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Heiner Koch: zu Gott ums Eck

Heiner Koch: Zu Gott ums Eck. Wie Kirche zu den Menschen kommt

Glaube und Zweifel

Die eindrucksvollste Taufe, die ich in Ostdeutschland bislang gespendet habe, war die einer alten Frau. Niemand in ihrer Familie war getauft. Ich lernte sie beim Besuch in einem unserer katholischen Seniorenheime kennen. Sie saß im Rollstuhl und ich setzte mich zu ihr. So unbeweglich sie körperlich war, so erstaunlich beweglich war sie in ihren Gedankengängen. Sie erzählte mir, dass sie in ihrem hohen Alter ja nun sicherlich in der Nähe des Todes stehe und sich jetzt bemüht habe, alles abzuschließen, was noch zu regeln und zu erledigen sei. Aber je mehr sie damit vorangekommen sei, umso größer sei eine Frage in ihr geworden: »Ob es wohl wirklich stimmt, dass es keinen Gott gibt? Hätten die, die mich erzogen und geprägt haben, beweisen können, dass es kein Leben nach dem Tod gibt? Woher kommt diese Sicherheit, dass mit dem Tod wirklich alles aus ist?«

Sie sagte, sie habe immer mehr den Eindruck, dass jene sicheren Gottlosen ihre Unsicherheiten in diesen Grundfragen des Lebens gleichsam übertünchten, indem sie behaupteten, der Glaube an ein ewiges Leben sei doch nur eine billige Vertröstung. Mit ihrem Ehemann habe sie nie über diese Frage gesprochen: »Aber kurz vor seinem Tod hat er mich plötzlich gefragt: Ob wir uns nicht vielleicht doch nach dem Tod wiedersehen?« Das habe sie völlig verwirrt. Sie habe auch keine Antwort gewusst: »Aber seitdem lässt mich die Frage nicht mehr los.« Deswegen sei sie im Seniorenheim aus Unsicherheit und Neugierde in den Gottesdienst gegangen, was ihr früher nicht im Traum eingefallen wäre. Sie führte viele Gespräche mit dem Pfarrer und mit christlichen Mitbewohnern. Beim Ostergottesdienst sei dann plötzlich der Funke übergesprungen: »Da habe ich beschlossen, das mit Jesus einfach einmal ernst zu nehmen.«

Seitdem sei sie Schritt für Schritt zum Glauben gekommen und sei sich ziemlich sicher, dass Jesus wirklich da sei und auch mit ihr gehe. »Aber«, so sagte sie mir, »ganz sicher bin ich mir eben noch nicht, deshalb zögere ich, mich taufen zu lassen.« Wir haben uns noch einmal getroffen und ich habe ihr von meinen Unsicherheiten und Zweifeln im Laufe meines Lebens erzählt. Und von den Zweifeln der Apostel in ihren Begegnungen mit Jesus, von den Unsicherheiten großer Heiliger. Ich sagte ihr: »Wir alle können nur mit diesen Zweifeln als Menschen den Sprung des Glaubens wagen.« Kurze Zeit später rief sie mich an: »Können Sie mich taufen?«

Zu ihrer Taufe lud sie all ihre Kinder, Enkel und Urenkel ein, allesamt konfessionslos. Sie erzählte uns am Beginn des Gottesdienstes, warum sie sich im hohen Alter zu dieser Wende entschlossen hatte. Sie erzählte, wie sie auf die Spur Jesu Christi gekommen war, wie sie seine Nähe erfuhr und was es ihr bedeutete, von ihm getragen und geführt zu sein. Ihre Familie sagte mir im Gespräch, sie könne den Schritt der alten Dame nicht verstehen und nicht nachvollziehen. Und doch blieben sie achtungs- und hochachtungsvoll und gespannt vor der Entscheidung der von ihnen hoch geschätzten Mutter stehen. »Das war ein großer Sprung«, sagte einer ihrer Söhne. Und ein Enkel ergänzte: »Dass unsere Oma in ihrem Alter noch einen so mutigen Schritt wagt, hätte ich ihr nie zugetraut.«

Ja, sie war mutig und entschlossen.

Was ist schon normal? Die späte Taufe der alten Dame Mut zur Veränderung Neugierig geworden?