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HEUTE
Rachel
Manchmal, wenn ich die Augen schließe, halte ich ein Gewehr in den Händen. Meine Hände sind klein, meine Finger kurz und dick. Ich bin elf Jahre alt. Das Gewehr an sich ist nichts Besonderes, nichts unterscheidet es von irgendeinem anderen Remington. Außer dass es das Gewehr ist, das meine Mutter getötet hat.
In meiner Vision stehe ich vor meiner Mutter, die am Boden liegt. Das Gewehr zielt auf ihre Brust. Ihr Mund ist offen, und ihre Augen sind geschlossen. Ihre Brust ist rot.
Mein Vater kommt zur Haustür hereingestürmt. »Rachel!«, schreit er, als er mich sieht. Er fällt auf die Knie, nimmt meine Mutter in die Arme und blickt zu mir auf, seine Züge entstellt von Schock und Entsetzen. Lange Zeit wiegt er meine Mutter in den Armen, als ob sie ein Baby wäre. Als ob sie noch lebte. Schließlich legt er sie behutsam auf den abgetretenen Parkettboden und richtet sich langsam auf. Er nimmt das Gewehr aus meinen zitternden Händen, sieht mich an mit einem Schmerz, so groß, dass ich ihn nicht begreifen kann, und richtet das Gewehr gegen sich selbst.
Es war anders, sagt die Seidenspinne, die in der Mitte ihres Netzes sitzt, in einer Ecke des Zimmers, wo die Putzfrauen nie wischen. Dein Vater hat erst deine Mutter getötet und dann sich selbst.
Ich verstehe nicht, warum die Spinne lügt. Normalerweise sagen Spinnen die Wahrheit.
»Woher willst du das wissen?«, kann ich mir nicht verkneifen zu fragen. Sie war nicht dabei, als meine Eltern starben. Ich schon.
Die Spinne betrachtet mich ernsthaft mit ihren acht glänzenden Augen. Ich weiß es, sagt sie. Wir alle wissen es.
Ihre Jungen wuseln an den Rändern des Netzes umher, winzig wie Staubkörnchen, und nicken.
Ich will der Spinne sagen, dass sie sich irrt, dass ich besser als alle anderen weiß, was an dem Tag passiert ist, als meine Eltern starben, und das ich die Konsequenzen des Verbrechens, das ich als Kind begangen habe, besser verstehe, als sie es je können wird, denn schließlich lebe ich seit fünfzehn Jahren damit. Wer einmal einen Menschen getötet hat, ist für immer gebrochen, zerschlagen in so viele unendlich kleine Teile, dass nichts und niemand sie je wieder zusammensetzen kann. Fragen Sie irgendeinen Autofahrer, der im betrunkenen Zustand einen Fußgänger überfahren hat; fragen Sie irgendeinen Jäger, der seinen Freund oder Schwager mit einem Hirsch verwechselt und erschossen hat.
Fragen Sie irgendeine Frau, die ein geladenes Gewehr in der Hand hielt, als sie noch zu klein war, um vorherzusehen, was passieren würde.