Coastal Airways Flug 416 hat den Flughafen von Los Angeles gerade verlassen, als Kapitän Bill Hoffman einen Anruf erhält. Ein Entführer hat seine Frau und Kinder in seine Gewalt gebracht und stellt Bill vor eine schreckliche Wahl: Entweder bringt er das Flugzeug mit 149 Menschen an Bord zum Absturz, oder seine Familie wird getötet. Zwar gelingt es Bill, die Crew über die Lage zu informieren, doch irgendwo in der Maschine befindet sich noch ein Komplize des Entführers. Und Bill weiß nicht, wem er vertrauen kann. In 10 000 Meter Höhe entbrennt ein Kampf um Leben und Tod, während sich die Maschine unaufhaltsam New York nähert ...
Taschenbuch, 416 Seiten
ISBN: 978-3-442-49276-3
Auch verfügbar als Hörbuch-Download mit Dennis Herrmann:
In dem Schuh, der auf ihrem Schoß landete, steckte noch ein Fuß.
Sie kreischte und schleuderte ihn weg. Das blutige Etwas schwebte kurz schwerelos in der Luft, bevor es durch das riesige Loch seitlich im Rumpf aus dem Flugzeug gesaugt wurde. Auf dem Boden neben ihrem Sitz kroch eine Flugbegleiterin durch den Gang und schrie die Passagiere an, sie sollten ihre Sauerstoffmasken aufsetzen.
Bill beobachtete das alles aus dem hinteren Bereich des Flugzeugs.
Die Passagierin mit dem Schuh verstand offenbar nicht, was die junge Flugbegleiterin brüllte. Wahrscheinlich hörte sie seit der Explosion überhaupt nichts mehr. Ihr flossen aus beiden Ohren dünne Blutrinnsale.
Die Druckwelle hatte die Flugbegleiterin in die Luft geschleudert, dann war sie mit ihrem braunen Lockenkopf auf dem Boden aufgeschlagen. Sie blieb einen Moment regungslos liegen, bis die Maschine in den Sturzflug ging. Als sie durch den Gang rutschte, streckte sie die Hand nach den Metallsprossen der Passagiersitze aus. Sie bekam eine davon zu fassen, ihr Arm zitterte, als sie versuchte, sich gegen die Abwärtsneigung des Flugzeugs nach oben zu ziehen. Dabei kippte sie zur Seite, und ihre Füße baumelten in der Luft. Überall im Flugzeug flogen Dinge herum, Papier und Kleidungsstücke, ein Laptop, eine Getränkedose. Eine Babydecke. Es war wie inmitten eines Tornados.
Bill folgte dem Blick der Flugbegleiterin durch die Kabine … und sah den Himmel.
Wo sich keine halbe Minute zuvor noch der Notausgang über der Tragfläche befunden hatte, schien jetzt durch ein großes Loch die Sonne herein. Die andere Flugbegleiterin hatte eben noch dort haltgemacht, um Abfall einzusammeln.
Bill hatte die ältere rothaarige Flugbegleiterin lächeln und mit behandschuhter Hand einen leeren Becher in einen Plastiksack werfen sehen – dann, einen explosiven Moment später, war sie weg gewesen. Die ganze Sitzreihe war verschwunden. Die Seite des Flugzeugrumpfs war verschwunden. Bill stellte sich breitbeiniger hin, als die Maschine zu schlingern begann, da sie offenbar keinen geraden Kurs mehr halten konnte. Natürlich, das Seitenruder, dachte er. Wahrscheinlich war das ganze Heck beschädigt.
Über dem Kopf der brünetten Flugbegleiterin gingen mit einem Krachen mehrere Gepäckfächer auf. Gepäckstücke fielen heraus und wurden in der Kabine heftig umhergeschleudert. Ein großer rosafarbener Rollkoffer schoss nach vorn, angesaugt von dem Loch im Rumpf. Auf dem Weg nach draußen prallte er gegen den Rand der Öffnung und riss ein Stück der Außenhaut des Flugzeugs mit. Das Gitterwerk der freigelegten Verstrebungen zeugte von menschlicher Ingenieurskunst vor dem Hintergrund des Himmels. Hinter den schlackernden Kabeln, die gelbe und orangefarbene Funken sprühten, sprenkelten Wolken die Aussicht. Die grelle Sonne ließ Bill blinzeln.
