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Leonie Swann: »Glennkill«

Die Schafskrimis von Leonie Swann: »Glennkill« und »Garou«

"Schafe sind uns ähnlicher, als wir denken"

Interview mit Leonie Swann, München/Frankfurt, 03.11.2005

© Peter von Felbert
"Es gibt so viele gute Bücher auf der Welt", staunte die junge Berlinerin Leonie Swann auf der Frankfurter Buchmesse, die sie in diesem Jahr zum ersten Mal überhaupt besuchte. Viel von der Messe gesehen hat die Autorin jedoch nicht – sie führte ein Interview nach dem anderen. Der Grund für ihre Beliebtheit ist ihr Schafskrimi "Glennkill", der im August 2005 bei Goldmann erschienen ist und der seitdem unter den 20 bestverkauften Romanen in Deutschland rangiert. Auch mit uns sprach die Goldmann-Entdeckung über Schafsshampoo, englische Literatur und ihren zweiten Roman.

Frau Swann, Ihr Roman "Glennkill" galt bereits vor seinem Erscheinen als viel versprechend und wurde bislang in dreizehn Länder verkauft. Wie empfinden Sie das große Interesse an ihrem Werk?
Ich freue mich natürlich darüber, dass meine Idee, einen Schafskrimi zu schreiben, auf ein derart großes Interesse gestoßen ist. Es stört mich überhaupt nicht, dass mir so viele Fragen zu meinem Buch gestellt werden. Im Gegenteil: Ich halte sie alle für berechtigt. Ein Krimi aus Schafsperspektive ist ja in der Tat außergewöhnlich! Umso schöner finde ich, dass unheimlich viele Menschen die Idee aufgenommen haben und nun weiterspinnen. Auf meinen Lesungen bekomme ich so wunderbare Dinge wie kleine Stoffschafe, Schafsmilch, einen Schafspelz oder auch Schafsshampoo geschenkt.

Schafsshampoo?
Ja, das ist klasse! Ich benutze kein anderes mehr.

Das erste Land, in das die Rechte für Ihren Roman verkauft wurden, ist Großbritannien. Das gelingt nur mit wenigen deutschen Romanen, warum mit Ihrem?
Vielleicht habe ich den Nerv der englischen Leser getroffen, weil ich besonders viele Bücher von englischen Autoren lese. Mir gefällt die Selbstverständlichkeit, mit der englische Autoren rein unterhaltende Texte schreiben. Diese Bücher sind sehr lesefreundlich. Deutsche Autoren versuchen oft, sehr literarische Texte zu verfassen, die eben nicht nur unterhalten sollen.

Darum gelten deutsche Bücher in Großbritannien als langweilig.
Genau! Das sahen die Leser bei ‚Glennkill' wohl anders.

Sie haben vor Ihrem Debüt keinen Text geschrieben, der länger als ein paar Seiten war. Wie kam es dann zu dem Roman?
Ich war mit meinem Freund in Paris, als mir plötzlich die Idee kam, mich an einem Schafskrimi zu versuchen. Das war absolut spontan, ich wolle eigentlich keinen kompletten Roman schreiben. Doch als die erste Szene mit dem toten Schäfer auf der Weide und den um die Leiche herum stehenden Schafen von Glennkill geboren war, da wollte mein Freund unbedingt wissen, wie es denn nun mit den Schafen weitergeht und wer der Mörder war.

Und Sie nicht?
Doch. Darum habe ich ja weitergemacht.

Was war das für ein Gefühl, den eigenen Text dann eines Tages als fertiges Buch im Buchhandel zu sehen?
Ein unglaubliches Gefühl. Auf einmal weiß man: ‚Jetzt kannst Du nichts mehr ändern'. Das ist schon komisch. Ich habe schließlich zwei Jahre an dem Text gearbeitet, allerdings mit einigen längeren Pausen.

Wie haben Sie sich am Ende einer solchen Pause zum Weitermachen motiviert?
Das brauchte ich nicht einmal. Der Text hat mich immer wieder angezogen, die Suche nach dem Mörder hat mich doch fasziniert. Noch mehr übrigens meinen Freund, der in diesen Zeiten echte Schäferhundqualitäten entwickelt hat und oft mit mir gemeinsam überlegte, wie die Geschichte weitergehen könnte.

