Wenn ich einen Artikel über Schüchternheit auf dem Blog veröffentliche, heißt es „Du und schüchtern? Never!“ Was viele nicht wissen: Ich kann mich schriftlich viel besser ausdrücken, da fällt es mir leichter, ich zu sein. Schreiben ist überhaupt eine gute Möglichkeit, zu reflektieren und besser mit seiner Umwelt zurecht zu kommen.

Was macht Melina Royer in 10 Jahren?
Das Schöne ist, dass ich durch unsere Arbeit gelernt habe, mit einer ungewissen Zukunft entspannter umzugehen – und Dinge, die ich nicht beeinflussen kann, sollten mich erst recht nicht unruhig machen. Ich konzentriere mich nur auf das, was ich tatsächlich verändern kann und das bin ich selbst.

Weitere Infos finden Sie unter: www.vanilla-mind.de

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