Das Flugzeug nahm wieder eine horizontale Lage ein, worauf es der Flugbegleiterin auf dem Boden gelang, auf alle viere zu kommen. Bill beobachtete, wie sie mit ihrem Körper kämpfte, der sich weigerte, ihr zu gehorchen. Sie schaffte es, ein Bein nach vorn zu ziehen, um dann festzustellen, dass der Knochen aus ihrem Oberschenkel ragte. Sie starrte die blutende Wunde an, kniff ein paarmal die Augen zusammen, dann kroch sie weiter.
»Masken!«, schrie sie, während sie im Gang zum Heck des Flugzeugs robbte. Ihre Stimme war wegen der ohrenbetäubenden Windgeräusche kaum zu hören. Sie sah zu einem Mann hinüber, der nach den Sauerstoffmasken griff. Er erwischte eine davon, doch als er sie aufsetzen wollte, riss der Luftzug sie ihm aus der Hand, und ihre Gummibänder schlackerten wie wild.
Stickiger grauer Nebel füllte die Kabine, zahllose Trümmer wirbelten umher. Eine Metalltrinkflasche flog durch die Luft und traf die kriechende Flugbegleiterin voll im Gesicht. Blut strömte ihr aus der Nase.
T. J. Newman, eine ehemalige Buchhändlerin und langjährige Flugbegleiterin, arbeitete von 2011 bis 2021 für Virgin America und Alaska Airlines. Sie schrieb einen Großteil ihres Debütromans »Flug 416«, während ihre Passagiere auf Nachtflügen schliefen. Sie lebt in Phoenix, Arizona.
Steve Cavanagh:
T. J., herzlichen Glückwunsch zu Flug 416! Es ist ein erstaunlicher internationaler Erfolg und das zu Recht. Es ist ein großartiger Thriller! Kannst du uns den „Elevator-Pitch“ oder besser den „10.000-Höhenmeter-Pitch“ für diese Geschichte geben – worum geht es in deinem Buch?
T. J. Newman: Flug 416 erzählt die Geschichte eines Fluges von Los Angeles nach New York. Die Passagiere wissen allerdings nicht, dass kurz vor dem Start die Familie des Piloten entführt wurde und ihm gedroht wird: „Bring das Flugzeug zum Absturz, oder deine Familie stirbt.“ Die Geschichte folgt dann den heldenhaften Bemühungen der Besatzung und der Passagiere an Bord und gleichzeitig den Anstrengungen des FBIs und der Familie des Piloten am Boden, das Unmögliche zu schaffen und alle zu retten.
Steve Cavanagh: Eigentlich kaum zu glauben, dass das dein erster Roman ist. Er ist ein echtes Meisterwerk! Daher meine Frage, wie das alles eigentlich begann. Was hat dich zu dem Buch inspiriert?
T. J. Newman: Die Idee zu Flug 416 entstand während meiner Arbeit. Ich war zehn Jahre lang Flugbegleiterin, und meine Lieblingsstrecke war der Nachtflug von Los Angeles nach New York. Eines Nachts stand ich vorne in der Maschine und schaute den ganzen langen Gang hinunter. Es war dunkel, kalt und ruhig. Alle schliefen. Und während ich die Passagiere so betrachtete, kam mir plötzlich ein Gedanke: Das Leben von uns allen hier an Bord lag in den Händen der beiden Piloten. So viel Macht und Verantwortung! Wie verwundbar machte das die Cockpit-Besatzung eigentlich? Diesen Gedanken wurde ich nicht mehr los. Ein paar Tage später habe ich deshalb auf einer anderen Flugstrecke den Piloten gefragt: „Was würden Sie tun, wenn jemand Ihre Familie entführt und man Ihnen droht, sie zu töten, wenn Sie das Flugzeug nicht zum Absturz bringen?“ Wie er mich daraufhin ansah, machte mir Angst. Er hatte keine Antwort parat – und in dem Moment wusste ich, dass ich den Plot für meinen Thriller gefunden hatte.
Steve Cavanagh: Du hast also angefangen zu schreiben und das Buch immer wieder überarbeitet. Aber wie hast du dann einen Agenten gefunden? Und wie lief die Zusammenarbeit mit ihm, bis ihr schließlich einen Verlag für deinen Thriller gefunden hattet?
