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SPECIAL zu Fjodor Dostojewski »Das Krokodil«

Düsternis und Schwermut?

Die Übersetzerin Christiane Pöhlmann über die komischen Seiten von Fjodor Dostojewski und ihre Neuübersetzung

Kaum ein anderer russischer Schriftsteller ist hierzulande so sehr zum Inbegriff von Düsternis und Schwermut geworden wie Dostojewski. Seine fünf großen Romane haben dazu ebenso beigetragen wie die eigene Biographie, wie Verbannung, Gottessuche, Spielschulden und Epilepsie. Auch das Bildmaterial untermauerte den Eindruck, Wassili Perows in dunklen Brauntönen gehaltenes Portrait ist vielleicht eines der bekanntesten: Es zeigt den Schriftsteller mit gedankenverlorenem Blick, die Knie mit den Händen umklammernd.

Ein lachender Dostojewski schien undenkbar. Dabei hat er selbst sich von Anfang an zu einem russischen Schriftsteller bekannt, dessen satirisches Vermögen außer Frage steht: Gogol. «Wir alle kommen aus Gogols Mantel», hat er festgehalten und die Fähigkeiten seines «Lehrmeisters», ein entlarvendes Lachen anzustimmen, betont. Weitere literarische Paten sind Molière, Shakespeare und E. T. A. Hoffmann. Diese Diskrepanz aus Eigen- und Fremdverortung schrie geradezu danach, Dostojewski anhand ausgewählter Erzählungen neu vorzustellen. Dabei ging und geht es allerdings nicht nur darum, den lachenden, aus Gogols Mantel gekommenen Dostojewski zu präsentieren.

Sicher, die ersten drei Texte bestechen vor allem mit ihren (tragi)komischen Elementen. Die Auftakterzählung, der «Roman in neun Briefen», ein frühes Werk, ist ein unbeschwertes Bravourstück über zwei Spitzbuben, die sich gegenseitig über den Löffel barbieren. Sprachlich steht der Text in gewisser Weise dem letzten fast spiegelbildlich gegenüber: Hier zwei Halunken, die einzig auf den eigenen Vorteil bedacht sind, ansonsten kaum etwas ernst nehmen. Ihre Rede ist gespickt mit Superlativen und Elativen – kein anderer Text dieser Sammlung greift so häufig auf dieses Mittel zurück –, geschraubte Wendungen wechseln sich mit ungelenken Formulierungen ab. Dort, im «Kleinen Helden», ein Erzähler, der gar nicht uneigentlich reden kann, der changiert zwischen der Sicht des heutigen erwachsenen Mannes und des kleinen Jungen von einst, dem häufig die Worte fehlten und dem der reife Mann ohne Frage Mitleid entgegenbringt.

Diese beiden Texte loten die vielfach konstatierte Polyphonie Dostojewskis nicht aus, deuten sie aber sehr plastisch an. Gerade in diesem Zusammenhang kann eine Übersetzung heute mehr leisten als früher, weil sie mehr darf. Das zielt keineswegs ausschließlich auf philologische Genauigkeit – im Gegenteil, häufig genug geht es eben darum, das Unkorrekte, Elliptische und Abgebrochen-Schwebende, die unzähligen Wiederholungen als Stilmittel im Deutschen nachzubilden. Alte Übersetzungen scheinen da mitunter einem falsch verstandenen Loyalitätsbegriff verpflichtet. In der bereits vielfach übersetzten Erzählung «Das Krokodil» radebrecht der deutsche Krokodilsbesitzer. Bisher hat jedoch nur eine einzige Übersetzung versucht, den Mann nicht als durch und durch eloquent zu gestalten. Ähnlich verhält es sich bei der «Peinlichen Geschichte», einem zeitlos satirischen Text, der gerade auch sprachlich die Bigotterie ach so liberaler Geister enttarnt: Pralinski duzt seinen Untergebenen Pseldonimow selbstverständlich, während er sich nur mit «Exzellenz» und «Sie» anreden lässt – auch dies ein sprachliches Signal, das bisherige Übersetzungen nicht immer aufleuchten ließen.
Eine auf den ersten Blick eher typische Dostojewski-Gestalt begegnet einem mit dem Erzähler der «Sanftmütigen». Hier springen Unterschiede zu bisherigen Übersetzungen nicht so deutlich ins Auge wie in den anderen Fällen, es sind vielmehr feine Nuancen und die Tempuswahl, die den fiebrigen Charakter dieses Monologs stärker herausarbeiten. Dies wiederum bietet die Chance, dass sich der Blick für den überraschenden Akzent des Textes schärft: Dostojewski hat als gläubiger Christ Selbstmord abgelehnt. In der Erzählung deutet er die Möglichkeit eines Selbstmords für den Erzähler jedoch zumindest an.

Keine der bisherigen Alt-Übersetzungen ist schlankweg abzulehnen, im Gegenteil, die meisten sind gut. Doch sie ähneln einander recht stark, sodass sich die Neuübersetzung mit den hier vorgestellten Akzenten letzten Endes markant von ihnen abhebt. All diese Unterschiede sind jedoch zu verstehen wie die Interpretation eines Musikstücks: Es lassen sich verschiedene Einspielungen genießen. Der neuübersetzte Dostojewski mag daher nicht die gewohnte Kost sein – doch offenbart sich hier die Vielstimmigkeit vielleicht etwas klarer, zeigt sich hier ein ebenso wütender wie zärtlicher, trauriger wie komischer, alberner wie bissiger Dostojewski.

Christiane Pöhlmann

Das Krokodil

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