Wenn bislang Tiere in Krimis vorkamen, dann eher Katzen, die als "samtpfötige Ermittler" auf die Pirsch gehen. Weshalb haben Sie sich für Schafe entschieden?
Ich glaube, ich wollte einfach den Spieß umdrehen. Schafe sind normalerweise die Gejagten. Bei mir werden sie am Ende zu Jägern. Außerdem sind Schafe interessante Ermittler, weil sie es nicht so leicht haben wie andere Tiere, sie müssen sich ständig überwinden. Im Gegensatz zu Katzen können sie sich beispielsweise nicht auf einem Hausdach oder in einer Baumkrone verstecken und von dort aus Informationen zusammentragen.
Außerdem sind Schafe Herdentiere.
Ja, weil sie keine Multitalente sind, brauchen sie sich gegenseitig. Jedes Tier hat eine spezielle Stärke, von der andere profitieren. Das gefällt mir sehr.

Sie wissen unheimlich viel über Schafe, woher nehmen Sie die Fakten?
Zum ersten Mal ganz bewusst beobachtet habe ich Schafe in Irland, und dort spielt ja auch mein Roman. So richtig viel wusste ich jedoch zunächst nicht über sie. Darum habe ich mir vieles vorgestellt und versucht, mich in die Tiere hinein zu versetzen. Das hat wunderbar geklappt. Schafe sind uns wirklich ähnlicher, als wir denken. Nicht umsonst gibt es auch bei uns auch Begriffe wie das ‚schwarze Schaf' oder den ‚Leithammel'.

Brauchten Sie keine Hilfe von einem Profi?
Doch, eine Schafsexpertin hat mich beraten und nachgelesen, ob alles plausibel ist.

Was Schafe in Ihrem Text über Menschen wissen, stammt aus Groschenromanen, die ihnen ihr Schäfer vorgelesen hat. Wie kamen Sie auf den Dreh?
Mich interessiert die Beziehung von Literatur und Realität. An den Schafen kann man gut sehen, wie Literatur funktioniert: Sie nehmen das, was sie von ihrem Schäfer über Menschen hören, zunächst als Realität auf – obwohl es aus Groschenromanen stammt. Darum gehen Sie zunächst mit den Menschen um, als seien sie Protagonisten aus den Groschenromanen und haben irgendwann ja auch die Angst, die Personen könnten aus einer Geschichte herauskommen.

Sie haben Ihren Roman abgeschlossen mit einem Hinweis, Schafe nicht – wie in Ihrem Roman geschehen – unter Drogen zu setzen. Rechnen Sie tatsächlich mit Nachahmungseffekten?
Das kann ich mir durchaus vorstellen. Tatsächlich habe ich aber keine Ahnung, wie ein Schaf reagiert, das ein Päckchen Haschisch verspeist, weil es – wie in meinem Text – neugierig auf das süßlich duftende Gras ist. Ich habe auch noch nie gesehen, dass ein Schaf flaschenweise Guinness trinkt, wie es in meiner Geschichte ein Widder beim "Smartest-Sheep-of-Glennkill-Contest" macht. Das habe ich nicht ausprobiert. Im Text geht es natürlich gut aus, aber in Wirklichkeit…

Dennoch beschäftigen Sie sich auch auf wissenschaftlichem Niveau mit Tieren in Romanen.
Ja, theoretisch schreibe ich an meiner Doktorarbeit über Tierbewusstsein in der englischen Literatur. Aber praktisch komme ich nicht mehr wirklich zum Forschen. Lesereisen sind zeitintensiver als ich dachte.
© Peter von Felbert
Würde Sie auch ein Roman aus Menschenperspektive reizen?
Auf jeden Fall! Grundsätzlich interessieren mich unterschiedliche Perspektiven, die Schafe waren sicherlich ein Extrembeispiel. Mich würde es auch reizen, aus der Sicht eines abgebrühten, taktierenden Menschen zu schreiben. Fantasy-Romane finde ich ebenfalls toll. Gerne würde ich einen eigenen Kosmos erschaffen, vielleicht so wie der britische Autor Steven Erikson in seiner Reihe "Das Spiel der Götter".

Man munkelt aber eher, dass Sie bereits an einem Fortsetzungsroman zu "Glennkill" arbeiten.
Das stimmt auch. Ich habe mich so sehr an meine Charaktere gewöhnt, dass ich wirklich sehr gespannt darauf bin, was mit ihnen nach ihrem Umzug von Irland nach Europa geschehen wird. Es wird also eine Fortsetzung geben.

Interview geführt von L. Kohler
© Bertelsmann Network, Gütersloh, Nov. 2005