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SPECIAL zu Diane Setterfield »Die dreizehnte Geschichte«

Audio-Interview von der Lit.COLOGNE 2007

Interview mit Diane Setterfield abspielen:

Sie ist eine Debütautorin der ganz besonderen Art: Die Engländerin Diane Setterfield lässt in ihrem Bestseller "Die dreizehnte Geschichte" die schaurig-schöne Welt der "Gothic Novels" wieder auferstehen. Nebelige Talauen, ausgebrannte Landsitze, geheimnisvolle Familienschicksale. Im Gespräch erzählt Diane Setterfield, wie man britische Mythen kunstvoll ins 21. Jahrhundert trägt.

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Interview mit Diane Setterfield

zu ihrem Roman "Die dreizehnte Geschichte"

Diane Setterfield
© Susie Barker
Es fällt nicht leicht, "Die dreizehnte Geschichte", Ihren Debütroman, einem bestimmten Genre zuzuordnen. Wie würden Sie ihn bezeichnen?
Für mich ist es eine Geistergeschichte, aber keine gewöhnliche. Denn mir geht es nicht um Gespenster. Ich bin der Meinung, dass Menschen von ihrer Vergangenheit eingeholt werden, von ihrer Kindheit, von Erfahrungen, die sie gemacht und vergessen haben, von Vorstellungen, wie sie ihr Leben gestalten wollten, von Büchern, die sie gelesen und vergessen haben. Ich wollte ein Buch schreiben für Menschen, denen es so ergeht oder ergangen ist.

"Die dreizehnte Geschichte" folgt einem ungewöhnlichen Aufbau: Anfang, Mitte, Ende, und dann kommt wiederum ein Anfangskapitel. Warum haben Sie diese Konstruktion gewählt?
Ich wollte erreichen, dass die Leute begierig sind, weiter zu lesen. Dazu gehören Spannung und eine gute Komposition. Vielleicht wirken "chaotische" Geschichten literarischer. Ich habe sehr lange an diesem Buch geschrieben – zunächst zwei Jahre und, nach einer Pause, weitere drei Jahre, in denen ich das Buch noch einmal komplett umgeschrieben habe. Der Grund dafür war, dass der Aufbau nicht stimmte.

Gibt es Vorbilder für diese Romankonstruktion?
Sie hat mit meiner Liebe zu den Romanen des 19. Jahrhunderts zu tun. Auch meine Heldinnen, Margaret als Leserin und Miss Winter als Schriftstellerin, lieben die Romane dieser Epoche. Die Konstruktion muss auch für sie passen. Ich wollte sie nicht in eine bestimmte Form zwängen. Sie sollten den Roman selbst "gestalten" können. Dafür ist das Prinzip von Anfang, Mitte, Ende und Anfang so wichtig. Wie Sie vielleicht wissen, habe ich französische Literatur studiert. Dabei habe ich gelernt, dass sich zum Beispiel André Gide eines besonderen Mittels bedient hat: der inneren Reflexion in einem Roman. Gide nutzte dieses Mittel, um Autobiografisches in seine Romane einzuarbeiten. Für mich hingegen schien dieses Konzept vom Roman im Roman ein gutes Mittel zu sein, um Spannung zu erzeugen. Und so ist das Buch für mich nicht nur eine Hommage an die englischen Romane des 19. Jahrhunderts, sondern auch ein Ausdruck meiner Bewunderung für Gide.

Und was hat es mit der Titel gebenden dreizehnten Geschichte auf sich?
Zunächst hatte ich keinen Titel für meinen Roman. Und ich war wirklich nicht sehr zufrieden mit dem Text. Eines Tages gab ich das Manuskript meinem Mann zu lesen. Und er war der Meinung, dass die dreizehnte Geschichte mehr Raum benötigt – auch, weil sie einen tollen Titel für das Buch abgeben könnte. Dann habe ich, wie gesagt, die Arbeit an dem Buch erst einmal eingestellt – für mehr als ein halbes Jahr.

