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Gianrico Carofiglio - In freiem Fall

SPECIAL zu Gianrico Carofiglio

Gianrico Carofiglio: Mafiajäger und Bestsellerautor

Interview von Ute Rosenzweig, März 2008

Viele Jahre lang hat er als Staatsanwalt die Mafia gejagt, dann schrieb er Romane über die Mafia. Wir sprachen mit dem italienischen Bestsellerautor Gianrico Carofiglio, u.a. über sein Buch „Das Gesetz der Ehre".

Schon als Kind haben Sie davon geträumt, Schriftsteller zu werden. Ein Traum, der sich mehr als erfüllt hat. Wie hat sich Ihr Leben verändert?

Mit dem Erfolg habe ich mich auf einmal in einem Mechanismus befunden, den ich vorher gar nicht kannte: Lesungen, Auftritte im Fernsehen und im Radio. Dieser Medienrummel ist unterhaltsam, aber auch gefährlich, wenn er zum Selbstzweck wird. Menschen erkennen dich, sprechen dich an. Gewöhnlich sind das Leser, denen deine Bücher gefallen haben. Das führt leicht zum Eindruck, dass das, was du schreibst, allen gefällt. Wenn man hier nicht sehr vorsichtig ist, riskiert man leicht, die Bodenhaftung zu verlieren. Aber wenn man versteht, wie das Ganze funktioniert, kann man sich die schönen und unterhaltsamen Seiten herauspicken und jene giftigen vermeiden.

Im „eigentlichen" Leben waren Sie viele Jahre Antimafia-Staatsanwalt. Sind das Schreiben und die Rechtswissenschaft Gegensatz oder gegenseitige Inspiration?

Für mich sind es zwei separate Aufgaben, die mir beide auf ihre Weise gefallen. Allerdings gibt es auch Überschneidungen: Meine Erfahrungen als Staatsanwalt fließen in meine Geschichten ein. Und das Schreiben kann einen positiven Einfluss auf die Justizarbeit haben.

Was genau meinen Sie damit?

Zum Beispiel ein höheres Bewusstsein für Sprache. Juristen sprechen eine unverständliche Sprache, einen Jargon, der andere Menschen ausschließt und nicht auf Kommunikation abzielt. Wenn einer gleichzeitig Richter und Autor ist, wird ihm das natürlich schneller bewusst, und er kann es leichter vermeiden.

Seit Ihrem großen Erfolg als Schriftsteller könnten Sie sich eigentlich erlauben, die Arbeit in der Justiz an den Nagel zu hängen.

Seit einiger Zeit arbeite ich ja nicht mehr im Gericht. Ich bin inzwischen Berater der parlamentarischen Antimafia-Kommission in Rom. Klar, theoretisch könnte ich es mir auch erlauben, wie Sie es ausdrücken, nur noch zu schreiben. Aber ich denke, dass es einem hilft, das Gleichgewicht zu halten, verschiedene Aufgaben im Leben zu haben. Und wenn es möglich ist, würde ich das in Zukunft gern so beibehalten.

Was genau machen Sie in der Antimafia-Kommission, und was möchten Sie bewegen?

Wir analysieren das Phänomen Mafia in seiner Globalität und versuchen, über mögliche Lösungsstrategien nachzudenken. Im Moment befassen wir uns zum Beispiel mit neuen und besseren Techniken, mit denen man den Mafiosi ihre finanzielle Grundlage entziehen könnte. Und wir beschäftigen uns mit dem sehr schweren Problem des Menschenhandels. Ein Problem, das natürlich nicht nur in Italien, sondern weltweit besteht. Ich bin überzeugt von dem, was Falcone immer gesagt hat.

Giovanni Falcone, Richter und Symbolfigur im Kampf gegen die Mafia, der 1992 von der Mafia getötet wurde …

Falcone sagte: Die Mafia ist ein menschliches Phänomen, sie hat einen Anfang, und sie wird ein Ende haben. In diesem Sinn arbeite ich dafür, dass das Ende eintritt.

Bis vor wenigen Jahren konnten Sie ohne Begleitschutz nicht einmal das Haus verlassen. Wie haben Sie diese Zeit der ständigen Bedrohung durch die Mafia erlebt?

Das ist ja nun schon einige Zeit her. Ich denke, man gewöhnt sich an alles. Ich habe das damals nicht dramatisiert und werde das im Nachhinein sicher auch nicht tun. Das gehörte einfach zu meiner Arbeit.

In ihren Romanen thematisieren Sie aktuelle gesellschaftliche Probleme wie die schwierige Situation der Immigranten oder das Phänomen Stalking. Mit welcher Motivation?

Es ist nicht so, dass ich beim Schreiben schon plane, etwas zu einem bestimmten Thema zu sagen. Wenn ich mit einem Roman beginne, habe ich Lust, eine Geschichte zu erzählen. Auf der anderen Seite ist es unausweichlich, wenn man eine Geschichte erzählen möchte, die einem am Herzen liegt, dass man seine Leidenschaften und seine Moralvorstellungen mit einbringt. Die Tatsache, dass ich über soziale Themen schreibe, ist eine Konsequenz daraus, dass ich ehrlich schreibe, und versuche, aus mir selbst zu schöpfen.

Das Thema Mafia haben Sie aber erst in Guerrieris drittem Fall „Das Gesetz der Ehre" angeschnitten.

In der Tat bin ich eben nicht daran interessiert, über etwas zu schreiben, was mit der Mafia zu tun hat. Mehr als irgendwelche Phänomene interessieren mich meine Figuren. Ich will Geschichten über Personen erzählen. In meinem aktuellen Roman ist es eben passiert, dass die Geschichte das Thema Mafia berührt.

Ihre Romane erfreuen sich in vielen Ländern großer Beliebtheit. Inwiefern tragen Sie mit Ihren Büchern zum Bild des heutigen Italiens bei?

Ich weiß nicht, ob das so ist, aber es würde mir auf jeden Fall gefallen. Wie schon gesagt, schreibe ich keine Geschichten mit einem bestimmten Ziel, etwa Italien zu repräsentieren. Ich schreibe, weil es mir Spaß macht, Geschichten zu erzählen. Wenn diese Geschichten, die Figuren oder der Ort, an dem sie spielen, die Leser in anderen Ländern neugierig machen und wenn sie dazu beitragen, bestimmte Mythen und Klischees über mein Land zu relativieren, dann freut mich das.

Sie definieren die Guerrieri-Romane als einen Entwicklungsroman mit mehreren Kapiteln. Haben Sie selbst eine Entwicklung als Autor vollzogen?

Ja, meine Guerrieri-Romane sind eigentlich drei Makro-Kapitel eines Makroromans. Natürlich hoffe ich, dass ich auch selbst eine Entwicklung durchlaufen habe. Es wäre schrecklich, wenn nicht. Allerdings steht diese Beurteilung meinen Lesern zu, nicht mir.

Was dürfen wir von Guido Guerrieri noch erwarten?

Im Moment stehen andere Dinge auf meiner Agenda. Aber ja, es gibt bereits eine neue Guerrieri-Geschichte, die erzählt werden will. Mir gefällt es, Geschichten zu schreiben, die von Veränderung und Transformation handeln. Und genauso eine Geschichte über Guerrieri habe ich schon im Kopf.

Das Gespräch führte Ute Rosenzweig
© BeNet Gütersloh, März 2008