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Flucht und Trauma: Wie wir traumatisierten Flüchtlingen wirksam helfen können

Die vier Monster der Entwürdigung

Die traumatischen Erfahrungen vieler Flüchtlinge sind eingebettet in Erfahrungen der Entwürdigung, die sie mit anderen traumatisierten Menschen teilen. Wir nennen sie die »vier Monster der Entwürdigung«:

Das erste Monster ist die Beschämung. Beschämung ist nicht zu verwechseln mit der natürlichen Scham. Diese ist ein Gefühl, das nützlich ist, weil es uns Menschen darauf aufmerksam macht, wenn die Grenzen unserer Intimität verletzt werden. Wenn wir etwas von uns preisgeben wollen, was wir doch lieber in unserem intimen Raum behalten wollten oder sollten, dann melden sich Schamgefühle, dann wird es peinlich. [...] Beschämung geht von anderen Menschen aus, die die Grenzen des intimen Raums missachten und verletzen. In Gewalterfahrungen und insbesondere in sexuellen werden die Grenzen des intimen Raums gewalttätig durchbrochen. Dies beinhaltet eine massive Beschämung, die die Würde der Gewaltopfer verletzt, die sich dann wiederum oft der gemachten Erfahrungen und der Entwürdigung schämen. Ein Kreislauf mit schlimmen Folgen.

Das zweite Monster ist die Erniedrigung. Erfahrungen der Demütigung und Erniedrigung, der gewalttätigen oder perfiden Unterdrückung eines Menschen lassen das Nein der Opfer ungehört, unerhört und ungeachtet. Die Täter und Täterinnen behandeln ihre Opfer als Objekt und erniedrigen und missachten sie.

Das dritte Monster ist die Gewalt selbst. Die Menschen werden verletzt, körperlich und seelisch, diese Wunden bleiben lange offen und lebendig. Die (sexuelle) Gewalterfahrung wirkt, selbst wenn sie ein einmaliger Akt der Erniedrigung gewesen ist, nachhaltig über einen langen Zeitraum auf die Identität der betroffenen Person.

Das vierte Monster der Entwürdigung besteht darin, dass Menschen ins Leere gehen. Wenn Menschen sich anlehnen wollen und da ist niemand, der ihnen Halt gibt, wenn Menschen etwas sagen, aber nicht gehört werden, wenn der Blick der Menschen nicht erwidert wird oder sie hilfesuchend ins Leere greifen, dann ist das eine Erfahrung emotionaler und sozialer Leere, die schmerzt. Viele Opfer von Gewalt haben in der Zeit nach dem traumatisierenden Ereignis eine solche Leere erfahren. Sie gingen mit ihrem Bedürfnis nach Trost und Halt, nach Wärme, Solidarität, Parteilichkeit und Verständnis ins Leere. Wie eine Studie über die »Zeit danach« zeigt, wird dies von nahezu allen Betroffenen als entwürdigende Verletzung erlebt, die in die Aussage mündet: »Am schlimmsten ist das Alleinsein danach.«

Wenn Menschen über einen längeren Zeitraum und wiederholt in ihrem Leben erfahren, dass sie ins Leere gehen, oder wenn sie diese Erfahrung nach einer traumatisierenden Gewalterfahrung machen, dann führt dies oft dazu, dass sich in den Menschen ein entwürdigtes Selbstwertgefühl festsetzt. »Wer bin ich, dass ich gehört werden könnte?« »Wer bin ich, dass ich es wert sein könnte, ein Recht auf Hilfe, Trost, Solidarität und Halt zu haben?«

Solche Fragen und damit Selbsteinschätzungen nisten sich im Selbstverständnis vieler Menschen ein, ohne dass sie ihre entwürdigenden Erfahrungen als Quelle ihrer vermeintlichen Wertlosigkeit identifizieren.
Die meisten Flüchtlinge, die traumatisierende Erfahrungen gemacht haben, haben wiederholte Erfahrungen mit allen vier Monstern.

Eine Frau aus dem Irak erzählt stockend mit Hilfe der Übersetzerin, der sie vertraut:
»Ich kann gar nicht darüber reden, ich schäme mich so. Ich konnte mich doch nicht wehren, die Männer waren ja zu dritt ... Danach bin ich einfach liegen geblieben. Sie haben mich weggeworfen wie ein Stück Dreck, wie ein gebrauchtes Tuch. Ich traute mich nicht, aus der Hütte zu gehen. Niemand sollte mich so sehen. Ich ging erst nachts weg und hatte große Angst. Zu meiner Familie konnte ich nicht. Meine Mutter ist tot und mein Vater Soldat. Gut, dass er mich nicht so sehen musste. Die anderen hätten mir nur Vorwürfe gemacht. Ich war allein und ging allein weg ... Ich heiße Anmar, das heißt Leopard. Aber da war ich kein Leopard mehr, nur noch ein staubiges Fell ... Später, auf der Flucht, da konnte ich wieder meine Krallen zeigen und fauchen. Manchmal. Da war ich wieder ein wenig Leopard.«


Die Frau war allen vier Monstern ausgesetzt: der Gewalt,der Erniedrigung, der Beschämung und der Leere, dem Alleinsein-Danach.

Flucht und Trauma

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