Beim Lesen Ihres Buches fällt auf, dass Sie einen besonderen Blick für Details haben, Sie beschreiben sehr genau. Spiegelt das Ihre Art, die Welt zu betrachten?
Vermutlich schon. Ehrlich gesagt habe ich darüber noch nie nachgedacht. Meine erste Antwort wäre, dass ich diese detaillierten Beschreibungen von Häusern, von Büchern, von Buchregalen bringe, weil dies der Stimmung des Buches entspricht. Das stimmt auch. Aber es könnte ebenso stimmen, was Sie sagen – dass es meiner Art, die Welt zu betrachten, entspricht.

Die Literatur spielt eine wichtige Rolle in Ihrem Buch. So sind Ihre Heldinnen eine Buchhändlerin (Margaret) und eine Schriftstellerin (Miss Winter). Wieso wählten Sie diesen Hintergrund für Ihre Handlung?
Nun, es heißt doch, man soll über das schreiben, von dem man etwas versteht. Das Schreiben über das Schreiben machte mich sicher. Ich wusste, dass es glaubwürdig sein könnte, wenn ich über Bücher, Buchläden, das Lesen an sich schreiben würde - die Literatur ist die größte Leidenschaft meines Lebens. Und ich wusste auch, dass es Leute geben wird, die in gleicher Weise fühlen. Es gibt so viele großartige Bücher. Aber nur sehr wenige handeln vom Lesen. Das ist doch merkwürdig, oder?

Würden Sie Margaret, die die Geschichte von Miss Winter aufschreibt, als Detektivin bezeichnen?
Ja, das stimmt, sie ist so etwas wie eine Ermittlerin! Und sie ist eine Freundin des Lesers, der in eine Welt von Vergangenem und Gegenwärtigem eintaucht und von einer Zeitperiode in die nächste wandert. Ich glaube, es ist gut, wenn der Leser eine solche Führerin hat. Margaret führt durch das Buch, mit ihrer Art, über die mysteriösen Begebenheiten zu denken. Auch diese Rolle hat Margaret.

Könnte Margaret auch in einem neuen Roman "ermitteln"?
Wissen Sie, für mich sind die besten Krimis die, in denen die Ermittler selbst eine Geschichte haben. Es kommt zu oft vor, dass es nur wenige Details über die Charaktere zu erfahren gibt – einer trinkt zu viel, einer verlässt seine Frau, solche Dinge eben. Das ist nicht das wahre Leben. Für mich ist Margarets Geschichte aber genauso interessant wie die von Miss Winter. Ich habe Margaret auf eine Reise geschickt, und sie endet für sie an einem Ort, der ganz und gar verschieden ist von dem, an dem sie begann. Und dieser Bogen ist für mich geschlossen.

Ihr Buch zeigt, wie Sprache eingesetzt werden kann. Sie kann Dinge verbergen oder auch enthüllen. Auch Ungesagtes hat eine Kraft. Welche Macht hat Sprache Ihrer Meinung nach?
Eine meiner Protagonistinnen, Miss Winter, lebt für Jahrzehnte mit einem Geheimnis. Aber von dem Moment an, in dem sie weiß, dass sie sterben wird, gibt es bei ihr das Bedürfnis zu sprechen, sich auszudrücken, die Wahrheit über sich selbst zu enthüllen. Sie muss die Wahrheit sagen. Sprache ist etwas sehr Intimes. Ich muss dabei an die Rechtschreibreform in Deutschland denken. Wenn meine Regierung sagen würde, so oder so darfst du Sprache nicht benutzen – das wäre so, als würde man von mir verlangen, meine Persönlichkeit zu verändern. Oder als würde man mir sagen, wie ich zu atmen habe. Die Sprache ist ein Grundelement unseres Lebens und so essenziell wie Sauerstoff. Ich interessiere mich sehr für die Zeit, in der man noch keine Sprache hat. Jeder hatte eine Zeit in seinem Leben, in der er nicht sprechen und nicht verstehen konnte, was andere sagen.

