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Armin Rieger: »Der Pflegeaufstand«, Ludwig Verlag

Armin Rieger im Interview zu »Der Pflegeaufstand«

»Mit schlechter Pflege wird viel Geld verdient«

Heimleiter Armin Rieger über das Pflegesystem in Deutschland und sein Buch »Der Pflegeaufstand«

Was wollen Sie mit Ihrem Buch erreichen?

Armin Rieger: Ich will in meinem Buch öffentlich machen, wie es in der Pflege in Deutschland tatsächlich aussieht und zeigen, dass die Pflege zu einem lukrativen Wirtschaftssektor mutiert ist. Mit schlechter Pflege wird viel Geld verdient und mit guter Pflege werden eher Verluste gemacht. Vor allem aber hoffe ich, dass ich mit diesem Buch vielen Pflegekräften, vielen Heimbewohnern und deren Angehörigen sowie allen, die sich mit Pflege befassen, die Augen öffnen und sie zum Umdenken bewegen kann. Denn es geht mir nicht nur darum, zu klagen und anzuprangern. Mein zentrales Anliegen ist es, Lösungen aufzuzeigen, wie bessere Pflege möglich ist, wenn man nur dafür kämpft.

Worin liegen die Grundübel unseres Pflegesystems?

Armin Rieger: Das Grundübel in der Pflege ist der zu geringe Personalschlüssel und die Gewinnoptimierung durch entsprechende Einsparungen beim Personal. Immer öfter muss das Pflegepersonal, von denen ohnehin zu wenig eingestellt wird, Zusatzarbeiten wie die Zubereitung des Essens, Waschen oder Putzen mit übernehmen. Diese Zusatzaufgaben werden alle von der Zeit, die eigentlich für die Pflege und die Zuwendung aufgebracht werden sollen – nämlich durchschnittlich 7,5 Minuten pro Schicht – abgezogen. Das Pflegepersonal hat deshalb oftmals keine Zeit, die noch vorhandenen geistigen und körperlichen Fähigkeiten der Bewohner zu bewahren bzw. zu stärken. Das Essen einzugeben geht leider schneller als den Bewohner anzuleiten, selbst zu essen. Dies trifft leider auf viele alltägliche Aufgaben zu.

Die meisten Pflegeheime erhalten gute Noten beim Pflege-TÜV – wie kann das sein?

Armin Rieger: Zum einen wird in erster Linie nur das geprüft, was auf dem Papier dokumentiert wurde. Ob die dokumentierten Leistungen tatsächlich erbracht wurden, kann beim derzeitigen Prüfverfahren teilweise in der Praxis gar nicht nachvollzogen werden. Für gutes Essen bekomme ich eine »Eins«, wenn der Speiseplan in Schriftgröße 14 in Augenhöhe aushängt, unabhängig von der tatsächlichen Qualität des Essens. Zum anderen wurden die Fragen, die der MDK (Medizinischer Dienst der Krankenversicherung) bei den Heimprüfungen abfragen muss, von den großen Trägern in Absprache mit den zuständigen Politikern erarbeitet. Die Fragen wurden so formuliert, dass sogar mit schlechter Pflege gute Noten erreicht werden. Dürfte ein schlechter Schüler seine Prüfungsfragen selbst erstellen, so hätte er auch eine gute Note.

Sie nahmen an einem Lehrgang zum Pflege-TÜV teil, der zeigt, wie man eine gute Note beim Pflege-TÜV erhält – wie funktioniert das?

Armin Rieger: Mir wurde dort vermittelt, wie ich verschiedene Leistungen auf dem Papier ausformulieren muss, damit ich für die entsprechenden Fragen eine »Eins« bekomme. Was nicht gelehrt wurde: wie gute und menschenwürdige Pflege tatsächlich aussieht.

Wie sollten die Prüfungen durch MDK und Heimaufsicht stattdessen aussehen?

Armin Rieger: Zunächst sollten die Heime von einer unabhängigen Prüfinstanz geprüft werden. Derzeit prüfen der MDK und die verschiedenen FQAs (Fachbereich Pflege-und Behinderteneinrichtungen, Qualitätsentwicklung und Aufsicht), besser bekannt unter dem Namen Heimaufsicht. Bei den Prüfungen müssten die Prüfer prüfen, was tatsächlich an Pflege erbracht wird, und der Frage nachgehen, ob die dokumentierten Leistungen tatsächlich erbracht wurden. Alle Beteiligten (Heimaufsicht, Pflegekassen, Heimbetreiber…) wissen, dass dies derzeit nicht möglich ist, und alle schauen weg.

Woran erkennt man ein gutes Heim?

Armin Rieger: Zunächst ein paar Grundsatzfragen die man sich stellen muss. Die wichtigste Frage ist zunächst: Welche Art Heim wird benötigt? Ein Mensch mit Demenz braucht ein anderes Heim als ein geistig fitter, der körperliche Defizite hat. Man sollte sich bei der Vorauswahl auch die Frage stellen, ob man im dem Heim auch bei zunehmender Pflegebedürftigkeit weiter wohnen kann. Bei den infrage kommenden Heimen sollte man dann auf folgende Punkte achten:

1. Wie weit wohnen die Angehörigen vom Heim weg?
2. Riecht es in dem Heim unangenehm, zum Beispiel nach altem Urin?
3. Wie ist der Umgangston mit den Bewohnern?
4. Verfügt das Heim über einen eigenen Koch?
5. Ist ausreichend Hauswirtschaftspersonal vorhanden, sodass Pflegekräfte auch vollumfänglich für die Pflege eingesetzt werden können?
6. Ist eine eigenständige Gartenbenutzung möglich?
7. Wie finden die Mahlzeiten statt?
8. Was berichten andere Angehörige über das Heim?



Letztendlich muss man sich auf sein Bauchgefühl verlassen.

Welchen Beitrag können Angehörige zu einer besseren Pflege leisten?

Armin Rieger: Als Angehöriger muss ich zu verschiedensten Zeiten das Heim aufsuchen, um festzustellen, ob über den ganzen Tag genügend Personal anwesend ist und die Pflege den Anforderungen entspricht. Wenn nicht, dann müssen sich Angehörige beschweren, wenn nötig die Heimaufsicht einschalten bis hin zu eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft, wenn alle anderen Beschwerden fehlschlagen. Auch eine gelegentliche Kontrolle der Dokumentation ist angebracht.

© Ludwig Verlag

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