Fragen an den Autor Dr. Gerhard Trabert
Warum haben Sie das Buch Der Straßen-Doc geschrieben?
Es ist eine Hommage an Menschen die am Rande unserer Gesellschaft leben. Ich durfte so viele ausgegrenzte Menschen kennenlernen mit ihren individuellen Lebensgeschichten, Schicksalsschlägen und ihrer Kreativität und Kraft dennoch weiterzuleben. Viele schenkten mir ihr Vertrauen und es entstand Beziehung auf einer sehr authentischen Ebene. Ich habe in all diesen Jahren von diesen mir so vertraut gewordenen Frauen und Männern sehr viel gelernt. Die Betroffenen selbst werden oft nicht gehört, wirklich wahrgenommen, es wird ihnen kein Raum der Selbstdarstellung gegeben, dies möchte ich quasi stellvertretend mit diesem Buch ermöglichen. Das der Leser diese, an den Rand dieser Wohlstandsgesellschaft gedrängten und damit ausgegrenzten Menschen in ihrer Individualität, in ihrer Einzigartigkeit, auch in ihren Schwächen und Stärken ein wenig besser kennenlernt. Wenn hierdurch die Sensibilität und das Bewusstsein der extremsten Form von Armut in unserer Gesellschaft, von Wohnungslosigkeit, gegenüber erhöht wird, wäre dies das Erreichen eines wichtigen Zieles dieses Buches.
Ihr Buch ist ein Plädoyer gegen bürgerliche Gleichgültigkeit - Inwiefern haben wir Gleichgültigkeit entwickelt?
Was ist es? Gleichgültigkeit, Ignoranz, vielleicht aber auch Angst vor Nähe zu Menschen die in Armut leben. Ich weiß nicht wirklich was die Ursachen für dieses Verhalten sind. Eine mögliche Begründung könnte aber die Angst vor dem eigenen individuellen sozialen Abstieg sein. Viele Menschen in unserer reichen Gesellschaft haben dies temporär oder auch andauernd schon erfahren. Es kann sehr schnell jeden von uns treffen, es gibt keine absolute ökonomische Sicherheit mehr und ich als Individuum, kann alles richtig machen und dennoch von Armut betroffen sein. Und eventuell auch Entscheidungsfehler zu begehen, ist eben auch etwas das zum Menschsein gehört. Unsere Gesellschaft ist sozial ungerecht, Armut verfestigt sich und der Reichtum nimmt auf der anderen Seite dieser, unserer Gesellschaft zu. Ich mache allerdings auch die Erfahrung, dass die Bürger wesentlich sensibler dieser Ungerechtigkeit und den davon betroffenen Menschen gegenüber eingestellt sind, als viele politische und wirtschaftliche Entscheidungsträger. Jedes Leben ist wertvoll und darf nicht nach Leistungs- und Produktivitätskriterien beurteilt werden. Wir benötigen eine Schulterschlussgesellschaft und keine Ellenbogengesellschaft! Eine Demokratie in der Banken gerettet werden, aber nicht mehr von Armut betroffene Menschen, ist eine kranke Demokratie.
Gibt es eine besonders berührende Geschichte, die in Ihrem Buch erzählt wird?
Es fällt mir schwer eine Geschichte herauszustellen. Nein, es sind gerade die vielen berührenden, und gerade auch mich beim Schreiben dieses Buches immer wieder emotional betroffen machenden Schicksale. Da ist Heidrun, die nach sexuellen Missbrauchserfahrungen als Kind, einer Suchterkrankung, den Erfahrungen in der Armutsprostitution, den Weg zurück in ein „normales“ Leben fand. Da ist der Fremdenlegionär, der das als Soldat erlebte nicht mehr vergessen konnte. Da ist Wolfgang, der in seinem über 80-Jährigen von vielen Schicksalsschlägen geprägten Leben, trotz allem eine Ruhe und Zufriedenheit ausstrahlt, die jeden Besuch bei ihm zu einer kurzen Wellness-Einheit für die Seele für mich werden lässt. Da ist der syrische Vater, der mir von dem Schicksal seines schwerverletzten Sohnes erzählt, und meine Betroffenheit erkennend, mich mit den Worten tröstend in den Arm nimmt: „Danke, Doktor, dass du mir zugehört hast!“ Da ist die Geschichte von einem kleinen Mädchen, dass einem wohnungslosen Mann in der Tiefgarage das Leben rettete. Und da ist Manuel der nach einem 3-monatigen Koma mit den Worten aufwachte: „Doc, du bekommst noch 10 € von mir!“ Jede Geschichte für sich ist beeindruckend, jeder Mensch ist es wert dessen Geschichte zu erzählen und wertzuschätzen!