Ist es ein Anliegen Ihres Buches, den Leser aufzufordern, sich für seine Vergangenheit zu interessieren?
Ich habe das nicht geplant. Mein Hauptanliegen war, dass der Leser Vergnügen empfindet bei der Lektüre. Jeder hat Bücher, die er bewundert, die er leidenschaftlich liebt. Ein solches Gefühl wollte ich mit meinem Roman auch auslösen. Es ging mir um eine leidenschaftliche Lektüre.

Hatten Sie selbst solche Lektüre-Erfahrungen?
Ich habe Bücher gelesen, die wirklich sehr schön geschrieben sind. Aber wenn das Telefon klingelte oder jemand mich fragte, ob ich mit in den Pub käme, konnte ich die Lektüre jederzeit unterbrechen. Und dann gibt es Bücher, deren Handlung sehr stark ist, bei denen ich unbedingt wissen wollte, wie die Geschichte ausgeht. Was ich aber nicht wollte war, die Geschichte wirklich bis zu dem Ende lesen zu müssen. Wenn ich an einer Geschichte dranbleibe, dann deshalb, weil sie spannend ist und voller Gefühl. Ich wollte einen Roman schreiben, der weder extrem literarisch noch besonders populär ist. Denn die Geschichten, die ich liebe, haben auch von beidem etwas.

Natürlich würde ich gerne wissen, auch weil "Die dreizehnte Geschichte" Ihr Debütroman ist, welche literarischen Vorbilder Sie haben. Von André Gide haben Sie schon erzählt. Gibt es andere?
Viele Leute haben Vergleiche angestellt zu Daphne du Maurier oder Charlotte Brontë und ihrem Roman "Jane Eyre". Brennende Häuser sind ein Motiv, das mich interessiert. Mein Vater war Feuerwehrmann, und als Kind hatte ich große Angst vor dem Feuer. Ich habe "Sturmhöhe" von Emily Brontë und eben auch "Jane Eyre" von Charlotte Brontë gelesen, auch "Rebecca" von du Maurier. Für die Stimmung meines Romans war aber wohl am stärksten prägend "Die Frau in Weiß" von Wilkie Collins. Das ist eine wundervolle englische "Ghost Story" des 19. Jahrhunderts. Hier verbinden sich Spannung, Romantik und Humor. Und der Roman ist auf sehr interessante Weise "gebaut".

Wann sind Sie auf diesen Roman gestoßen?
Ich habe ihn als junges Mädchen, mit etwa 14 Jahren, gelesen. Zuerst las ihn meine Schwester. Und ich konnte an ihrem Gesichtsausdruck erkennen, dass sich bei der Lektüre etwas sehr Wichtiges in ihr vollzog. Als ich das sah, hätte ich ihr das Buch am liebsten aus den Händen gerissen. Aber ich hatte Glück: Sie liest – wie ich – sehr schnell und war in zwei Tagen mit dem Buch fertig. Und so erging es mir auch. "Die Frau in Weiß" hat mich wirklich sehr beeindruckt. Haben Sie das Buch gelesen?

Leider nicht …
Oh, das ist doch wunderbar! Dann haben Sie noch etwas sehr Schönes vor sich.

Natürlich stellt sich noch die Frage, wovon das nächste Buch von Diane Setterfield handeln wird.
Ich bin gerade viel unterwegs, und ich freue mich wirklich darauf, wieder nach Hause zu kommen und dort Zeit mit dem Schreiben verbringen zu können. Ich mache mir im Moment Notizen. In meinem nächsten Roman wird es mehr Hauptpersonen geben, vielleicht vier oder fünf Charaktere, darunter auch zwei Kinder, die aus unterschiedlichen Perspektiven erzählen werden. Die Handlung wird wohl in England spielen. Aber ich kann noch nicht zu viel verraten – auch weil sich meine Geschichte im Prozess des Schreibens weiterentwickelt. Ich mag das Reisen, ich mag es, Leute zu treffen. Aber meine Arbeit besteht eigentlich darin, zu Hause zu sitzen, zu schreiben und langweilig zu sein (lacht).
Die Fragen stellte Mathias Voigt, Literaturtest.