T. J. Newman: Ich kannte niemanden in der Verlagsbranche, ich hatte keinerlei Kontakte. Und ich hatte auch überhaupt keine Ahnung, wie ich vorgehen sollte. Also habe ich mir ein Buch mit dem Titel „The Essential Guide to Getting Your Book Published“ gekauft, es durchgelesen und bin dann den Ratschlägen darin gefolgt. Mir wurde klar, dass ich als Erstes einen Agenten finden musste. Also habe ich jede Menge Agenturen angeschrieben. Was ... nicht gut lief. Überhaupt nicht. Ich habe mein Manuskript 41 Agenten angeboten, die es alle abgelehnt haben. Meine 42. Anfrage war mein einziges „Ja“, und das kam von Shane Salerno von The Story Factory. Als wir anfingen zusammenzuarbeiten, hat es Klick gemacht. Er ist selbst Schriftsteller und Drehbuchautor und hat mir unheimlich wertvollen Input gegeben. Dank ihm habe ich den richtigen Dreh beim Erzählen gefunden. Vom ersten Entwurf bis zum fertigen Buch waren es mehr als dreißig Überarbeitungen – und die letzten, die während meiner Zusammenarbeit mit Shane entstanden, waren die besten.
Steve Cavanagh: Wie hast du es geschafft, so viel Spannung und Nervenkitzel zu erzeugen?
T. J. Newman: Ich wollte unbedingt eine Geschichte erzählen, die einen solchen Sog entwickelt, die so packend ist, die einem keine Atempause lässt, dass man einfach immer weiterlesen muss. Es hat lange gedauert – du erinnerst dich an die dreißig Überarbeitungen? –, bis ich die Story hatte. Ich habe radikal alles herausgestrichen, was für die Handlung nicht absolut notwendig war. Ich habe mir jeden Satz, sogar jedes einzelne Wort angesehen und überlegt: Muss das zwingend hier stehen? Wenn nicht, wurde es gestrichen.
Steve Cavanagh: Beim Lesen habe ich auch darüber gestaunt, was Flugbegleiter*innen alles leisten. Sie sind längst nicht nur dazu da, um Getränke und Essen zu servieren, sondern sie bilden in erster Linie ein hoch qualifiziertes Sicherheitsteam. Welches konkrete Wissen aus deinem früheren Beruf hast du in diesem Roman verarbeitet?
T. J. Newman: Ich wollte ursprünglich einfach eine spannende Geschichte erzählen. Aber seit Erscheinen des Romans haben so viele Leser*innen zu mir gesagt: „Ich wusste ja gar nicht, dass Flugbegleiter*innen so gut ausgebildet sind und so viel Verantwortung tragen! Durch dich habe ich ganz neuen Respekt für diesen Beruf.“ Es ist so schön, das zu hören. Und ich bin wirklich dankbar, dass ich mit meinem Buch auch zeigen konnte, worum es in diesem Beruf wirklich geht. Auch wenn ich die dramatischen Ereignisse in dem Buch zum Glück nicht selbst erlebt habe, entsteht doch bei jedem Flug ein großer Zusammenhalt unter uns Flugbegleiter*innen, gerade weil wir als Team so sehr auf die Sicherheit der Passagiere fokussiert sind. Dieser in dem Thriller beschriebene Zusammenhalt ist die Basis für diesen Job – bei jedem einzelnen Flug.
Steve Cavanagh: So viele international bekannte Autor*innen haben deinen Thriller mit begeisterten Zitaten unterstützt. Die meisten von ihnen sind sicher auch den deutschen Leser*innen bekannt. Was für ein Gefühl war das, so viel Aufmerksamkeit und positives Feedback zu erhalten? Und wer von all den Autor*innen ist dein Favorit?
T. J. Newman: Ich war völlig überwältigt von der enormen Unterstützung, die ich plötzlich von Leuten bekam, zu denen ich immer aufgeschaut hatte. Ich muss mich ehrlich gesagt immer noch kneifen, wenn ich daran denke, dass mein Buch überhaupt veröffentlicht wurde! Und wenn ich mir dann bewusst mache, dass Autoren wie James Patterson, Ian Rankin, Don Winslow oder Gillian Flynn mein Debüt nicht nur gelesen haben, sondern dass es ihnen auch richtig gut gefallen hat – das ist irgendwie surreal. Und ich muss mich schon wieder kneifen! Eigentlich jeden Tag. Für einen einzelnen Favoriten kann ich mich gar entscheiden, aber wenn ich es doch unbedingt müsste, wäre es eindeutig der großartige Steve Cavanagh!